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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 2. Maerz 2011; 02:09
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USA:

> Wisconsin - The Home of the Brave

Ein Hauch von Revolution weht durch den Mittleren Westen der USA

In Schottenrock mit Helm und roter Weste reckt er die linke Faust hoch
waehrend er lauthals mit Zehntausenden ArbeiterInnen singt: "O'er the
land of the free, and the home of the brave!" Aus den Kehlen tausender
ArbeiterInnen aus Wisconsin, die dieser Tage das Kapitol der
Hauptstadt Madison belagern, klingt die Hymne der Vereinigten Staaten
nicht wie die Hymne einer militaerischen und oekonomischen Weltmacht.
Man hoert hier viel eher das trotzige Beharren auf der eigenen
Freiheit, die demokratische Gesinnung jener Zeit als Francis Scott Key
1814 aus Freude ueber den Sieg ueber die Briten den Text zu "The
Star-Spangled Banner" schrieb und damit jenes Lied schuf, das 1931 zur
offiziellen Nationalhymne der Vereinigten Staaten und damit auch zum
‚Soundtrack' des amerikanischen Kampfes gegen Nazideutschland werden
sollte.

Fuer europaeische Linke mag dies befremdlich wirken, aber
amerikanische ArbeiterInnenproteste sind durchaus patriotisch. Man
sieht hier amerikanische Fahnen oder Transparente, auf denen zu lesen
ist, dass es "unamerikanisch" waere, Gewerkschaften verbieten zu
wollen. Dazwischen sind jedoch ganz selbstverstaendlich Transparente
auf Spanisch oder fuer die Rechte von Immigranten zu finden. Dieser
Patriotismus unterscheidet sich allerdings fundamental von jenem der
Tea Party. Dieser Patriotismus inkludiert auch MigrantInnen, bezieht
sich auf ein Land in dem man AmerikanerIn werden kann, wenn man an
dessen Aufbau mitwirkt. Hier beharren ArbeiterInnen und Angestellte
des oeffentlichen Dienstes trotzig darauf, dass sie Amerika aufgebaut
haben und nicht die Konzerne, die sich nun Politiker wie den
Gouverneur Scott Walker kaufen koennen, dieses Land aufgebaut haben.

Angriff auf die Gewerkschaften

Der erst im Herbst 2010 gewaehlte republikanische Gouverneur von
Wisconsin, der der Tea Party nahesteht, hatte als einer seiner ersten
Amtshandlungen eine massive Kuerzung der Steuern fuer Unternehmen
durchgesetzt um, wie er behauptete, im internen "Standortwettbewerb"
mit anderen US-Bundesstaaten Unternehmen in das bis auf die Stadt
Milwaukee weitgehend landwirtschaftlich gepraegte Wisconsin zu locken.
Bis dahin hatte Wisconsin keine groesseren Budgetprobleme als viele
andere Bundesstaaten in der Wirtschaftskrise auch. Mit dieser
Beguenstigung von Unternehmen schlitterte Wisconsin allerdings in eine
akute Budgetkrise, die nun nicht nur zu grossen Budgetkuerzungen im
Bildungs- und Sozialbereich fuehren sollen, sondern auch zu einer
massiven Einschraenkung von Gewerkschaftsrechten genutzt werden
sollen. Neben Kuerzungen von Pensionsanspruechen und hoeheren
Krankenversicherungsbeitraegen fuer oeffentlich Bedienstete, erhitzt
vor allem der Angriff auf die Kollektivvertragsfaehigkeit der
Gewerkschaften die Gemueter. Geht es nach dem Gesetzesvorschlag der
Republikaner, sollen Gewerkschaften in Zukunft nur noch den Lohn
verhandeln duerfen, aber bei allen Zusatzleistungen - etwa Pensions-
oder Urlaubsanspruechen - nicht mehr an Verhandlungen beteiligt
werden. De facto kommt dies aus Sicht der Gewerkschaften einem
Ausschalten der Gewerkschaftsrechte im oeffentlichen Sektor gleich.
Fuer die Feuerwehren, die Polizei und die GefaengniswaerterInnen,
wuerden die Plaene Walkers einem voelligen Gewerkschaftsverbot
gleichkommen. Die GefaengniswaerterInnen fuehlen sich zudem von den
Privatisierungsplaenen fuer die verbliebenen staatlichen Gefaengnissen
bedroht. LehrerInnen und UniversitaetsprofessorInnen sehen nicht nur
ihre eigenen Rechte als Angestellte, sondern auch die Zukunft der
Bildungseinrichtungen bedroht.

Damit hatte Walker die Angehoerigen des oeffentlichen Dienstes, die im
Gegensatz zu den Privatangestellten immer noch ueber einen relativ
hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad verfuegen, durchgehend
gegen sich aufgebracht. Nach juengsten Umfragen wird der
Gesetzesvorschlag des Gouverneurs von 7 von 10 BuergerInnen Wisconsins
abgelehnt. Seit er am 11. Februar seine Plaene verkuendete kommt
Wisconsin nicht mehr zur Ruhe. Bereits am 15. Februar ginge tausende
DemonstrantInnen in der Hauptstadt Madison auf die Strasse. Seit dem
17. Februar halten DemonstrantInnen das Kapitol besetzt. Taeglich
kommt es zu Demonstrationen mit Zehntausenden ArbeiterInnen und
Angestellten. Seit Ende Februar greifen die Proteste auch auf andere
Bundesstaaten ueber, wo sich ArbeiterInnen und Angestellte mit ihren
KollegInnen in Wisconsin solidarisieren.

Aegyptische Zustaende

Aber auch internationale Solidaritaet erreicht die DemonstrantInnen in
Midwest: In den letzten Wochen trafen Solidaritaetstelegramme aus
Europa, Aegypten oder Indien ein. Ein Foto eines Demonstranten am
Midan Tahrir in Kairo, der ein Plakat in Solidaritaet mit den
DemonstrantInnen in Wisconsin in die Hoehe hielt, wurde nicht nur
begeistert zur Kenntnis genommen, vielmehr beziehen sich in Wisconsin
DemonstrantInnen zunehmend auf Aegypten. Gouverneur Walker wird mit
Mubarak gleichgesetzt. "Aegypten wird eine Demokratie, wir bekommen
einen Diktator!" heisst es auf einem Transparent.

Die Demonstrationen und die Besetzung des Kapitols haben den Charakter
eines bunten Happenings. Hier DemonstrantInnen in Verkleidungen, die
sich ueber Walker lustig machen, selbst gebastelte Transparente
unterschiedlichsten Inhalts, Trommlergruppen oder ein ‚Chor der
wuetenden Grossmuetter' versuchen dem Gouverneur klar zu machen, dass
auch in Wisconsin der Widerstand gegen eine neoliberale Umverteilung
von Unten nach Oben waechst. Neben Gouverneur Walker ist sein
Wahlkampfinanzier David Koch zum Hauptfeind der DemonstrantInnen
avanciert. Koch, der 1980 Vizepraesidentschaftskandidat der
Libertarian Party war und mit seinem Bruder das weitreichende
Firmenkonglomerat der Koch Industries besitzt, gilt als der
zweitreichste Buerger New York Cities. Das teilweise noch aus den
Geschaeften der Familie mit den Nazis stammende Geld der
Erdoeldynastie, wurde u.a. als Wahlkampfhilfe fuer Walker verwendet.
Zwischen 1997 und 2008 gab Koch 17 Millionen U$ an rechte
Lobby-Gruppen, die gegen Gewerkschaften mobilisierten. Sein Einfluss
auf Walker wird von den DemonstrantInnen als wesentlich fuer die
strikte Weigerung des Gouverneurs gesehen, zumindest die Zerschlagung
der Gewerkschaften zurueckzunehmen.

Sheriff fahndet nach Abgeordneten

Die 14 demokratischen SenatorInnen flohen mittlerweile nach Illinois.
Damit verhinderten sie, dass im Senat das notwendige Quorum fuer die
Gesetzesaenderung erreicht werden konnte. Nach der 1848 geschriebenen
Verfassung von Wisconsin duerfte der Sheriff ausgeschickt werden, um
abwesende Senatoren, die auf die Sitzung vergessen hatten, zu holen.
Diese Regelung wurde nun benutzt um naechtliche Hausdurchsuchungen bei
den demokratischen Senatoren durchzufuehren. Alle 14 befanden sich
allerdings tatsaechlich im Nachbarbundessstaat und so weit reicht die
Amtsgewalt des Sheriff nicht. Die demokratischen SenatorInnen wurden
damit fuer viele zu HeldInnen.

Linke Gruppen fuehren die Reaktion der demokratischen SenatorInnen
hingegen auf den Druck der Strasse zurueck und halten wenig vom
opportunistischen Verhalten der DemokratInnen, die erst auf den Zug
aufgesprungen waeren, als die Basis schon laengst damit abgefahren
waere. Einige linke Gruppen verkaufen ihre eigenen Zeitschriften und
verteilen Flugblaetter um auf die jeweils eigenen Ziele aufmerksam zu
machen. Die trotzkistische ‚Socialist Alternative' versucht auf eine
eigene Arbeiterpartei hinzuarbeiten, die Gewerkschaften der AFL-CIO
wollen hingegen mit Hilfe der Demokratischen Partei moeglichst viele
Rechte verteidigen. Die ueberwiegende Mehrheit der DemonstrantInnen
hier sind einfache Gewerkschaftsmitglieder und dazu zaehlen neben
LehrerInnen, Krankenschwestern oder Feuerwehrmaennern auch Polizisten
und GefaengniswaerterInnen. Eine junge Anarchistin meint: "Es ist
schon etwas seltsam mit den Gefaengniswaertern zu demonstrieren.
Normalerweise stehe ich auf Seiten der Gefangenen und nicht auf der
der Waechter. Aber wenn sie die Gefaengnisse privatisieren wird es
fuer die Gefangenen auch noch schlimmer. Wir muessen deshalb mit
diesen Widerspruechen umgehen lernen."

Die politischen Positionen innerhalb der Protestbewegung liegen
gelinde gesagt sehr weit auseinander. Eine Protestbewegung in der vom
Bischof der Episcopal Church bis zu den anarchistischen Wobblies, von
den verschiedensten trotzkistischen Gruppen bis zu den Polizei- und
Gefaengniswaechtergewerkschaften, alles teilnimmt, was eben nicht mit
der gewerkschaftsfeindlichen Linie des Gouverneurs einverstanden ist,
kann auch gar nicht anders, als mit Widerspruechen innerhalb der
Bewegung umzugehen. "Wir sind uns derzeit nur einig darin, dass wir
diesen Gesetzesentwurf weg haben wollen. Was wir stattdessen wollen,
muessen wir erst diskutieren." bringt es James Oberley, Professor fuer
Geschichte an der University of Wisconsin auf den Punkt. Er ist mit
einem Bus der grossen Gewerkschaftsfoederation ALF-CIO von Eau Claire
im Nordwesten Wisconsins vier Stunden durch das Schneetreiben nach
Madison gefahren um an der Demonstration teilzunehmen.

Wie er kommen staendig DemonstrantInnen aus dem ganzen Land in die
Hauptstadt. Aber auch in anderen Bundesstaaten wird die Entwicklung in
Wisconsin genau beobachtet. Die groesste soziale Bewegung seit
Jahrzehnten macht Linken und GewerkschafterInnen Hoffnung und
Republikanern und Tea Party Aktivisten Angst. Ein Kompromiss ist in
Wisconsin kaum mehr moeglich. Walker will mit den DemonstrantInnen und
Gewerkschaften nicht sprechen. Im Falle eines Generalstreiks droht er
die ‚National Guard', also der Streitkraefte des Bundesstaates, zur
Bewachung der Gefaengnisse und Aufrecherhaltung der oeffentlichen
Ordnung einzusetzen. Die DemonstrantInnen fordern hingegen offen
Walkers Ruecktritt. Der Ausgang dieser Machtprobe wird ueber Wisconsin
hinaus von Bedeutung sein.
*Thomas Schmidinger (derzeit Madison, Wisconsin)*

*

Anm.d.Red.: Es gibt Anzeichen dafuer, dass die Proteste langsam auf
andere Bundesstaaten uebergreifen. Unter anderem hatten sich kuerzlich
Tausende von Regierungsangestellten in Columbus im Bundesstaat Ohio zu
Protesten gegen ein aehnlich reaktionaeres Gesetz von Gouverneur John
Kasich versammelt. In Indiana hatten sich bis zu 600 Stahlarbeiter zum
Regierungssitz in Indianapolis begeben, um gegen ein so genanntes
Gesetze fuer das "Recht auf Arbeit" zu protestieren, das in Wahrheit
die Rechte der Arbeiter weiter einschraenkt.




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