**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 2. Maerz 2011; 01:55
**********************************************************

Irak:

> Auch Bagdad hat einen Tahrir-Platz

Der revolutionaere Vulkan in Nahen Osten hat -- bislang kaum bemerkt
von oesterreichischen Medien -- den Irak erreicht. Bei landesweiten
Protesten sind am Freitag, den 25.02., mindestens neun Menschen
getoetet worden. In mehreren Staedten schossen Wachmannschaften auf
Demonstranten, die Regierungsgebaeude stuermen wollten, hiess es aus
Polizeikreisen.

In der noerdlichen Stadt Mossul versammelten sich Hunderte
Demonstranten vor dem Gebaeude des Provinzrats, als Sicherheitskraefte
in die Menge schossen. Dabei wurden nach Angaben eines Polizisten und
eines Krankenhausmitarbeiters fuenf Demonstranten getoetet und fuenf
weitere verletzt. Nach Augenzeugenberichten kam es auch in Falludscha
im Westen des Irak zu Zusammenstoessen zwischen Demonstranten und der
Polizei. Aufgebrachte Menschen setzten dort ein Behoerdengebaeude in
Brand.

Zudem demonstrierten Tausende Menschen in der suedlichen Stadt Basra
gegen den Gouverneur Scheltak Abbud, der nach einigen Stunden seinen
Ruecktritt erklaeren musste, wie die irakische Agentur Al-Sumaria News
berichtete.

In Hawidscha noerdlich der Hauptstadt Bagdad haetten wuetende
Demonstranten versucht, in ein staedtisches Gebaeude einzudringen,
sagte der Vorsitzende des Gemeinderats, Ali Hussein Salih. Nach
Angaben des Polizeichefs von Hawidscha wurden bei den Protesten drei
Menschen getoetet und 15 weitere verletzt.

Revolution des Zorns

"Tahrir" bedeutet Befreiung. Auch in Bagdad gibt es einen Platz dieses
Namens im Stadtzentrum. Dort gingen mehrere tausend Menschen auf die
Strasse. Sie schwenkten Fahnen und skandierten Parolen wie "Nein zur
Arbeitslosigkeit" und "Nein zum Luegner Al-Maliki". Die Demonstranten
forderten soziale Reformen und mehr Arbeitsplaetze. Viele Iraker
machen Ministerpraesidenten Al-Maliki fuer die schlechte
Wirtschaftslage, die verbreitete Korruption und die mangelhafte
Versorgung beispielsweise mit Strom verantwortlich.

Die Polizei ging mit Traenengas, Wasserwerfern und Knueppeln gegen die
Demonstranten auf dem Platz vor, als diese sich in Richtung des
Parlaments und der US-Botschaft bewegten. Zahlreiche Soldaten
kontrollierten die Demonstranten an den Zugaengen zu dem Platz und
riegelten Strassen mit Stacheldraht ab.

Die Initiatoren der Proteste hatten zu einer "Revolution des
irakischen Zorns" aufgerufen. Religioese und politische Fuehrer im
Irak hatten am Vortag dagegen verlangt, auf die Demonstration zu
verzichten. Auch der im Irak residierende Grossajatollah Ali
al-Sistani hatte zunaechst Zurueckhaltung gefordert. Am Freitag
erklaerte er dann: "Wir sind mit den berechtigten Forderungen der
Menschen und ihrem Recht, diesen friedlich Ausdruck zu geben."

Menschenrechtler kritisierten, die Regierung habe Angriffe von
Schlaegertrupps auf friedliche Demonstranten erlaubt. Die
Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen verurteilte zudem, dass
die Berichterstattung ueber die Proteste in Bagdad eingeschraenkt
worden sei.

Vorgeschichte in Kurdistan

Begonnen hatten die Proteste in Irakisch-Kurdistan. Nachdem in Arbil,
der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion des Irak, das
Parteibuero der Oppositionspartei Goran (Bewegung fuer den Wandel) am
Donnerstag, den 17. Februar 2011, in Brand gesetzt wurden und bei
Protesten in Suleymania, der zweitgroessten Stadt Irakisch-Kurdistans,
Sicherheitskraefte der Kurdischen Regionalregierung in die
demonstrierende Menge geschossen hatten und dabei den 14 Jahre alten
Rezhwan Ali toeteten (andere Quellen sprechen von zwei Toten) und
ueber 50 ZivilistInnen verletzten, kam es an den darauffolgenden
beiden Tagen zu weiteren Protesten gegen die zunehmend autoritaerer
agierende Regierung unter der Fuehrung Masud Barzanis und der von
seinem Clan gefuehrten Demokratischen Partei Kurdistans (PDK).

Suleymania, das als Hochburg von Goran und des PDK-Koalitionspartners
PUK bekannt ist, wurde in Folge dieser Proteste in der Nacht von
Freitag auf Samstag von Einheiten der "Zeravani", einer von der PDK
kontrollierten militaerischen Polizei, besetzt. Die Zeravani versuchen
die von der Kurdischen Regionalregierung verhaengte Ausgangssperre
durchzusetzen. Trotzdem kam es am 19.2. erneut zu Protesten, bei denen
mindestens acht DemonstrantInnen verletzt wurden. Am Abend dieses
Tages kam es auch in der Stadt Darbandikhan zu Demonstrationen. In
Shaqlawa wurde hingegen zeitgleich das ebenfalls das oertliche Buero
der Goran in Brand gesetzt.

Die weit verbreitete Unzufriedenheit gegen Armut und Arbeitslosigkeit
im kurdischen Teil des Iraks verschaerfte sich nach umfangreichen
Faelschungen waehrend der Wahlen vom 25. Juli 2009. Die neue Partei
Goran wurde vom ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der
Patriotischen Front Kurdistans (PUK) gegruendet. Die Partei gewann 24
Prozent der Stimmen. Erstmals gibt es eine Oppositionspartei im
Regionalparlament.

Die KDP und PUK hatten sich im irakischen Kurdistan seit dem
Buergerkrieg gegeneinander Mitte der neunziger Jahre die Macht
geteilt. Die KDP wird vom Praesidenten der Region Masoud Barzani und
die PUK vom Praesidenten des Irak, Tschalal Talabani, gefuehrt.
(Leeza, Deutsche Welle, CWI/akin)


Quellen:
Abbas Sdiq, CWI Schweden: http://www.sozialismus.info/?sid=4113
Deutsche Welle, Naima El Moussaoui (dpa, afp):
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,14874966,00.html
LeEZA - Liga fuer emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit:
http://www.leeza.at



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin