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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Februar 2011; 05:35
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Debatte/Bildungsvolksbegehren:

> Zu ungenau begehrt

Fuer die Gemeinsame Schule aller 6 - 15 Jaehrigen -- ohne Androsch's
Volksbegehren unterschreiben zu wollen ...


Ich bin seit vielen Jahren Lehrer in der 9. Schulstufe. Also in jenem
Schultyp, in dem sich (vor allem) in den Grossstaedten die
unterprivilegierten und immer haeufiger perspektivlosen Jugendlichen
konzentrieren. Also nicht nur weil ich Aktivist der oppositionellen
PV- & Gewerkschaftsgruppe "apfl" (Aktive PflichtschullehrerInnen) bin,
vertrete ich, wo sinnvoll, aus vollem Herzen die Gemeinsame Schule
aller 6 - 15-Jaehrigen!

Ein Volksbegehren des OeVP-Wirtschaftsbundes?

Wie Claudia Schmied hat auch Androsch's Volksbegehren-Initiative um
die Frage "Gemeinsame Schule bis 14 oder ... 15" herumgeeiert. Das ist
allerdings nicht der Hauptpunkt, warum mensch skeptisch an Androsch's
Initiative herangehen sollte. Ich beziehe mich im Folgenden auf den
Langtext "Oesterreich darf nicht sitzen bleiben - Forderungen des
Bildungsvolksbegehren" (Pressekonferenz 3.2.2011). Gleich im ersten
Absatz kommt eigentlich Christoph Leitls Sicht unserer Bildungszukunft
zum Ausdruck, wo eindeutig ueber den Anliegen fuer
Generationengerechtigkeit, Fairness und Weltoffenheit das
Bildungsniveau fuer den Wirtschaftsstandort Oesterreich radikal
angehoben werden muesse: "Oesterreich darf nicht sitzen bleiben"! Zum
Abschluss des Volksbegehren-Katalogs wird schliesslich ganz im
Bologna-Stil fuer diesen oesterreichischen Bildungsfortschritt
gefordert, dass die "Anreize und Motivationen fuer technische und
mathematisch-naturwissenschaftliche Faecher schon in der Mittelschule
und dort vor allem bei Schuelerinnen erzeugt werden" (9/2).

Anreize zu erhoehen ist selbstverstaendlich auch finanziell zu
verstehen, wo dann aber unverstaendlich bleibt, warum die
Androsch-Volksbegehren-ExpertInnen in ihrem zentralen Dokument bloss
erhoehte Budgets fuer Hochschulen, Universitaeten und Forschung
fordern? Und noch dazu bloss mickrige 2% der Wirtschaftsleistung bis
2020(!). Wo bleibt die Forderung fuer ein, zwei Bildungsmilliarden
ebenso fuer die jetzigen bzw. zukuenftigen Pflichtschulen?

Ganztagsschulen mit GanztagslehrerInnen und Personalhoheit der
Schulleitungen?

Diese beiden Punkte im Hauptdokument des Volksbegehrens sollten alle
jene beachten, die meinen, das Volksbegehren als Vehikel benuetzen zu
koennen, um auf das bislang zaehe SPOeVP-Hin und Her zur Gemeinsamen
Schule Druck erzeugen zu koennen.

"Schulleitungen und LehrerInnen erhalten Gestaltungsflexibilitaet.
Fuer die Festlegung der paedagogischen Ziele und das
Personalmanagement sind die Schulen autonom" (1/3). Bezirksschulraete
wie alle parteipolitisch zusammengesetzten Kollegien sollen "ersatzlos
gestrichen" werden. "Schulleitungen und LehrerInnen", so heisst es
auch in Schulorganisations- und LandeslehrerInnengesetzparagrafen
immer wieder, wo allerdings klar ist, dass die Schulleitungen ein fast
schon diktatorisches Weisungsrecht gegenueber den LehrerInnen
besitzen! Im ganzen Androsch-Forderungen-Dokument gibt es solche
unklaren Formulierungen, wobei Veit Sorger, Chef der
Industriellenvereinigung im Jaenner 2011 zur Frage der
Machtverhaeltnisse an einer zukuenftigen "Gemeinsamen Schule"
anmerkte, dass "mit Androsch bereits akkordiert sei (...), das
Leistungsprinzip in der Schule staerker zu verankern. Gleiches gelte
bei der Schulautonomie. Sorger: 'Direktoren sollen sich ihre Lehrer
aussuchen. Lehrer sollen mehr Macht bekommen, muessen sich dafuer aber
regelmaessigen Bewertungen stellen'." (Format, 6.1.2011)

Mein zweiter wichtiger Kritikpunkt, warum ich das
Androsch-Volksbegehren nicht unterschreiben werde, betrifft die - an
sich gute - VB-Forderung nach einem flaechendeckenden Angebot an
verschraenkten Ganztagsschulen. Die
Androsch-Leitl-Sorger-Expertengruppe meint naemlich, dass
vertrauensvolle Beziehungen zwischen LehrerInnen und SchuelerInnen nur
dann entstehen koennen, wenn diese sich "ueber den ganzen Tag hin beim
Lernen, Spielen, im Sport und beim gemeinsamen Mittagessen treffen"

Kann hier blauaeugig gemeint werden, dass die Schule der Zukunft, wie
sie SPOeVP-Regierung und Industriellenvereinigung planen, weiterhin so
funktioniert wie schon seit Jahren in GTS z.B. in Wien? LehrerInnen
haetten weiterhin ihre 21 oder 22 Stunden Lehrverpflichtung, begaennen
allerdings nicht immer um 8 Uhr, haetten mehr Nachmittagsunterricht
als an Nicht-GTS, aber eben nur 21 bis 22 Unterrichtsstunden!

"... eine leistungsdifferenzierte, hochwertige gemeinsame Schule bis
zum Ende der Schulpflicht ..."

Im Kurztext des VB (Presseaussendung 11.Feb. 2011) wird immerhin
relativ klar fuer eine gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht
Stellung bezogen. Doch viele Formulierungen im VB lassen, wie gesagt,
zu viele Varianten - also auch jene der Regierenden -- zu. Was heisst
"leistungsdifferenziert, hochwertig"? Oder die Frage, ob die
Gymnasium-Unterstufe weiter existieren soll oder nicht? Die
grundsaetzliche Frage ist naemlich, ob der Volksbegehrenstext und so
wie er in der Folge aus einem Parlamentsunterausschuss und aus einer
Abstimmung im SPOeVP-, FPOe-, Gruene- und BZOe-Nationalrat wieder
heraus kommt, schlussendlich ein taugliches Druckmittel fuer eine
Gemeinsame Schule sein wird, so wie (fortschrittliche) LehrerInnen und
SchuelerInnen es wuenschen?

Meiner Meinung nach kann nicht davon abstrahiert werden, dass die
Regierenden und Maechtigen dieses Landes seit Jahren zentrales
Interesse daran haben, die Arbeitszeit der LehrerInnen zu erhoehen.
Regierungsprogramm ist es zudem, das "Gemeinsame" Pflichtschulwesen zu
"entschlacken" (ohne Bezirksschulraete, Landschulratskollegien etc.
und mit Personalhoheit der Schulleitungen) - um sie laengerfristig
fuer's Budget "kalkulierbar" zu machen!

Androsch's VB-Text besitzt natuerlich auch etliche Textbausteine, die
unterstuetzenswert sind: die universitaere Ausbildung von
KindergartenpaedagogInnen und LehrerInnen; lebendige Unterrichtsformen
bis zu einer neuen Schularchitektur u.a.m. Doch gerade entscheidende
Stellen im Text, die aktuelle Konfliktpunkte in der oesterreichischen
Schulpolitik ansprechen, sind - gelinde gesagt - ungenau formuliert.
Und in keiner Weise zuletzt ist wohl nicht zu unterschaetzen, welch
politisches Kind Hannes Androsch ist und mit welchen Typen er sich in
seiner VB-Initiative umgibt: ",Fixer Punkt' wird nach Einschaetzung
von Androschs Mitstreiter Beppo Mauhart die Ganztagsschule sein, bei
der sich Unterricht, Freizeit und Betreuung abwechseln. ,Ganz sicher
nicht' enthalten sein werde dagegen die Forderung, dass es nur eine
Gesamtschule geben duerfe - so weit sei man in Oesterreich noch nicht,
schaetzte Mauhart die Stimmung ein." (Salzburger Nachrichten,
10.1.2011)

Ich werde somit das Androsch-VB nicht unterschreiben aber weiterhin
bei Kundgebungen fuer eine Gemeinsame Schule mit kleinen Klassen,
modularem, lebendigem Unterricht und einem rasanten Ausbau des
LehrerInnendienstpostenplanes teilnehmen. Ansonsten gilt es die
paedagogischen Betonierer, allen voran von der OeVP bis
GOeD-Neugebauer scharf zu kritisieren und abzuwaehlen. Und nach wie
vor ist tiefes paedagogisches und politisches Misstrauen gegenueber
SPOe- (und teilweise) Gruener Bildungspolitik angebracht!
*Karl Fischbacher*



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