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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Februar 2011; 02:34
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Debatten/Bildung:
> Die Schule der Buerger
"Der Lehrer hat es wirklich schwer,
strafen darf er nimmer mehr,
arme Schule, arme Schule..."
(Drahdiwaberl)
Am Dienstag, den 7. Februar 2011 brachten die "Salzburger Nachrichten"
eine ihrer unspannenden Debatten heraus, diesmal zum Thema
Schulbildung. Dabei wurden auch angehende Lehrer und Lehrerinnen
interviewt. In einem Punkt kam die Reportage auf die konservative
Haltung ihrer Zeitung zurueck, in dem sie sich solidarisch zu einer
sehr weit verbreiteten LehrerInnenmeinung zeigte, die besagt, dass die
Schule haeusliche Defizite nicht auszugleichen vermag. Behauptet von
in Ausbildung sich befindenden LehrerInnen wurde, dass die Defizite
der SchuelerInnen, wenn es um das Erlernen des Lesens geht, von den
Eltern ausgehen. Lehrer und Lehrerinnen waeren unmoeglich in der Lage,
Kindern das Lesen oder gar die Leidenschaft zu Buechern beizubringen,
wenn ihre Eltern ihnen nie schoene Geschichten vorgelesen haetten,
wenn ihre Eltern ihnen nie einen Bezug zu Buechern ermoeglicht
haetten. Konkret - welch ein Zufall - wurde das "Problem" erlaeutert,
dass es insbesonders immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund
gaebe, die ueberhaupt ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen in die
Schule geschickt wuerden. Welch ein Skandal aber auch.
Die Schule, beziehungsweise zahlreich vorhandene Lehrer und
Lehrerinnen - das wissen wir aus der Forschung - schieben die Schuld
an ihrem Unvermoegen gerne an die Eltern. Eltern schieben die
Verantwortung fuer ihre Vermittlungsdefizite ihren Kindern gegenueber
betreffend gerne an die Schule zurueck. In diesem Kreislauf moechte
ich mich hier nicht hinein begeben.
Es geht um grundsaetzlichere Fragen. Wir kennen den Kreislauf des
Werdegangs von SchuelerInnen aus verschiedenen sozialen
Heerkunftsfamilien. Kinder aus ArbeiterInnenfamilien und Kinder mit
Migrationshintergrund haben sehr viel weniger Chancen, aus der
Volksschule heraus in einer ersten Leistungsgruppe in der Hauptschule
oder in einem Unterstufengymnasium zu landen. Schaffen diese Kinder
das, haben sie deutlich weniger Chancen, in ein Oberstufengymnasium zu
kommen. Schaffen sie die Matura, haben sie deutlich weniger Chancen,
auf eine Universitaet zu gehen, schaffen sie diese, haben sie deutlich
weniger Chancen auf einen Abschluss (siehe einschlaegige Studien:
Guenther Haider, Paedagoge, Uni Salzburg, Institut fuer
Erziehungswissenschaften). Der Kreislauf ist auffaellig, und er
beginnt mit der Ueberzeugung angehender und junger LehrerInnen, dass
die Schule haeusliche "Defizite" nicht zu ueberwinden vermag, und ein
Lehrer, eine Lehrerin hier auch nichts mehr ausrichten kann. Mit welch
vernichtenden, das Kind vernichtenden Menschenbild beginnen hier
LehrerInnen Kindern zu begegnen? Die Streu vom Weizen trennen, ist das
das Ziel?
Wer wird LehrerIn? Menschen mit buergerlicher Vergangenheit und
gutbuergerlichen Vorurteilen anderen Gesellschaftsschichten
gegenueber. Diejenigen, die privilegiert genug waren, den
Bildungskreislauf in die Wiege gelegt, geschenkt bekommen zu haben.
Diese Leute sollen nun Kinder unterrichten, von deren Elternhaus sie
nichts begreifen, ausser dass sie maximal empoert sind ueber das nicht
vorhandene Buecherregal. Dabei ist die angehende LehrerInnengeneration
der Ueberzeugung, dass das haeusliche Defizit in der Schule nicht mehr
korrigiert werden kann. Die Selektion der Kinder in Richtung
Hilfsarbeiterin und Akademiker beginnt mit der Schule, beginnt damit,
dass sich Erwachsene um Kinder aus den sogenannten "bildungsfernen"
Schichten weniger bemuehen, damit, dass LehrerInnen ja auch einen
Erfolg sehen wollen, und sich an Kindern aus Familien, die ihnen
selber naeher stehen, auch emotional mehr bemuehen. Der sogenannte
Stoerenfried aus der dritten Klasse wird eine andere Behandlung in der
Schule erfahren, wenn er der Sohn eines anerkannten Arztes ist, als
derselbe "Stoerenfried" wenn er Sohn eines Bauarbeiters ist.
Die Buergersbrut erzieht die Buergersbrut, die ArbeiterInnen sollen
ruhig bluten, schliesslich braucht das Land auch Leute, die den Muell
der Reichen wegputzen. Wer keine Eltern hat, die dem Kinde kulturelles
Kapital zu vermitteln sich in der Lage sehen, soll ruhig im Staub und
Dreck der Reichen versinken. Die Schule ist nicht die Instanz, um
Kindern ohne "Bildungs"hintergrund diese zu vermitteln.
Tschuldigung, dumm gefragt: wozu brauchen wir diese Schule? Um unsere
Kinder zu quaelen? Damit sie taeglich ihre Degration zu spueren
bekommen? Damit sie taeglich erleben, dass bei ihnen Hopfen und Malz
verloren ist? Damit sie rechtzeitig lernen, was es in ihrem Leben zu
bedeuten haben wird, als nichtig beurteilt zu werden vom ersten
Schultag an, weil sie ohne elterliche Buecherregale aufgewachsen sind?
Abgesehen davon, ist es ein Armutszeugnis der Denkweise von
LehrerInnen und angehenden LehrerInnen, sich nicht einmal ansatzweise
darueber informiert zu haben, dass Schule und Bildung unabhaengig vom
Elternhaus gestaltbar ist. An dieser Stelle sei an Maria Montessori
erinnert, die mit ihren Methoden SchuelerInnen aus den Armenvierteln
unterrichtet hat: Die Kinder bekamen nach wie vor zu wenig und
mangelhafte Ernaehrung, aber sie sahen mit ihren Unterrichtsmethoden
viel gesuender und gesaettigter aus, abgesehen davon, dass sie sehr
wohl in der Lage waren, dem Unterrichtsstoff zu folgen. Ich erwaehne
hier bewusst ein Beispiel buergerlicher Reformpaedagogik an diese
Stelle.
Lehrer und Lehrerinnen, die der Meinung sind, einem Kind, das ohne
kulturelles Kapital des Familienkontextes aufwaechst ist nur noch
geringfuegig Bildung vermittelbar, sind entbehrlich und verzichtbar.
Sollen sich die Kinder lieber selber unterrichten.
Schule und Bildungszugaenge sollten familiaere Bedingungen
ausgleichen, auszugleichen versuchen, das Kind im Mittelpunkt sehen
und ihm - gerade beim Lesen - vielleicht auch eine Liebe zum Lesen zu
vermitteln. Eine erwachsene Person, die die Verantwortung fuer sich
uebernimmt, Kinder zu begleiten, sollte in der Lage sein, das Kind zu
sehen, das Kind und seine Potentiale, die Begabungen und Talente, die
Froehlichkeiten und Spontanitaeten, aber das koennen viele LehrerInnen
nicht mehr nachempfinden, das Kind-Sein wurde ihnen in ihren
"Bildungs"schichten ja gruendlich verdorben.
Es fehlt die Leidenschaft und das Engagement in den fuer mich wieder
einmal ernuechternden Aussagen kuenftiger sich in ein Schulsystem
einfuegender LehrerInnen, und jetzt komme ich zum Abschluss: es gibt
natuerlich LehrerInnen, die sich um die Kinder und Jugendlichen
bemuehen, einen Draht herstellen, denen jedes Kind wichtig ist, aber
die Traurigkeit in dieser Tatsache besteht auch darin, dass die
lieben, guten und besten der LehrerInnen das Handtuch geschmissen
haben und es bis heute tun, weil das Schulsystem sie zermuerbt hat und
zermuerbt.
*Rosalia Krenn*
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