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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. Maerz 2011; 00:24
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Oesterreich/Europa/Recht:
> Zu Kreuze gekrochen
Fast gleichzeitig veroeffentlichten der Europaeische Gerichtshof fuer
Menschenrechte (EGMR) und der oesterreichische Verfassungsgerichtshof
(VfGH) ihre Urteile zur Kruzifixproblematik -- und bestaetigten die
Kreuzesgebote in den Bildungsanstalten in Italien und Oesterreich.
Wenn man sich die Entscheidungen ansieht, bleibt kein grosses
Vertrauen in die Hoechstgerichte mehr.
In der Causa Lautsi versus Italien vor dem EGMR behob am 1.Maerz die
Grosse Kammer das Urteil der eigenen Vorinstanz. In diesem Fall geht
es um die Kruzifixe in einer staatlichen Schule. Rechtsgrundlage fuer
deren verpflichtende Anbringung sind zwei koenigliche Dekrete aus den
Jahren 1924 und 1928. Die Geschichte des Instanzenzugs ist eine
wechselvolle. Das italienische Verfassungsgericht kratzte zuerst
einmal die Kurve, dass es ganz einfach nicht zustaendig sei -- bei
diesen Dekreten handle es sich nicht um Gesetze, sondern um
Verordnungen, welche das Gericht nicht auf seine
Verfassungskonformitaet zu pruefen habe. Das Verwaltungsgericht
erklaerte einfach, die Dekrete seien nach wie vor in Kraft. Dessen
Berufungsinstanz hingegen verstieg sich zu der Meldung, das Kreuz
symbolisiere "Toleranz, Bekraeftigung der Rechte des Einzelnen, die
Autonomie des moralischen Gewissens gegenueber der Autoritaet,
Solidaritaet, die Ablehnung jeglicher Diskriminierung".
Die erste Kammer des EGMR sah dies bekanntermassen anders und sah in
den Kreuzesdekreten eine Verletzung der Europaeischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) im Artikel 2 des 1.Zusatzprotokolls
(Recht auf Bildung) in Verbindung mit Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens-
und Religionsfreiheit).
EGMR: Einfluss nicht bewiesen
Prinzipiell sah das die Grosse Kammer gar nicht soviel anders,
gelangte aber zu der Auffassung, dass sich nicht beweisen liesse,
"dass ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf
die Schueler" habe, auch wenn es in erster Linie als religioeses
Symbol zu betrachten sei. Zwar waere es nachvollziehbar, dass Frau
Lautsi die Kruzifixe in den Klassenraeumen ihrer Kinder als staatliche
Missachtung ihres Rechts sah, deren Unterricht entsprechend ihren
eigenen weltanschaulichen Ueberzeugungen sicherzustellen. Allerdings
reiche "diese subjektive Wahrnehmung nicht aus", um eine Verletzung
der EMRK zu begruenden. Im uebrigen werde aber an Italiens Schulen
ganz allgemein Toleranz geuebt, weswegen man nicht von einer
Indoktrination der Kinder sprechen koenne.
Interessant dabei sind aber zwei Aussagen ueber den
Beurteilungsspielraum, den der EGMR sich selbst gibt. Zum einen wolle
er die im Detail voneinander unterschiedlichen Entscheidungen der
Vorinstanzen gar nicht kommentieren, da es ihm nicht zustuende, "in
einem Streit zwischen nationalen Gerichten Position zu beziehen".
Zum anderen habe der Gerichtshof "im Prinzip die Entscheidungen der
Staaten auf diesem Gebiet zu respektieren, einschliesslich des
Stellenwerts, den sie der Religion beimessen, sofern diese
Entscheidungen zu keiner Form der Indoktrinierung" fuehrten. Daher
falle die Entscheidung, Kruzifixe in Klassenzimmern anzubringen, "in
den Beurteilungsspielraum des Staates, zumal es in der Frage der
Praesenz religioeser Symbole in staatlichen Schulen unter den
Mitgliedstaaten des Europarats keine Uebereinstimmung" gebe.
VfGH eindeutig
Der oesterreichische Verfassungsgerichtshof machte hingegen das Kreuz
nicht zur Lappalie, sondern betonte in seiner Entscheidung im
Gegenteil dessen Wichtigkeit. Im oesterreichischen Fall ging es nicht
um die Schule, sondern um den Kindergarten resp. das diesbezuegliche
niederoesterreichische Landesgesetz. Darin heisst es, dass in "allen
Gruppenraeumen jener Kindergaerten, an denen die Mehrzahl der
Kindergartenkinder einem christlichen Religionsbekenntnis" angehoere,
ein Kreuz anzubringen sei -- unabhaengig vom Betreiber des
Kindergartens. Der VfGH dazu in seiner Entscheidung, datiert mit
9.Maerz (also nach der Entscheidung des EGMR, aber neun Tage vor der
Publizierung dessen Urteil): "Das Kreuz ist ohne Zweifel zu einem
Symbol der abendlaendischen Geistesgeschichte geworden. Darueber
hinaus war es stets und ist es auch heute noch ein religioeses Symbol
christlicher Kirchen. Das bedeutet vor dem verfassungsrechtlichen
Hintergrund, vor dem die angefochtene gesetzliche Regelung insgesamt
zu beurteilen ist, aber nicht, dass dem Gesetzgeber bei systematischer
und verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes eine ... staatliche
Aeusserung einer Praeferenz fuer eine bestimmte Religion oder gar
einer Glaubensueberzeugung zugesonnen werden koennte."
Insofern ist der VfGH nicht weit weg von der Einschaetzung des EGMR.
Aber weiter heisst es, das Kindergartengesetz enthalte die Vorgabe,
"dass die koerperliche, seelische und geistige Entwicklung der Kinde
u.a. durch die erzieherische Wirkung, welche die Gemeinschaft bietet,
zu foerden und zu unterstuetzen, ein grundlegender Beitrag zu einer
religioesen und ethischen Bildung zu leisten und die Erreichung der
Schulfaehigkeit zu unterstuetzen ist. Mit dem letzten Halbsatz wird
auch deutlich gemacht, dass der Kindergartengesetzgeber die
Voraussetzungen dafuer schaffen will, dass im Anschluss an den
Kindergartenbesuch die bundesverfassungsgesetzlich festgelegten Ziele
fuer die schulische Bildung erreicht werden koennen ... Dieser macht
Offenheit und Toleranz sowie die an den sozialen, religioesen und
moralischen Werten orientierte Verantwortung zu Bildungszielen und
gibt staatlichen Bildungseinrichtungen explizit das Ziel vor,
Jugendliche gegenueber dem religioesen und weltanschaulichen Denken
anderer aufgeschlossen zu machen." Und da angesichts dessen das
Kreuzesgebot keine religioese Praeferenz des Staates zum Ausdruck
braechte, sei der entsprechende Paragraph des Kindergartengesetzes
verfassungskonform.
Nebengeraeusche
Die Klage wegen der beanstandeten Klausel des gleichen Gesetzes,
wonach der Kindergarten einen grundlegenden "Beitrag zu einer
religioesen ... Bildung zu leisten" habe, weswegen veranstaltete
christliche Feiern eine Verletzung der Religionsfreiheit darstellten,
wies der VfGH zurueck, da diese Feiern ja freiwillige Veranstaltungen
seien.
Bemerkenswert ist auch die Schlussbemerkung in der zum Urteil
gehoerenden Presseaussendung des VfGH: "An der Entscheidung des
Verfassungsgerichtshofes aendert sich, gleich wie der EGMR
entscheidet, nichts. Die verfassungsrechtliche Situation in Italien zu
dieser Frage ist auch nicht mit der in Oesterreich vergleichbar. Bei
kuenftigen Verfahren zu Fragen dieser Art wird der
Verfassungsgerichtshof, wie schon bisher, eine moeglicherweise neue
Rechtsprechung des EGMR beruecksichtigen."
*
Kommentar
Salopp formuliert hat der EGMR entschieden: Das Kreuz ist wurscht! Die
Frage der Kreuzespflicht sei so marginal, dass man die
diesbezueglichen Bestimmungen ruhigen Gewissens der
nationalstaatlichen Gesetzgebung ueberantworten koenne -- was bizarr
anmutet, wenn man sich ansieht, mit welcher Verve die italienischen
Obrigkeiten bis hinauf zum Cavalliere das Kreuz verteidigt hatten.
Allerdings war die Marginalisierung dieses Heiligtums wohl die einzige
Moeglichkeit der hoechsten europaeischen Menschenrechtsinstanz
einigermassen ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauszukommen. Denn
dass religioese Indoktrination eindeutig der Menschenrechtskonvention
widerspricht, konnte das Gericht beim besten Willen nicht verneinen.
Dennoch ist das Urteil peinlich: Einen Nichtkonsens der Gesetzgebung
unter den nationalen Regierungen der Europaratsmitglieder als Mass
fuer die Konventionskonformitaet herzunehmen, ist kein Ruhmesblatt
fuer den EGMR.
Wie wichtig aber das Kreuz von seinen Verteidigern genommen wird,
zeigt sich auch in Oesterreich. Als 2008 in Linz der Streit um die
Kreuze in staedtischen Kindergaerten entbrannte, verstieg sich
Oberoesterreichs Buergermeister Puehringer zu der Aussage, dass fuer
die OeVP das Kreuz wie in den Schulen auch in den
Kinderbetreuungseinrichtungen "als Symbol fuer religioese Erziehung"
stehe. Und nach dem jetzigen Urteil verkuendete seine Parteifreundin,
die fuer die NOe. Kindergaerten zustaendige Landesraetin Mikl-Leitner:
"Fuer mich geht es vor allem um die Vermittlung von christlichen
Werten und Traditionen in den Kindergaerten und in allen anderen
Bildungseinrichtungen." Von einem mangelnden Willen zur Idoktrination
kann also zumindest in Oesterreich nicht die Rede sein. So sieht auch
die Entscheidung des VfGH aus, die in ihrer Argumentation eher den
italienischen Gerichten folgt, ja sogar noch weiter geht, in dem er
hoechst kryptisch andeutet, das Kreuz sei wichtig fuer die religioese
Toleranz. Wie ist denn das gemeint? Sollen die Kinder etwa
agnostischer oder muslimischer Eltern fruehzeitig lernen, dass sie die
Mehrheit zu tolerieren haetten, diese Toleranz aber natuerlich eine
einseitige sein muesse?
Auch der zweite Teil des Entscheids ist fragwuerdig. Zum einen stellt
der Gerichtshof fest, dass hier keine Grundrechtsverletzung vorliegen
koenne, da diese Feiern freiwillige Veranstaltungen seien, zum anderen
sind sie aber sehr wohl im Gesetz als verpflichtend angelegt.
Besonders pikant dabei ist, dass das Hoechstgericht an anderer Stelle
sehr wohl feststellte, dass die Eltern auch bei der vor dem
5.Lebensjahr nicht bestehenden Kindergartenpflicht praktisch oft genug
keine Handlungsalternative zum Kindergarten haetten -- wie stellt man
sich das dann also praktisch vor? Werden die Minderheiten-Kinder dann
extra versorgt und ausgesondert? Oder achtet man in NOes Kindergaerten
peinlich darauf, dass religioese Feiern oder auch nur Bezugnahmen
lediglich ausserhalb der regulaeren Betreuungszeiten stattfinden? Wohl
kaum.
Und auch diese abschliessende Bemerkung in der Presseerklaerung, dass
das zu erwartende Urteil des EGMR fuer den vorliegenden Fall keinerlei
Bedeutung habe, mutet ein wenig seltsam an. Zwar ist die
Verfassungslage in Italien sicher eine andere, doch in Oesterreich
gilt dieselbe EMRK wie in Italien. Vorrangig nach dieser hat der EGMR
zu urteilen und die EMRK ist in Oesterreich in Verfassungsrang -- eine
prinzipielle Entscheidung des EGMR haette also sehr wohl von Belang
sein muessen. Auffaellig ist auch, dass diese Bemerkung im Urteil vom
9.Maerz nicht zu finden ist, in der Presseaussendung vom 16.Maerz aber
schon -- moeglicherweise kannte die Presseabteilung des VfGH da schon
Details des bereits gefaellten, aber noch nicht publizierten Urteil.
Dem EGMR-Urteil eine Relevanz fuer den oesterreichischen Fall
abzusprechen, waehrend dieser einen prinzipiellen Widerspruch zur
Konvention konstatiert, waere fuer den VfGH naemlich besonders
peinlich gewesen.
Das Urteil des EGMR kann man eine quasi schaebige Eleganz nicht ganz
absprechen. Der VfGH allerdings hat bewiesen, dass der politische
Katholizismus nach wie vor in Oesterreich einen guten Stand hat.
Speziell bei den Gerichten braucht uns das aber nicht zu verwundern --
denn dort stehen ja auch immer noch die Kreuze ueberall herum.
*Bernhard Redl*
Links:
EGMR
Presseaussendung: Grand Chamber judgment Lautsi v. Italy - German version 18.03.11
http://cmiskp.echr.coe.int////tkp197/viewhbkm.asp?action=open&table=
F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=89129&sessionId=
68317407&skin=hudoc-pr-en&attachment=true
Urteil im Volltext (engl.):
http://www.echr.coe.int/echr/resources/hudoc/lautsi_and_others_v__italy.pdf
VfGH
Presseaussendung:
http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/8/3/1/CH0003/
CMS1300262676803/noe_kindergartengesetz_-_presseinformation.pdf
Entscheid:
http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/8/3/1/CH0003/
CMS1300262676803/niederoesterreichisches_kindergartengesetz_g287-09.pdf
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