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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. Mai 2011; 01:35
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Strahlende Zukunft:

> Die fragwuerdige Rolle der WHO

Fukushima und Tschernobyl machen aufmerksam auf das seltsame
Verhaeltnis zwischen den UN-Organisationen fuer Gesundheit und
Atomenergie.
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Das nukleare Desaster in Fukushima und der 25. Jahrestag der
Katastrophe in Tschernobyl haben Widerspruechlichkeiten in der Rolle
aufgezeigt, die die WHO (Weltgesundheitsorganisation) dabei spielt.
Etwas, worauf manche Organisationen seit Jahren hinweisen.

Eine internationale Gruppe von NGOs -- die "Unabhaengige WHO" -- sagt,
dass die internationale Agentur in Bezug auf ihren Auftrag, die Opfer
radioaktiver Verseuchung zu schuetzen niemals Unabhaengigkeit in ihren
Entscheidungen und Aktionen gezeigt habe. Die Gruppen machen fuer die
vermutete Untaetigkeit auf diesem Gebiet einen Vertrag verantwortlich,
den die WHO mit der IAEA (Internationale Atomenergieagentur) 1959
geschlossen hat, einer unabhaengigen Organisation der Vereinten
Nationen, die gegruendet wurde um "sichere, ungefaehrliche und
friedliche nukleare Technologien" zu foerdern.

Die NGOs stellen fest, dass das Abkommen die WHO der IAEA "unterwerfe"
und die UN-Gesundheitsagentur davon abhalte "irgendwelche Initiativen
oder Aktionen zu unternehmen um ihr Ziel, die Bewahrung und
Verbesserung der Gesundheit, zu erreichen." Die WHO sollte die,
"inzestuoese Beziehung" mit der IAEA beenden, meinte der russische, in
der Schweiz lebende Journalist Wladimir Tschertkoff, der sieben
TV-Dokumentationen ueber Tschernobyl produziert hat. Aber die
Beziehung zwischen den beiden Agenturen ist ungleichgewichtig, weil
die IAEA vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abhaengig ist,
waehrend die WHO dem Wirtschafts- und Sozialrat unterstellt ist, der
weniger Einfluss hat.

Im Vertrag vom Mai 1959 vereinbarten die beiden Agenturen enge
Zusammenarbeit und gegenseitige Konsultationen, wenn eine der beiden
Programme oder Aktivitaeten in einem Gebiet plane, an dem die andere
Agentur substantielles Interesse hat. Ebenso wurden Restriktionen
vereinbart, um die Vertraulichkeit bestimmter Dokumente zu sichern.

In diesem Rahmen "hat die Atom-Lobby die WHO dazu gebracht, sich von
der Hilfeleistung fuer die Opfer nuklearer Unfaelle zurueckzuziehen",
sagte Jean Ziegler, derzeit Vizepraesident des Beratenden Ausschusses
des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. In Uebereinstimmung mit
der Vereinbarung von 1959 steht die WHO auf dem Standpunkt, dass "im
Fall eines nuklearen Unfalls nicht wir dafuer verantwortlich sind, uns
um die Opfer zu kuemmern, sondern dass die Kernkraft-Agentur der
einzige verantwortliche Teil ist", meint Ziegler. Er bezeichnet die
Situation als erschreckend, weil in Ernstfaellen tausende Menschen
sterben, die gerettet werden koennten. Das "erneuere unseren Verdacht,
dass die Atom-Lobby hier" (und erdeutet auf das WHO-Gebaeude) "gut
etabliert ist".


Die letzten Schaetzungen ueber die Anzahl der Tschernobyl-Opfer
stammen aus 2005 und sprechen von 50 Toten und 4000 Krebsfaellen. Die
"Unabhaengige WHO" bezeichnet diese Zahlen als absurd niedrig, weil
darin die Gesundheit der Kinder, die in den kontaminierten Gebieten
leben, nicht aufscheine, wo die Krankheitsrate bei 80% liege. Die
Statistik ignoriere auch das Schicksal der 600.000 bis 1.000.000
Liquidatoren, wie die Veteranen des Rettungs- und Raeumdienstes
genannt werden, fuegt die NGO-Gruppe hinzu.

Tschertkoff betont, dass die Studie "Tschernobyl: Folgen der
Katastrophe fuer Mensch und Umwelt", ein Buch, das aus dem Russischen
uebersetzt und Ende 2009 von der New Yorker Akademie der
Wissenschaften herausgegeben worden ist, die Gesamtzahl der Personen,
die als Folge des Ungluecks bis zum Jahr 2004 gestorben sind, mit
985.000 angibt. Die Gesundheitsdaten, die in der Studie erwaehnt
werden, zeigen, dass 80% der Kinder im Umkreis von Tschernobyl vor dem
Unfall gesund waren. Nach dem Umfall waren weniger als 20% in guter
Verfassung.


Seit 27. April 2007 veranstalten die Gruppen, die zur "Unabhaengigen
WHO" gehoeren, eine Mahnwache vor dem WHO-Gebaeude in Genf, wobei eine
Revision des Vertrages von 1959 gefordert wird. Die WHO sollte sich an
ihre eigene Verfassung halten: "...die Erlangung der hoechsten
moeglichen Gesundheitsstandards fuer alle Menschen."

In Hinblick auf den Unfall in Fukushima, verursacht durch das Erdbeben
und den Tsunami, meinte Tschertkoff, dass die WHO nicht wisse, was sie
tun solle. "Sie haben keine Leute, die sich mit der Situation
auskennen, es gibt nur 5 Personen, davon nur 2 mit
Universitaetsabschluss, aber ohne Erfahrung." Er erwaehnte auch die
Auseinandersetzungen ueber die WHO-Politik waehrend der Grippewelle
2009, insbesondere was die Produktion und Verteilung von Impfstoffen
betraf. Ziegler meinte, dass die WHO von der Atom-Lobby und der
Pharma-Industrie unterwandert sei. Er erinnerte an eine unabhaengige
Untersuchung, veranlasst vom frueheren WHO-Direktor Gro Harlem
Brundtland, die enthuellte, dass einige Leute aus dem Mitarbeiterstab
Zahlungen der Tabakindustrie erhalten haetten, waehrend die
Organisation ueber die Konvention zur Tabakkontrolle beriet.

Tschertkoff meint, dass es zwei unterschiedliche Tendenzen in der WHO
gibt:

Die eine sagt, dass wenn die Zustaende wie in den letzten Wochen
fortgesetzt schlechter werden, die WHO ihre Haltung zum Umgang mit
Strahlung ueberpruefen muesse. Die andere Gruppe haelt dagegen, dass
eine Wiedereroeffnung der Debatte zu dem Bekenntnis fuehren muesse,
dass in den letzten Jahrzehnten nichts getan worden sei. Wenn man auf
Tschernobyl, Fukushima und alle anderen Kernkraftwerke der Welt
schaut, dann leben ca. 410 Millionen Menschen in einem Radius von 30
Kilometern um diese gefaehrlichen Punkte. Eine Stellungnahme von Maria
Neira, WHO-Direktorin fuer Gesundheitswesen und Umwelt, zu diesen
Tatsachen war nicht zu erhalten.
(Gustavo Capdevila, IPS, Uebersetzung und Bearbeitung: akin)



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