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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Februar 2011; 05:50
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Sozialforen:
WSF in Kolonial-Afrika
Von Sonntag, den 6. bis zum Freitag, den 11. Februar fand das
Weltsozialforum (WSF) in Dakar/ Senegal statt.
Wir schalten zu unserem Sonderkorrespondenten *Hermann Dworcak*.
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Im Zuge dieses Forums kam ich zum ersten Mal in meinem Leben nach
Afrika. Vor einigen Jahren wollte ich zum WSF nach Nairobi fahren.
Dann war der OeGB-Kongress, die Gewerkschaftslinke hatte einen
Auftritt vorbereitet und ich musste alles absagen. Diesmal schwor ich
mir, dass mir Afrika nicht entgeht!
Als "gestandener Marxist" hat man/frau natuerlich einen historischen
Raster hinsichtlich des "schwarzen Kontinents" im Hinterkopf:
Kolonialismus, Sklaverei, neokoloniale "Unabhaengigkeit" --
insbesonders in Senegal. Aber all das zu sehen, hautnah zu spueren,
ist ein anderes Ding.
Formal ist das Land seit 1960 unabhangig. An der Oberflaeche glitzert
buergerlicher Parlamentarismus (inklusive Senat). Die Wirklichkeit
liegt jedoch woanders. Die Massenarmut ist mit Haenden greifbar. Dakar
hat heute gut 2,5 Millionen Einwohner - durch die Landflucht werden es
immer mehr. Gleich an die Uni, in der das WSF stattfand, grenzt eines
der zahlreichen Elendsviertel. Aber auch hier treibt die
Allianz-Versicherung ihr Unwesen! Western Union-Bueros gibt es an
allen Ecken und Enden -- ein Indiz dafuer wie wichtig die
Ueberweisungen der im Ausland Arbeitenden zum Ueberleben der Menschen
hier sind.
Prekaerer Strassenhandel praegt das Allltagsbild. Die Loehne sind
schlicht katastrophal: Ein Bauarbeiter (fuer das neue IBIS-Hotel)
erzaehlt mir, dass er pro Tag umgerechnet 3 Euro bekommt. Aber auch in
dem guten Hotel, in dem ich wohne, ist die Lage nicht besser: Ein Ober
verdient ohne Trinkgeld gerade mal 2 Euro pro Tag.
Kein Wunder, dass SenegalesInnen daher jede Gelegenheit benutzen, um
mit AuslaenderInnen "ins Geschaeft zu kommen". Auch die Voluntairs auf
dem WSF setzen alles daran, sich ein wenig dazuzuverdienen.
Die Praesenz des franzoesischen Imperialismus ist ueberall.
Oekonomisch sowieso, aber nicht weniger militaerisch: Franzoesische
Gendarmerie und franzoesische Truppen. Im Plateau-Viertel im Zentrum
residiert, wie einst im Kolonialismus, ein franzoesischer General...
Bei all dem Elend und der ungebrochenen Praesenz des Imperialismus ist
es nur natuerlich, wie positiv die Reaktionen der Menschen hier auf
den Abgang der Diktatoren in Tunesien und Aegypten ausfallen. Einer
der bekanntesten Rapper Senegals, der auch auf dem WSF auftrat, hat
unmissverstaendlich den Abgang des senegalesischen Praesidenten Wade
gefordert.
Auf den inhaltlichen Treffen des Forums waren die Krisen des
Kapitalismus, die ja noch lange nicht ausgestanden sind, Gegenstand
tiefgehender Analysen und es gab jede Menge spannender Debatten, wie
man ihnen praktisch begegnen kann: So hat sich ja in Cancun schon hat
gezeigt, dass auch die besten Alternativkonzepte ("Systemwandel statt
Klimawandel") allein nicht ausreichen und dass konkret ueberlegt
werden muss, mit welchen Buendnissen sie politisch umgesetzt werden
koennen.
Auf der Demonstration am 6. Februar, so wie auf den Treffen des Forums
waren auch viele afrikanische Laender praesent, und so gab es einen
wirklichen Austausch von Ideen zwischen Norden, Osten und Sueden.
Dieser faszinieremde Marsch durch die Stadt begann beim RTS (Radio
Televison Senegal) und dauerte viele Stunden. Zehntausende von Leuten
nahmen daran teil. Man konnte GewerkschafterInnen,
UmweltschuetzerInnen und FeministInnen aus allen Teilen der Welt
sehen. Viele der vertretenen Bewegungen zeigten sich solidarisch mit
den revolutionaeren Kaempfen, die zu dieser Zeit in Tunesien und
Aegypten stattfanden. Einheimische Frauen forderten mit der Parole
"Wade Degage" ebenfalls den Ruecktritt des Praesidenten.
Nach dieser Demonstration und einer bewegenden Rede des bolivianischen
Praesidenten Evo Morales gab es am Montag, den 7.Februar einen
"Africa-Day". In einer Vielzahl von Workshops und Meetings wurden die
enormen Probleme des Kontintents analysiert. Nicht selten standen dir
revolutionaeren Prozesse in Tunesien, Aegypten und anderen arabischen
Laendern im Mittelpunkt der Diskussionen.
Seit Dienstag (8.Feb) stand dann die komplette Bandbreite
oekonomischer, sozialer, oekologischer und politischer Krisen des
Kapitalismus auf der Agenda. Es gab zum Beispiel ein aeusserst
interessantes Seminar ueber den weltweiten Aufstieg von
Rechtsaussen-Parteien mit TeilnehmerInnen von drei Kontintenten. Es
gab auch eine exzellente Diskussion ueber die Grenzen von "Wachstum",
wie kapitalistische IdeologInnen den Begriff verstehen.
Am Donnerstag (10. Feb) fand das gut besuchte Forum der Sozialen
Bewegungen statt. Wieder gab es Solidaritaetsbekundungen mit den
revolutionaeren Umwaelzungen in arabischen Laendern. Mit einer
optimistischen Grundstimmung diskutierten wir ueber die grossen
gemeinsamen internationalen Aktionen im naechsten jahr.
ESF-Vorbereitung
Wir wollen nicht verschweigen, dass der Europaeische
Sozialforen-Prozess derzeit in einer Krise steckt, aber die
Veranstaltungen in Dakar waren wohl ein sehr positiver Input, um diese
Krise zu ueberwinden.
Von 4. Bis 6. Maerz findet in Budapest die Europaeische
Vorbereitungs-Versammlung im Kossuth Club statt, die durch GenossInnen
des ESF organisiert wurde.
Auch dieses Treffen findet in Zeiten offener und miteinander
kombinierter sozialer, oekonomischer und oekologischer Krisen des
globalen Kapitalismus statt. Im Mittelpunkt des Treffens stehen die
Konsequenzen der Krisen fuer mittel- und osteuropaeische Laender.
Kommt mit euren Ideen und Kritiken nach Budapest. Lasst uns gemeinsam
diskutieren, und entscheiden, in welchen Bereichen wir gemeinsam
agieren koennen. In der derzeitigen Situation glauben wir mehr als
bisher, dass eine andre Welt moeglich und notwendig ist, und dass das
ESF eine wichtige Rolle spielen kann, die Bewegungen zusammen zu
bringen. Mehr dazu unter: http://www.fse-esf.org
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