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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Maerz 2011; 22:14
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Debatten:

> Eine seltene Chance

Nach den ersten 100 Tagen in der Regierung stehen die Wiener Gruenen
an einer Weggablung der politischen Kultur -- ihre
Richtungsentscheidung wird weitreichende gesellschaftliche
Konsequenzen haben.

Frueher haben sie gerne gebloggt, die Wiener Gruen-Abgeordneten. Jetzt
ist grossteils Schweigen. Martin Margulies ueberlegte neulich laut auf
Facebook, ob er nicht seinen Blog wieder reaktivieren sollte. Er
ueberlegt wohl immer noch, denn der letzte Eintrag stammt vom
8.Oktober. Klaus Werner Lobo bringt auf seinem Webtagebuch nur mehr
Tagesordnungen von Ausschusssitzungen. Und selbst Christoph Chorherr,
immer der Fleissigste gewesen, weiss nicht was er schreiben soll. Doch
darueber schreibt Chorherr wenigstens: "Schon wieder so eine lange
Pause am Blog. ... Bevor ich jetzt (un-)heilige Eide schwoere, dass ab
jetzt alles besser wird, bzw. mich auf die fehlende Zeit ausrede,
moechte ich das wahre Problem beleuchten. ... Bisher war es relativ
einfach hier am Blog. Vorschlaege, Ideen entwickeln und sie hier zur
Diskussion stellen. ... Jetzt ist das anders ... jetzt kommt die Kunst
des politischen Handwerks ins Spiel. ... Fruehzeitig eine vielleicht
noch im Detail unausgegorene Idee hinauszuposaunen, bringt zwar
Oeffentlichkeit, ruft aber oft massiven Widerstand bei jenen hervor,
die fuer die Umsetzung dieser Idee gebraucht werden: Bezirke, Beamte,
Interessensgruppen, der Koalitionspartner in all seiner
Vielschichtigkeit." Und daher koenne man als Regierungspartei nicht
mehr so offen agieren wie vorher aus der Opposition heraus.

Generell ist nach den ersten 100 Tagen von Rotgruen bei den neuen
Regierungsabgeordneten zweierlei zu bemerken: Einerseits eine
Euphorie, nun tatsaechlich ein wenig veraendern zu koennen,
andererseits auch eine Frustration, ein grosses Stueck Freiheit
verloren zu haben. Egal, ob man ihre oeffentlichen Aeusserungen
nachliest, mit ihnen im Web chattet oder private Gespraeche fuehrt,
die Conclusio ist -- angedeutet oder klar ausgesprochen -- immer die
Gleiche: Wuerden wir ueber unsere Aktivitaeten offen reden, wuerden
wir deren Erfolg gefaehrden.

Die grosse Angst vor Kronen-Zeitung und Co -- ja, natuerlich kann die
Krone irgendeinen Skandal aus einer Intervention der Gruenen machen,
aber warum kann sie das? Oder anders: Eine fortschrittliche NGO regt
sich auf, dass da die Wiener Landesregierung irgendeinen Scheiss
produziert hat. Und natuerlich hat diese NGO dann oft genug auch recht
mit ihrer Kritik. Aber warum ist das dann schlimm fuer die Gruenen,
die vielleicht wirklich keine Moeglichkeiten hatten, effektiv
einzugreifen?

So katastrophal ist das fuer den kleinen Koalitionspartner doch nur,
weil eben keine oeffentliche Debatte stattfindet. Ein voellig aus dem
Zusammenhang gerissenes Detail sieht oft nicht so wirklich vorteilhaft
aus, wenn man aber das grosse Ganze sehen kann, schaut die
Auseinandersetzung anders aus. Bisweilen kann es schon mal sein, dass
die Gruenen und die SPOe und vielleicht die Wirtschaftskammer
irgendein Junktim aushandeln -- dann muss man das aber auf den Tisch
legen. Sieht man dann nur: Die Gruenen haben dem und dem zugestimmt,
und kennt die Hintergruende nicht, wird das Bild natuerlich
katastrophal. Stellt man aber ganz klar dar, was Sache ist, wer
welches Druckmittel eingesetzt hat, wie die Budgetsituation in dem
bestimmten Bereich aussieht, wer fuer dieses Budget verantwortlich und
was das -- aus dem Blickwinkel der kritisierten Partei, in diesem Fall
der Gruenen -- positiv Erreichte in diesem Junktim ist, kann das der
Wahlberechtigte beurteilen. Ansonsten kann er das nicht.

Wenn aber nicht alles auf den Tisch gelegt wird, bleibt der
kritisierten Partei nur ueber, das, was herausgekommen ist,
schoenzureden --.kein Wunder, dass Politiker und speziell
Regierungspolitiker so einen schlechten Ruf haben.

Die wichtigen Leute

Der andere Grund, warum derart viel nicht oeffentlich verhandelt wird,
ist einfach dem Duenkel der "wichtigen Leute" zu verdanken. Es gibt
immer irgendeinen Stadtrat, Fraktionsvorsitzenden, Bereichssprecher,
Magistratsdirektor, Polizeikommandanten, Bezirkskaiser,
Wirtschaftskaemmerer etc. pp., der sich ganz fuerchterlich darueber
aufregt, dass man ihn nicht vorab informiert und um seine Meinung
gefragt habe. Und dann kommt von diesem der Satz: "Warum muss ich das
erst aus der Zeitung erfahren?" Und dieser wichtige Mensch stellt
daraufhin auf stur, weil er sich nicht wichtig genug genommen fuehlt.
Nicht nur, dass er gefragt werden will, er will auch nicht, dass
irgendwas veroeffentlicht wird, was nicht seiner Meinung oder
zumindest einem ausgehandelten Kompromiss entspricht.

Die Folge: Alles passiert unter der Tuchent. Echte Positionen sind
ueberhaupt nicht mehr erkennbar. In Wien ist es noch nicht ganz so
schlimm -- die jetzige gruene Gemeinderatsriege hat in dieser
Geheimdiplomatie noch nicht gar so viel Erfahrung. Hier sind noch
Ecken und Kanten vorhanden. Aber wenn man sich zum Beispiel die
lustigen Scharmuetzel in der Bundesregierung zwischen OeVP und SPOe
ansieht, kommt einem oft der Verdacht, das selbst die akkordiert
waeren -- so nach dem Motto: "Ihr stimmts dem jetzt zu, aber wir
verstehen natuerlich, dass ihr gegenueber Eurer Klientel so tun
muessts, als waerts ihr strikt dagegen, dafuer schimpfen wir vor dem
Gesetzesbeschluss auch ein bisserl ueber Euch, und bei der
Beschlussfassung tun wir dann beide so, als haetten wir fuer unsere
jeweilige Klientel das Beste herausgeholt und fuer den restlichen
Scheiss ist dann jeweils der Koalitionspartner verantwortlich."

Es ist ein Spiel. Und in diesem Spiel sind die Akteure sich vor allem
in einem einig: "Wir machen das unter uns aus und das Volk braucht die
Details gar nicht wissen." Diese Geheimhaltung ist nichts anderes als
eine moderne Form des Josephinismus. Und genau in dieses Spiel
rutschen jetzt auch die Gruenen in Wien. Irgendwann bekommen sie von
ihrer Basis gar keinen Druck und damit auch keine Unterstuetzung mehr,
weil diese Basis keine Ahnung hat, was ihre Abgeordneten da eigentlich
so treiben. Dafuer bekommen diese aber den Druck der ganz wichtigen
Leute -- womit klar ist, in welche Richtung sie gedrueckt werden.

Im Grossen wie im Kleinen

Auf der grossen Buehne der Politik hatten wir jetzt die Aufregung um
Wikileaks. Ja, mag sein, dass in seltenen Faellen eine Geheimhaltung
der Diplomatie notwendig ist -- die Empoerung von Regierungspolitikern
und Spitzenbeamten resultiert aber aus etwas anderem. Sie moegen es
einfach nicht, wenn man ihnen auf die Finger sieht. Sie bewegen sich
in ihren Kreisen und wollen die Oeffentlichkeit moeglichst ganz
ausschliessen -- sie sind der moderne Adel, der das Volk nicht nur
fuer ungebildet und unbildbar haelt, sondern ihm ueberhaupt jedes
Mitsprache- und Informationsrecht abspricht.

In jenen politischen Systemen, die sich Demokratie schimpfen, wirkt
das Waehlenduerfen nicht als Kontrolle des herrschenden Systems,
sondern im Gegenteil als machtstabilisierend. Besonder schoen ist das
am gesamtoesterreichischen Beispiel erkennbar: Alle paar Jahre darf
man sein Kreuzerl machen -- was zwar auch immer als stoerend von der
Elite betrachtet wird, weil Wahlkaempfe halt anstrengend sind,
deswegen wurde ja auch die Legislaturperiode ohne viel Federlesens
verlaengert --, doch letztendlich haben sich OeVP und SPOe seit 1945
die Republik immer schoen gemuetlich aufgeteilt. Die Spitzenbeamten
blieben sowieso immer die Gleichen. Und so spielt man Demokratie. Wenn
dann aber eine FPOe auftaucht, die mit dem Unmut eines sukzessive
absichtlich entpolitisierten Volk an Einfluss gewinnt, sind diese
Spitzen der Politik erstens empoert und versuchen zweitens diese
Opposition so einzubinden, auf dass sich ja nichts aendere.

Echte Demokratie braucht echte Oeffentlichkeit. "Republik", das
bedeutet, die Politik sei eine "oeffentliche Angelegenheit". Ansonsten
bleibt sie Chimaere, und nicht mal eine unterhaltsame.

Damit komme ich wieder zurueck zu den Wiener Gruenen -- in ihrer Zeit
der Oppositionspolitik waren sie ziemlich aufdeckerisch unterwegs und
gegen den speziell in dieser Stadt atemberaubend dichten Filz
aufgetreten. Jetzt sind sie in einer Koalition mit der SPOe und ich
glaube ihnen das ehrliche Bestreben, in dieser Stadt etwas verbessern
zu wollen. Nur: Wenn sie dieses Bestreben nicht klar dokumentieren und
damit auch so manchen Oberwachtel oeffentlich vor den Kopf stossen,
werden sie selbst zu einem Teil dieses Filzes -- und das waere so
ziemlich das Ende der letzten einigermassen fortschrittlichen
Landesorganisation der Bundesgruenen.

Aber das waere nicht einmal das Schlimmste. Schlimmer waere noch der
gesellschaftliche Effekt: Einmal abgesehen von Revolutionen, gibt es
nur selten die politische Chance, paternalistische Machtstrukturen
aufzubrechen -- die Wiener Gruenen haben jetzt eine dieser raren
Moeglichkeiten der Geschichte, prinzipielle Aenderungen in der Art der
Verwaltung dieser Stadt, damit aber auch dieses Landes durchzusetzen.
Der Obrigkeitsstaat von Partei- und Beamten-Adel koennte ein wenig zum
Broeckeln gebracht werden. Wuerden die Gruenen diese Chance zugunsten
von Fahrradstrassen und Solaranlagen und ein paar Poestchen ungenutzt
vorueberziehen lassen, waere das ein wirklicher Skandal.
*Bernhard Redl*



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