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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Maerz 2011; 22:07
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Libyen/Kommentar:

Nachfolgende Analyse stammt vom 5. Maerz. Mittlerweile ist
moeglicherweise schon vieles darin ueberholt, die Geschehnisse
ueberschlagen sich ja derzeit. Allerdings enthaelt dieser Beitrag aus
einem anonymen Blog so einiges, dass in der hiesigen Debatte
untergeht, weswegen wir ihn hier trotzdem gekuerzt wiedergeben

> Ein islamisch-afrikanischer Krieg droht

Es ist eine seltsame Situation, wenn die USA, die EU, der Iran,
arabische Diktaturen wie Katar und Saudi-Arabien sowie arabische
Befreiungsbewegungen wie die Hisbollah an einem Strang ziehen. Allen
diesen Kraeften gemeinsam ist die Forderung, dass der libysche
Revolutionsfuehrer Muamar Gaddafi weg muss.

Diese seltsame Koalition laesst erahnen, dass hinter der Forderung
nach der Entmachtung von Muamar Gaddafi trotz jeweils aehnlicher
Rhetorik nicht ueberall deckungsgleiche Interessen, Erwartungen und
Hoffnungen stehen. Es macht deshalb Sinn, sich die jeweils
dahinterstehenden Interesssen und Hoffnungen genauer anzuschauen.

Die Durchsetzung von Menschenrechten spielt in diesem Konflikt, wenn
ueberhaupt, dann jedenfalls keine besonders grosse Rolle.
Demonstranten wurden von Kraeften der Regierung erschossen, gefangene
Sicherheitskraefte von Aufstaendischen gelyncht und Menschen mit
schwarzer Hautfarbe von beiden Seiten gejagt und ausgeraubt.

Den USA und ihren Verbuendeten in Libyen geht es nicht um
Menschenrechte, sondern um Oel. Libyen hat die groessten
nachgewiesenen Oelvorkommen Afrikas und die Kontrolle ueber Erdoel
gehoert zu den erklaerten Zielen amerikanischer Politik. Es liegt
nahe, dass es der Plan der USA war, in Libyen eine bunte
CIA-Revolution zu versuchen, um dort einen Herrscher zu installieren,
der ihnen den Oelreichtum des Landes devot vor die Fuesse legt,
anstatt den Oelreichtum einerseits durch Sozialprogramme fuer die
Bevoelkerung zu verschwenden und andererseits damit Bewegungen zu
unterstuetzen, die den USA missliebig sind. Fidel Castro erklaerte, er
vermute, dass die USA fuer den Fall, dass ihnen die Uebernahme des
libyschen Oelreichtums und die Installierung einer US-Marionette als
Herrscher, die Besetzung Libyens durch die NATO beabsichtigen.

Angesichts dieser Perspektive erscheint es ausgesprochen seltsam, dass
auch der Iran und seine islamischen Verbuendeten den Aufstand mit
massiver Propaganda in staatlichen iranischen Medien unterstuetzt. In
iranischen Medien jagt eine Meldung ueber die glorreichen Siege der
islamischen Aufstaendischen gegen boesen unislamischen prowestlichen
Diktator Muamar Gaddafi die andere. Der iranische Praesident Mahmud
Ahmadinejad spricht von einem islamischen Erwachen.

Die Erwartungshaltung des Iran mag dabei ein Interview mit Mohsen
Saleh verdeutlichen, den der staatliche iranische Sender Press TV
kuerzlich als politischen Analysten aus Beirut vorstellte und
interviewte. Mohsen Saleh erklaerte, die Muslime in Libyen wollen ein
neues Regime aufbauen, nicht nach dem gruenen Buch Gaddafis, nicht
nach der Philosophie der Amerikaner oder des Westens, sondern gemaess
den islamischen Doktrinen und den islamischen Lehren. Er erwarte
keinen Buergerkrieg, denn die Menschen stuenden beisammen, gemeinsam
gegen das Krebsgeschwuer Gaddafi, das nun herausgeschnitten werde. Das
sei auch der Grund dafuer, dass Gaddafi Soeldner aus dem Ausland
anheuere.

Auch der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Mohammad-Ali
Jafari, aeusserte oeffentlich, die Welt saehe gerade "die weiche Kraft
des Islam" und die Aufstaende seien inspiriert durch die iranische
Revolution und widersprach Berichten, dass die USA eine Rolle bei den
gegenwaertigen Aufstaenden spielen wuerden. Er erklaerte, die USA
machten zwar grosse Bemuehungen, diese Ereignisse zu kontrollieren und
zu steuern, aber es sei unklar, zu welchem Grad ihnen das gelinge.

Das kann man in etwa so verstehen, dass die USA den Aufstand
angezettelt haben mit dem Ziel, das Regime von Muamar Gaddafi gegen
einen prowestliches Regime auszutauschen, aber der Iran dagegen
wettet, dass nach einem Sturz Gaddafis ein weniger prowestliches und
mehr islamisches Regime die Macht in Libyen uebernehmen werde. Wer die
Massen beim Freitagsgebet in Bengasi ueber den Internetsender der
Aufstaendischen gesehen hat, dem kann nicht entgangen sein, dass dort
ein bruellender Imam die Glaeubigen zur Revolution aufgefordert hat.
Selbst ohne die gepredigten Worte zu verstehen, ist es angesichts der
Intonation voellig klar, dass in Bengasi eine maechtige und radikale
islamische Geistlichkeit den Ton angibt. Nach einer Herrschaft
prowestlicher Kraefte sah das nicht aus. Man darf also mit einiger
Berechtigung vermuten, dass die Analysten des Iran Recht haben und
proamerikanische Kraefte in Libyen nicht die Oberhand behalten werden,
wenn die Aufstaendischen gegen die Pro-Gaddafi-Kraefte siegen, sondern
letztlich ausgesprochen antiwestliche islamische Kraefte die Macht
uebernehmen werden.

Das kann den USA eigentlich nicht entgangen sein. Es ist eher seltsam,
dass die USA und ihre Verbuendeten den Aufstand unterstuetzen. Dass
das Szenario einer islamischen Machtuebernahme in Libyen eintritt,
setzt allerdings voraus, dass die Aufstaendischen gegen die
Pro-Gaddafi-Kraefte siegen. Und danach sieht es kurzfristig nicht aus.
Auch laengerfristig, wo Unterstuetzung aus dem Ausland bei bewaffenten
Auseinandersetzungen eine entscheidende Rolle spielt, sieht es nicht
unbedingt nach einem Sieg fuer die Aufstaendischen aus.

Es ist zwar richtig, dass Muamar Gaddafi die Unterstuetzung der USA
und der EU verloren hat, die Aufstaendischen auch die Sympathie der
gerade revolutionierten Nachbarlaender Tunesien und Aegypten im Westen
und im Osten haben, verbale Solidaritaetsnoten aus Kuba, Venezuela und
Nicaragua fuer Gaddafi den Konflikt nicht entscheiden und Gaddafi auch
nicht von der arabischen Halbinsel und erst recht nicht dem Iran
Unterstuetzung zu erwarten hat, doch bei dieser Betrachtung der
Isolation Gaddafis wird eine wichtige Komponente des Konfliktes
regelmaessig vergessen: die Suedgrenze Libyens, der afrikanische
Kontinent. Von dort darf Muamar Gaddafi jede Menge Unterstuetzung
erwarten.

Da ist zunaechst einmal der Tschad. Im Tschad hat gerade die Partei
von Praesident Idriss Deby, einem alten anti-kolonialistischen
Kampfgefaehrten von Gaddafi, wieder einmal die Wahlen gewonnen. Idriss
Deby war 1990 durch einen von Muamar Gaddafi unterstuetzten
Staatsstreich an die Macht gekommen und sein Regime basiert noch heute
zu einem guten Teil auf der wirtschaftlichen, militaerischen und
politischen Unterstuetzung durch Libyen. Durch einen Regime Change in
Libyen waere seine eigene Macht gefaehrdet. Der Tschad ist mit Libyen
geografisch im Sueden durch eine kaum kontrollierbare viele Hundert
Kilometer lange Wuestengrenze verbunden. Ueber diese Grenze koennte
alles kommen, was Muamar Gaddafi und seine Getreuen zum Bestehen eines
Buergerkrieges brauchen: Kaempfer, Geld sowie Waffen und andere
Embargogueter. Im Libyschen Hinterland zur Grenze mit dem Tschad ist
zudem Gaddafis eigener Volksstamm ansaessig, Gaddafi haette dort also
obendrein Heimvorteil. Die Beziehung Muamar Gaddafis zu anderen
Laendern in Afrika beschreibt Sky News derart, dass man praktisch
jeden beliebigen Konflikt in Afrika nennen kann, gleich ob Liberia,
Sierra Leone, Uganda, Mali oder Zimbabwe, ueberall habe Muamar Gaddafi
bei mindestens einer Rebellengruppe oder einem Despoten seine Finger
im Spiel, mit Militaerhilfe, Wirtschaftshilfe, Investitionen,
humanitaerer Hilfe, Friedenstruppen und so fort. Wie das libysche
Staatsfernsehen laut Al Jazeera berichtete, haben die Regierungen von
Mali und Guinea sich bereits offen solidarisch mit der Regierung von
Muamar Gaddafi erklaert.

Natuerlich werden aus diesen Laendern keine Soeldner nach Libyen
kommen, aber wenn ihr grosser Bruder, der sie jahrzehntelang im
antikolonialistischen Befreiungskampf unterstuetzt hat, in Not ist,
dann koennten die mit ihm befreundeten Regierungen es sicherlich kaum
verhindern, dass antikolonialistische Befreiungskaempfer aus den mit
Libyen befreundeten Laendern ihrem Bruder mit der Waffe in der Hand
nun ihrerseits zu Hilfe eilen. Das wuerden die Menschen da natuerlich
nur aus idealistischen Motiven tun, und das Taschengeld, was die
Regierung Libyens den zu Hilfe eilenden Freunden dank grosser Reserven
aus Oeleinnahmen zahlen kann, ist natuerlich nicht ausschlagend,
sondern lediglich der Wille, ihrem Bruder im antikolonialistische
Befreiungskampf beizustehen. Kurzum, Muamar Gaddafi kann sich, wenn er
es noetig haben sollte, sicherlich auf sehr schlagkraeftige und
buergerkriegserprobte Unterstuetzung aus dem suedlichen Ausland
verlassen. Nicht wenige der potentiellen Kaempfer duerften im Rahmen
von Militaerhilfe von Libyern ausgebildet worden sein. Wenn Muamar
Gaddafi sagt, Millionen stuenden hinter ihm, dann sind das zumindest
in Bezug auf seinen panafrikanischen Ansatz keine leeren Worte. Wer
mit dem Gedanken spielt, Libyen zu besetzen, und dort ein
Anti-Gaddafi-Regime zu errichten, der darf sich bei der Gelegenheit
auch Gedanken machen, wie er den Tschad, Niger, Mali, Mauretanien,
Liberia, Guinea, Zambia, Zambabwe und eine Reihe weitere Gebiete in
ganz Afrika besetzen will, um den fuer diesen Fall zu erwartenden
Pro-Gaddafi-Rebellengruppen die Unterstuetzung abzuschneiden.

Wer diesen Hintergrund kennt, den verwundert es nicht, dass die USA
und ihre Verbuendeten trotz der kriegsluestern klingenden Rhetorik
davor zurueckschrecken, sich militaerisch aktiv am Krieg zu
beteiligen. Nicht einmal mit der Luftwaffe haben die USA und die NATO
in die Kaempfe eingegriffen. US-Kriegsminister Robert Gates goss
kaltes Wasser auf die Idee, Libyen mit der US-Luftwaffe anzugreifen.
Das sei eine groessere Operation und die US-Kriegsmaschine sei mit den
Kriegen gegen Afghanistan und Irak ohnehin bereits ueberstrapaziert,
hiess es aus dem Pentagon.

Die islamischen Aufstaendischen in Libyen koennten nun versucht sein,
ihren Mangel an erfahrenen Kaempfern auch dadurch zu kompensieren,
dass sie islamische Kaempfer aus allen Teilen der Welt in ihre Reihen
aufnehmen. Sollte dieses Szenario eintreten, so waere das so etwas wie
ein Hauptgewinn fuer die USA. Islamische Anti-Imperialisten und
afrikanische Anti-Kolonialisten ermorden sich dann gegenseitig und
Europa braucht bloss ein paar Kriegsschiffe ins Mittelmeer zu
schicken, die dafuer sorgen, dass es von Libyen aus keine Fluechtlinge
nach Europa rueberschaffen. Obendrein koennten die westlichen Maechte
wie beim irakisch-iranischen Krieg beide Seiten heimlich immer mit
soviel Waffen beliefern, dass keine Seite gewinnt, und so dafuer
sorgen, dass das Gemetzel moeglichst lange andauert und moeglichst
viele Opfer fordert. Waehrend islamische und afrikanische Kaempfer in
Libyen gegeneinander Krieg fuehren, koennte der Westen seine Haende in
Unschuld waschen und sich andere wichtige Gebiete in anderen Teilen
der Welt untertan machen. Auch finanziell waere das Szenario fuer den
Westen erfolgversprechend. Zum einen verfuegt Libyen ueber genug Oel,
um damit auf Jahrzehnte hinaus westliche Waffen zu bezahlen, und zum
anderen wurden in westlichen Laendern dank des gerade ergangenen
UN-Sicherheitsratsbeschlusses Milliarden libyschen Volksvermoegens
eingefroren, an dem der Westen sich bei Bedarf sicherlich schadlos
halten kann.

Alles, was der Westen dazu tun muss, um das zynische Szenario
Wirklichkeit werden zu lassen, ist die libysche Bevoekerung zum
Befreiungskrieg gegen Gaddafi aufzuhetzen und dann Daeumchen zu drehen

Der Westen hat ueberhaupt kein Interesse daran, dass die islamische
Aufstandsbewegung in Libyen siegreich ist. Es geht nicht darum, eine
Partei siegen zu lassen, sondern im Gegenteil darum, den Krieg am
Laufen zu halten. Geraten die Aufstaendischen zu sehr in die
Defensive, dann werden die Aufstaendischen aus humanitaeren Gruenden
gegen den Diktator unterstuetzt. Sollten Muamar Gaddafi und seine
Getreuen zu sehr in die Defensive geraten, dann kann der Westen ganz
schnell auf Pro-Gaddafi-Kurs umschwenken und ihn "beim Kampf gegen Al
Kaida" unterstuetzen.

Dieses Szenario durchbrechen koennen nur Friedensverhandungen, die
moeglichst schnell beginnen muessen und das Blutvergiessen moeglichst
sofort beenden. Der venezualanische Praesident Huga Chavez hat solche
Friedensverhandlungen vorgeschlagen. Aus Washington und Paris kam
umgehend eine Absage: Friedensverhandungen darf es nicht geben, denn
damit waere der wunderbare Krieg ja schon beendet.

Muamar Gaddafi hat es akzeptiert, Friedensverhandlungen zu fuehren.
Die Aufstaendischen haben Friedensverhandlungen abgelehnt.
Gleichzeitig haben sie sich beklagt, dass der Westen sie zwar medial
und dipomatisch aufhetzt, aber da, wo es entscheidend ist, naemlich
beim Militaer, nicht unterstuetzt. Diese Realitaetsluecke bei den
Aufstaendischen gilt es seitens der Friedensbewegung dringend zu
schliessen. Die USA haben kein Interesse daran, dass der Krieg in
Libyen beendet wird, im Gegenteil, sie profitieren umso mehr, je mehr
der Krieg weitergeht. Gelingt es nicht, Frieden in Libyen zu stiften,
droht ein langandauernder islamisch-afrikanischer Krieg, bei dem die
Imperialisten der USA und der EU auf der Sonnenseite sitzen und
profitieren, weil sie am Krieg nicht direkt beteiligt sind. ###

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Volltext mit ausfuehrlichen Links:
http://nocheinparteibuch.wordpress.com/2011/03/05/ein-islamisch-afrikanischer-krieg-droht/



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