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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. Februar 2011; 03:50
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EXTRABLATT. Die naechste gedruckte Ausgabe erscheint erst am 2.3.2011
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Debatte/Demokratie:

> Was das Volk begehren soll

Der Text des Bildungsvolksbegehrens bietet für jeden etwas -- aber was
eigentlich?

So haben sie sich das vermutlich gedacht, die Protagonisten des
Bildungsvolksbegehrens: Unter den 12 Forderungen soll wohl für jeden und
jede etwas sein, mit dem mensch sich identifizieren kann. Eine breite
Vielfalt an begehrenswerten bildungsrelevanten Wünschen wird auch eine
breite, vielfältige Unterstützung im Volk finden. Und es macht auch nichts,
wenn manche Haupt- und Nebenforderungen im Begehrenstext einander
widersprechen; das entspricht den widersprüchlichen Meinungen und Positionen
im Volk. Damit es nicht allzu kontrovers wird, streue man noch ein paar
grundsätzliche, allgemein formulierte Bildungsziele ein; vorzugsweise
solche, die längst selbstverständliches Allgemeingut, also allgemein
erstrebens- und begehrenswert geworden sind - jedenfalls im Großteil der
Bevölkerung. An derartige Ziele braucht man nur erinnern. Andere Forderungen
hingegen, die auf den ersten Blick Widerspruch und Verweigerung auslösen
könnten, formuliere man gar nicht als solche.

So eine Rezeptur - in Wahlzeiten bekannt als Stimmenmaximierungsprogramm -
garantiert eine ausreichende Anzahl Unterschriften und damit den "Erfolg"
eines Volksbegehrens. Dieser besteht ja nur darin, dass die Thematik im
Parlament auf die Tagesordnung kommt. Und dann? Was soll dann geschehen?
Kann so eine Forderungs- und Zielemixtur denn eine andere Qualität der
bildungspolitischen Auseinandersetzung bewirken als die, die man schon seit
Jahrzehnten hierzulande kennt? Ein Blick auf ein paar Forderungen dieses
Bildungsvolksbegehrens (BVB) macht dessen Sinnhaftigkeit sehr fragwürdig.

Widersprüchliches und Schleierhaftes

Das (BVB) "... fordert ein ... modernes, unbürokratisches ... autonomes
Schulsystem ... und ohne parteipolitische Einflussnahme. Das heißt: Das
Ministerium gibt die Bildungsziele vor .... und ist für die
Qualitätssicherung verantwortlich". Aber es gibt eben nur parteipolitisch
besetzte Ministerposten. "Für die Festlegung der pädagogischen Ziele ...
sind die Schulen autonom zuständig." Den Gestaltungsspielraum (pädagog.
Instrumentarium) innerhalb der Rahmen- bzw. Kernlehrpläne (=Bildungsziele)
gibt es schon lange. Der wird von Lehrerinnen und Lehrern auch längst - wenn
auch in unterschiedlichem Maße - genutzt. Da die Qualitätssicherung eine
Funktion der Aufsichtsbehörde (Ministerium) sein soll, widerspricht das der
BVB-Forderung nach parteipolitischem Nicht-Einfluss. Das Verhältnis zwischen
geforderter Schulstandort-Autonomie und Ministeriumsrolle wird gar nicht
erst andiskutiert. Der Widerspruch bleibt unausgesprochen. Welche konkrete
Änderung gegenüber dem status quo somit vom BVB verlangt wird, ist nicht zu
erkennen.

"Bezirks- (und) Landesschulräte ... samt den parteipolitisch
zusammengesetzten Kollegien werden ersatzlos gestrichen. Sie sind unter
Berücksichtigung der SchulpartnerInnen neu zu gestalten." Also was gilt
jetzt: Ersatzlos oder doch zu ersetzen? Wenn diese Schulräte vom BVB für
verzichtbar erklärt werden, warum sollen sie plötzlich MIT den
SchulpartnerInnen (Lehrer/innen, Schüler/innen, deren Mütter und Väter)
sinnvoll werden? Hat da vielleicht ein/e übereifrige/r Elternvertreter/in
unter den BVB-Protagonisten ihre/seine Mitsprachesucht ausgelebt? Oder
waren's Lehrerinnen und Lehrer, die sich allenthalben missliebige
Inspektorinnen und Inspektoren irgendwie vom Leibe halten wollen? Der
Schülerinnenvertretung dürfte eine Mitwirkung bei der Gestaltung einer
"ersatzlos zu streichenden" Institution ziemlich wurscht sein. Was soll hier
also begehrt werden und von wem?

"Für ... das Personalmanagement sind die Schulen autonom zuständig. Die
Schulpartnerinnen müssen dabei in die Verantwortung eingebunden werden."
Wörter wie "autonom" und "Mitsprache, Mitverantwortung" werden hier
suggestiv für etwas eingesetzt, das völlig unklar gelassen wird: Sollen in
Zukunft die Beschäftigungsverhältnisse zwischen Schulleitung und den
Lehrpersonen geschlossen bzw. aufgelöst werden, oder geht es darum,
Lehrpersonen für den Standort anwerben bzw. von der Schule leichter
entfernen zu können? Heißt es - im Umkehrschluss -, dass Lehrerinnen sich
die Schule aussuchen können, in der sie arbeiten wollen? Dass dann
vielleicht manche Schulen ohne eine Lehrperson dastehen, weil keine dort
lehren will? Und wofür sollen Eltern- und Schülerinnenvertretung
(mit)verantwortlich sein, wenn das Ausmaß der Personalkompetenz am
Schulstandort überhaupt nicht klar dargelegt ist. Sind die Schulpartnerinnen
am Ende gar selbst (autonom) dafür verantwortlich, dass sie zu wenig
Sponsoren (vorzugsweise aus dem Finanzsektor) auftreiben konnten, um die
Finanzierung des Projektunterrichts "Soziales Lernen" für einen Jahrgang
sicherzustellen?

Der Text streut den Leuten Sand in die Augen, spekuliert mit positiv bzw.
negativ besetzten Reizwörtern, um Zustimmung zu einem Anliegen zu
erheischen - ja, zu welchem denn? Es soll "modern, unbürokratisch, autonom,
nicht parteipolitisch" sein. Aber was ist es?

Das BVB fordert "die Gleichstellung der Kindergärten mit den Schulen" und
folgerichtig sollen "die Kindergärten in die Bundeszuständigkeit kommen".
Kann man daraus schließen, dass im geforderten Kindergartensystem die
gleichen widersprüchlichen, verschleierten Autonomien, Mitsprachen und
Mitverantwortlichkeiten der Partnerinnen impliziert sind wie im Schulsystem?
Darüber erfährt der interessierte Leser des BVB-Textes jedoch nichts. Statt
dessen liest er/sie die Forderung nach "deutlich erhöhten Anfangsbezügen"
und einzubauenden "finanziellen Leistungsanreizen" bei den Pädagoginnen. Das
wäre erstmalig in der Geschichte, dass ureigenste gewerkschaftliche
Forderungen mithilfe eines Volksbegehrens erreicht würden.

Das Kind als Investitionsallokation

Kinder "lernen ab Geburt ganz natürlich", liest man im BVB-Text und "die
Volksschule ist in die Lage zu versetzen, Lesen, Schreiben, Rechnen und
freie Rede wieder so zu vermitteln, dass die gegenwärtigen Defizite abgebaut
werden". Die Volksschule muss wieder der Ort des "Ja, natürlich Lernens der
Kulturtechniken" werden - der Killer vom Billa lässt grüßen! Und weil
Bioprodukte, wie man weiß, teurer sind, muss man dafür auch mehr bezahlen.
Aber die BVB-Protagonistinnen, insbesondere die nachhaltig denkenden
Ökonomen unter ihnen, versichern uns: "Jede Bildungsinvestition im
frühkindlichen Alter macht sich später um ein Vielfaches bezahlt." Der
geheime Antrieb des "natürlich Lernens" ist wohl die Freude am Lernen,
weshalb "alle besonderen Begabungen ... gefördert und gefordert.. und die
Schwächen gezielt beseitigt werden müssen, um die Freude am Lernen zu
erhalten", klärt der BVB-Text den Leser auf. Unendlich groß scheint aber das
Vertrauen der BVB-Protagonistinnen in die natürliche Lernfreude nicht zu
sein, denn "die Grundfähigkeiten ... müssen so früh wie möglich erlernt und
ständig geübt werden." Ja, natürlich.

Man fragt sich, was dieses unsägliche ideologische Amalgam denn bewirken
soll. Dass für die Bildung - vom Kindergarten bis zur Universität -
hierzulande mehr materielle und personelle Ressourcen bereitgestellt werden
müssen, wird schon seit Jahrzehnten und erst recht in der letzten Zeit
unüberhörbar kundgetan. Die Palette der Begründungen für Forderungen dieser
Art war und ist viel größer als die engen "Sachzwänge", die aus diversen
PISA-Ergebnissen (je nach Ranking) abgeleitet wurden und werden. Die
Menschen, die für die Bereitstellung der Mittel für Bildung kämpfen, die
ihre Zeit unbezahlt dafür aufbringen, die auf die Straße gehen, die sich in
den Kindergärten, Schulklassen, Seminarräumen und Hörsälen dafür einsetzen,
diese Menschen haben weitaus vielfältigere Motive als das im BVB
vorgetragene, kaum kaschierte Verwertungsinteresse an besser ausgebildeten
Wirtschaftssubjekten.

Von seinen Protagonistinnen wird das BVB in der Öffentlichkeit gerne als
jene Kraft präsentiert, die in der Bildungspolitik den Lähmungszustand
(zwischen den Parteien) endlich beenden könnte. Das Volksbegehren wäre DAS
politische Instrument, das Bewegung ins Parlament bringen würde, sagen sie.
Die Verhältnisse sind jedoch andere: Das BVB springt auf einen Zug auf, den
ganz andere Kräfte ins Rollen gebracht haben, Kräfte, die weit über den
engen Horizont von Ausbildungsinvestitionen in die Ware Arbeitskraft
hinausreichen. Vielleicht haben diese Kräfte jene Freude am Lernen, von der
im BVB-Text zwar zu lesen ist, die aber von den BVB-Ideologen ganz sicher
nicht gemeint ist.

An den bildungspolitischen Bruchlinien bleibt das BVB ohne klare Aussage und
vermeidet jede in der Gesellschaft existierende Polarisierung. Es wiederholt
Gemeinplätze, denen sowieso jede/r zustimmt, unterstützt ein paar populäre
Forderungen, deren Realisierung erst zum Nimmerleinstag Kosten verursachen,
es wird aber sehr deutlich in der Formulierung der Richtung, für die
Bildungsinvestitionen aufgebracht werden sollen: Leistungs- und
berufsorientierte Differenzierung, Vorbereitung auf das spätere Leben in der
Gesellschaft und in der Wirtschaft, Laufbahn- und Karrieremodelle für
Lehrerinnen, ein Modell der Studienplatzfinanzierung, Steigerung der
Absolventinnenquote.

Der Volksbegehrenstext ist kein Fragebogen, bei dem man zu jeder Frage ja
oder nein sagen oder sich der Stimme enthalten kann. Wer unterschreibt,
liefert (fast) allen bildungspolitischen Positionen im Parlament
Argumentationshilfen.
*Peter Moser*



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