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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 26. Jaenner 2011; 00:48
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Frankreich/Interview:

> Kein Ende der Proteste

In Frankreich waren die Widerstaende gegen die angeblich
krisenbegruendeten Reformen vieleicht die heftigsten in Europa.
Praesident Sarkozy sah sich im Herbst 2010 mit wochenlangen Streiks
und Blockaden konfrontiert. Die Polizei hatte Traenengas und
Gummigeschosse sogar gegen SchuelerInnen eingesetzt, um die Proteste
zu unterdruecken. Anfang Dezember war der Gewerkschafter *Hubert
Prevaud* von der CGT Airbus anlaesslich einer Diskussionsveranstaltung
in Graz zu Gast, wo *Johann Schoegler* mit ihm ein Interview fuehrte:

J: Die Bewegung im vergangenen Herbst in Frankreich war sehr stark,
aber Sarkozy hat - ohne sich zu ruehmen - die Reform schliesslich und
endlich doch durchgesetzt. In welchem Masse kannst Du hier trotzdem
sagen, dass es keine totale Niederlage dieser breiten Protestbewegung
war?

H: Formell gesehen ist es eine Niederlage, denn die Pensionsreform war
gesetzlich verabschiedet worden, aber die ArbeiterInnen, die sich in
Bewegung gesetzt hatten fuehlen sich nicht geschlagen; d.h. waehrend
der ganzen Kampfzeitphase gegen diese Pensionsreform haben sie die
Erfahrung ihrer Staerke gemacht und sie konnten nicht demoralisiert
und sagen wir besiegt werden. Das Gefuehl, wieder kampfbereit zu sein,
ist aufrecht und parallel dazu gibt es eine tief greifende Ueberlegung
ueber die Mittel, die man einsetzen muesste, um gegen so eine Reform
an zu kaempfen.

J: Was hat es Sarkozy schliesslich ermoeglicht, die Oberhand zu
behalten? Ist dies zurueckzufuehren auf Unterschiede zwischen der
Basis und den Interessen der gewerkschaftlichen Buerokratie oder war
eher die harte Entschlossenheit Sarkozys auf keinen Fall nachzugeben,
ausschlaggebend?

H: Ja, es hat, so wuerde ich sagen, eine Art Naivitaet seitens der
Gewerkschaftsfuehrung gegeben. Natuerlich sind das keine Naiven, aber
gleich zu Beginn, als sie sich in der Gewerkschaftsfront
zusammenschlossen (CGT, CFTD, ...) so ging es ihnen nicht darum, dass
die Reform zurueckgezogen wird, sondern dass diese Reform abgeaendert
wird. Sie waren nicht wirklich ueberzeugt, dass die Reform zu Fall
gebracht werden koenne und sie waren ueberzeugt, dass man eine
Pensionsreform brauche.

Aber die Mittel, die sie in die Hand nahmen, um sie zu Fall zu
bringen, waren nicht angebracht. Ein Genosse sagte trefflich, dass es
sich um Streiks mit einer Salami-Taktik handelte. Einen Aktionstag
Anfang September - man wartet eine Reaktion Sakorzys ab - entweder er
reagiert oder reagiert eben gar nicht darauf - also wurde ein weiterer
Aktionstag Ende September durchgefuehrt. Ebenso zwei im Oktober und
dann einen am Samstag, damit alle die Moeglichkeit haben, daran
teilzunehmen. Daraufhin wieder einen im November.

Diese Aktionstage hatten eine grosse breite Teilnahme zur Folge und
obwohl niemand der Illusion aufsass, man koenne damit die Ruecknahme
der Sarkozy-Reform erzwingen, war die Teilnahme trotzdem immer sehr
stark und das zeigt den gewaltigen angestauten Zorn, den es in der
franzoesischen Gesellschaft und bei den Arbeitern gibt; die
Frustration die vorherrscht.

Schliesslich haben sie alles wie einen Coup ueber die Buehne gebracht
in einer schnell beschlossenen Fernsehsendung.

Auf der einen Seite haben die Arbeiter starke Initiativen ergriffen,
wie die Blockade der Raffinerien; Gewerkschaftsuebergreifende
Arbeiter-Komitees blockierten die Zugaenge zu den Treibstofflagern
oder die Zugaenge zu gewissen Flughaefen; die Arbeiter des
EDF-Elektrizitaetskonzerns haben zu gewissen Verwaltungsgebaeuden wie
z.B. den Praefekturen den Strom abgeschaltet, ...

J: ... sie konnten aber die Blockade des Landes nicht erreichen ...

H: Sie waren um Haaresbreite an der totalen Blockade dran. So gab es
zu einem gewissen Zeitpunkt weniger als die Haelfte der 14.000
Tankstellen, die noch ueber Treibstoff verfuegten - noch drei oder
vier Tage und die Benzinversorgung waere am Ende und die ganze
Wirtschaft blockiert gewesen.

J: Die Regierung verordnete dagegen Zwangsraeumungen ...

H: Zwangsraeumungen bedeutet nicht, dass sie damit die Raffinerien
wieder in Gang setzen koennen. Die Arbeiter hatten Vertrauen in ihre
Aktion. Leider ist zu einem gewissen Zeitpunkt die
Gewerkschaftsfuehrung und vor allem die der CFDT - Francois Chéréque
der Bewegung in den Ruecken gefallen, als er seine Unterstuetzung und
sein Verstaendnis fuer die polizeilichen Raeumungen bekundete.

J: Die gewerkschaftliche Einheitsfront an der Spitze der
Gewerkschaften war sicherlich ein Fortschritt, denn das hat es so
schon lange nicht mehr gegeben. Hat sie vor allem dazu gedient, den
aufgestauten Dampf aus dem Kessel abzulassen, oder bestand die
Schwaeche darin, dass die Verbindung zwischen der kaempfenden Basis
und der Aktionstage-organisierenden Spitze nicht zustande kam? Der
Druck der Basis auf die Gewerkschaftsspitze war doch zu schwach?

H: Hier muss man sich die Bedingungen ansehen, unter denen die Einheit
geschlossen wurde. D.h. Zuerst hat man das Ziel, gegen die Reform zu
kaempfen und dann wird eine Einheit unter den verschiedenen
Gewerkschaften geschlossen. Diesmal hatten sie gesagt, wir setzen uns
zusammen und schliessen eine Einheit und dann werden wir sehen, wie
weit wir gehen koennen, mit welchen Kompromissen wir auskommen
muessen. Das heisst, es ging so weit, wie die CFDT beschlossen hatte,
zu gehen. Und hier war dann der Zeitpunkt, an dem Francois Chéréque
sagte, dass es genug sei. Und als man nun Mitte November dieses Limit
erreicht hatte, war alles zu Ende. Bernard Thibault (
Gewerkschaftsvorstand der CGT) hat klein beigegeben und er hat auch
nicht mehr die bestehenden Blockaden unterstuetzt. Es gab natuerlich
Feuer am Dach. Diese Fernsehdiskussion hatte umgehend stattgefunden -
denn wenn das mit den Raffinerien weiter gegangen waere, so haette
sich die Bewegung rasch ausweiten koennen. Sie haben nur erreicht,
dass der Dampf im Kessel ein wenig gesenkt wurde, denn der Druck ist
immer noch da. Das Vertrauen in die Kampfkraft ist ungebrochen und die
Raffineriearbeiter haben erlebt, ueber welche Kraft und Macht sie
verfuegen. Diese sagen, zu diesem Punkt haben wir verloren, denn da es
keine Perspektive der Ausweitung der Bewegung mehr gab, waren die
Arbeiter nicht mehr bereit, Geld einzubuessen, ohne zu wissen wohin
das fuehren wuerde. Das Gesetz war angenommen und von Sarkozy
unterschrieben worden. Das Vertrauen in die eigene Staerke konnte
nicht gebrochen werden. "Vergesst nicht, wir sind noch da" - das ist
die Stimmung.

J: Du denkst, eine andere Protestwelle koennte zu einem anderen Anlass
mit den Erfahrungen aus diesem Kampf auf hoeherer Ebene losbrechen?
Zum Beispiel, dass die Arbeiter sagen, "wir zahlen nicht fuer eure
Krise"? Gegen eine Einsparungsmassnahme, die im kommenden Jahr - ein
Jahr vor den Praesidentschaftswahlen - kommen koennte?

H: Das ist sehr schwer zu sagen. Sarkozy will sehr rasch seine Reform
der Sozialversicherung umsetzen. Er wird sehr bald die naechsten
Massnahmen ankuendigen, denn er zaehlt darauf, dass die
Gewerkschaftsspitze sich nicht durchsetzen konnte und wird daher die
naechsten Schritte angehen. Es ist schwer zu sagen, wie es weiter
geht. Sarkozy ist schon sehr unpopulaer und das Wahljahr wird bald
kommen und daher hat er nicht mehr die Wahl zu warten oder nicht.

Der franzoesische Kapitalismus hat viele strategische Punkte
eingebuesst und sie wollen, dass die Arbeiter fuer die Krise zahlen.
Die objektiven Bedingungen fuer eine neue Bewegung sind aufrecht.
Diesmal wahrscheinlich auf einer anderen Ebene, denn die Arbeiter
haben verstanden, dass es so nicht geht. Es gab keine Koordination der
Basisbewegung. Am Ende gab es Vollversammlungen zwischen den einzelnen
Gewerkschaften an der Basis und das naechste Mal wird die Frage der
Koordination der Bewegung frueher gestellt werden und in der CGT ist
der Druck stark, dass so eine Koordination der Bewegung zustande kommt
und eine Besetzung der Raffinerien kann viel weiterreichende
Auswirkungen haben.

So gab es zum Beispiel im Hafen in Le Havre eine beeindruckende
Koordination der Basis zwischen den Gewerkschaften, im gemeinsamen
Kampfkomitee, in der nicht nur die Docker, sondern alle Hafenarbeiter
beteiligt waren .

J: Gibt es bei den Arbeitern das Bewusstsein, dass der Kampf auch
international gefuehrt werden muss auf europaeischer Ebene, um eine
Chance zu haben, den Angriff der europaeischen Unternehmerschaft
zurueckzuschlagen?

H: Das kann ich nicht verbindlich beantworten, denn es ist schwer zu
sagen. Das Bewusstsein, dass es sich um eine internationale Krise
handelt, ist da, aber die Notwendigkeit einer europaeischen
Mobilisierung ist eine andere Sache. Die Einsparungsplaene wuerden
aber auch unabhaengig von Bruessel bestehen. Zur Zeit gibt es noch
keine konkreten Schritte der Koordination der Kaempfe auf
europaeischer Ebene. Es waere wichtig, diese zwischen Frankreich,
Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Grossbritannien zu
organisieren. Wenn der oeffentliche Schuldenberg Grossbritanniens
explodieren wird, haben wir es nicht mehr mit einer Groessenordnung
wie jener in Griechenland oder Portugal zu tun, denn es geht um 10 mal
so hohe Summen. Das wird eine explosive Lage werden. ###



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