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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Maerz 2011; 02:43
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Debatte/Bildung:

> Bildungsvolksbegehren erfordert Bruch mit Sparzwang

In akin 5 und 6 erschienen Einschaetzungen, die kaum ein gutes Haar am
Bildungsvolksbegehren liessen. Der Kommentator der Solidarwerkstatt
Linz sieht es nicht ganz so negativ.
*

Zentrale Forderungen des Bildungsvolksbegehrens, wie die Gesamtschule,
Ganztagsschule, die Verdoppelung der Zahl der HochschulabsolventInnen
sind nur machbar, wenn mit dem neoliberalen EU-Sparzwang gebrochen
wird. Dafuer brauchen wir eine vielfaeltige Bildungsbewegung, die
nicht von Parteisekretariaten, Grossindustriellen und Zeitungstycoon
abhaengig ist.

Die basisdemokratische Bildungsbewegung der Jahre 2009/2010 hat die
Misere an Oesterreichs Schulen und Hochschulen in den Blickpunkt der
Oeffentlichkeit gerueckt: ueberfuellte Hoersaele, scharfe soziale
Selektion im gesamten Bildungswesen, Unterfinanzierung an allen Ecken
und Enden, massenhafte Verkuemmerung von Bildungspotentialen. Nun
laesst das von Hannes Androsch initiierte Bildungsvolksbegehren
aufhorchen. Auch wenn es innerhalb der Solidarwerkstatt
unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich einiger Details sowie der
grundsaetzlichen Einordnung des Volksbegehrens existieren, in drei
Punkten sind wir uns sicher:

Erstens: Zentrale Forderungen dieses Volksbegehrens muessen
durchgesetzt werden, wenn wir unser Bildungssystem emanzipativer und
zukunftsfaehiger machen wollen. Allen voran:

- Eine gemeinsame Schule ohne Trennung der Kinder bis zum 15.
Lebensjahr (im Volksbegehren heisst es etwas verschaemt, aber doch
eindeutig: "ein sozial faires, inklusives Bildungssystem, in dem die
Trennung der Kinder nach ihren Interessen und Begabungen erstmals am
Ende der Schulpflicht erfolgt"). Die fruehe Aufspaltung der
Bildungswege mit 10 Jahren fuehrt zu einer extremen sozialen
Selektion. Selbst konservative Bildungsexperten wie Andreas Salcher
gehen davon aus, dass dadurch "nachweislich ein Drittel des
Bildungspotenziales vernichtet wird." (Profil 13.09.2010)

- Flaechendeckende Ganztagsschulen, denn in Halbtagsschulen haengt der
Schulerfolg der Kinder in hohem Ausmass vom Bildungshintergrund und
den finanziellen Moeglichkeiten der Eltern ab. Nur ueber
Ganztagsschulen kann es gelingen, den ausufernden Markt fuer
Nachhilfe, also die Privatisierung durch die Hintertuer, einzudaemmen.

- Beseitigung aller sozialen Zugangshuerden vom Kindergarten bis zur
Universitaet. Verdoppelung der HochschulabsolventInnen eines Jahrgangs
(derzeit absolvieren 22% eines Jahrgangs ein Hochschulstudium, in der
OECD sind 36%, das Volksbegehren will 40% bis 2020 erreichen).

- Darueber hinaus finden sich viele weitere wichtige
bildungspolitische Anliegen, z.B.: einheitliche
universitaer-akademische Ausbildung fuer alle PaedagogInnen und
LehrerInnen, mehr oeffentliche Mittel fuer die Erwachsenenbildung,
flaechendeckendes Angebot an elementarpaeda- gogischen Einrichtungen,
systematische Abschaffung des Sitzenbleibens, usw.

Diese Forderungen ins Zentrum des Volksbegehrens und damit der
oeffentlichen Debatte gerueckt zu haben, ist verdienstvoll, auch wenn
andere wichtige Forderungen fehlen (z.B. klare
Klassenschuelerhoechstzahlen, Ausstieg aus dem Bologna-Prozess im
Hochschulbereich) und manches zu hinterfragen ist (z.B. Modulsystem,
Schulorganisation).

Zweitens: Diese zentralen Forderungen des Bildungsvolksbegehrens sind
unvereinbar mit der Kaputtsparpolitik, die ueber die EU den einzelnen
Mitgliedstaaten aufgezwungen wird und wie sie die oesterreichische
Bundesregierung - siehe letztes Belastungspaket - brav exekutiert.
Denn der Ausbau des Bildungswesens, die Ueberwindung der vielfaeltigen
Selektionshuerden braucht Geld, viel mehr Geld, sonst drohen alle
diese Forderungen zu "frommen Wuenschen" zu verkommen, wie etwa der
neoliberale Journalist Conrad Seidl sueffisant bemerkte (Standard,
03.02.2011). Denn um Gesamt- und Ganztagsschulen wirklich zu Orten der
Chancengleichheit und Integration zu machen, brauchen wir die
deutliche Senkung der Klassenschuelerhoechstzahlen, viel mehr
Lehrkraefte, ZweitlehrerInnenprinzip und Foerderunterricht fuer
Schwaechere, SchulpsychologInnen, SozialpaedagogInnen und
SozialarbeiterInnen, aber auch modernste Lehr- und Lernmittel und
ordentliche Arbeitsplaetze fuer LehrerInnen in den Schulen. Ansonsten
droht nicht bloss die Fortsetzung der bisherigen Maengelverwaltung,
schlimmer noch: es droht ein neues Zwei-Klassen-Schulsystem durch
Abwanderung der Ober- und Mittelschichtkinder in teure Privatschulen.

Der Anspruch des Volksbegehrens "keinen zurueckzulassen" ist auch
voellig unvereinbar mit den marktradikalen Vorstoessen der
EU-Kommission in Richtung Schulgeld, hoehere Studiengebuehren,
Zugangsbeschraenkungen, Abhaengigkeit der Bildungseinrichtungen von
privaten Finanziers, Verschaerfung der Selektion in "Massen-" und
"Elitenbildung", wie sie durch den sog. "Bologna-Prozess"
vorangetrieben wird. Und dieser Anspruch ist voellig unvereinbar mit
der realen Regierungspolitik, die immer neue Huerden beim Zugang zu
den Hochschulen errichtet und die Selektion ab dem 10. Lebensjahr
verfestigen will, indem ueber das Eingangstor der Hauptschulen "Neue
Mittelschule" gepinselt wird.

Drittens: Wir duerfen die bildungspolitische Initiative nicht Androsch
oder einzelnen Medientycoons ueberlassen. Viele Unterschriften unter
dieses Volksbegehren werden nur dann wirklich etwas bewirken, wenn
eine vielfaeltige, bunte Bildungsbewegung entsteht, die an den
basisdemokratischen Aufbruch an den Unis von 2009/2010 anknuepft. Erst
eine solche Bewegung, die nicht an den Faeden von Parteisekretariaten
und Wirtschaftsmagnaten haengt, kann wirkliche Dynamik in die
Bildungspolitik bringen. In einer solchen Bewegung muessten
LehrerInnen, SchuelerInnen, Studierende und Eltern zusammenfinden. Nur
gemeinsam kann der neoliberale Sparwahn gebrochen werden, der einer
demokratischen, sozial fairen und zukunftsfaehigen Bildungspolitik und
Gesellschaft derzeit an allen Ecken und Enden entgegensteht.

Wenn Regierungsmitglieder, die die rigiden EU-Sparvorgaben auf Punkt
und Komma umsetzen, damit liebaeugeln, das Volksbegehren zu
unterschreiben, so zeigt das nicht nur, wie sehr die Machthaber unsere
Intelligenz gering schaetzen. Es zeigt auch, wie sehr sie bemueht
sind, zu verhindern, dass solche Koalitionen von unten fuer einen
bildungspolitischen Aufbruch entstehen. Es liegt an uns, sie eines
Besseren zu belehren.
*Gerald Oberansmayr*

Quelle:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=371&Itemid=80


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