**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Dezember 2010; 21:26
**********************************************************
Arbeit/Migration:
> Mehr als ein Stueck Papier
Warum un(ter)dokumentierte MigrantInnen und ihre Organisierung die 
Gewerkschaften retten koennen.
Von Zeit zu Zeit tritt das, was sich fuer gewoehnlich im Verborgenen 
abspielt, ins grelle Licht der medialen Scheinwerfer: Extremfolgen von 
Ueberausbeutung und Entrechtung. Im Herbst 2010 etwa berichtete ein 
oesterreichisches Kleinformat in kurzer Folge gleich ueber zwei Faelle 
undokumentierter Arbeit: Das eine Mal wurde ein rumaenischer Arbeiter 
bei Bauarbeiten im Burgenland von einer umgekippten Strassenwalze 
schwer verletzt, das andere Mal starb ebenfalls im Burgenland ein 
ungarischer Arbeiter bei der Erntehilfe infolge eines Herzinfarkts. 
Beide Faelle wurden publik, weil sich den Berichten zufolge die 
jeweiligen ArbeitgeberInnen nicht um eine aerztliche Versorgung der 
Betroffenen gekuemmert hatten, sondern sie kurzerhand ueber die Grenze 
nach Ungarn brachten, um sich so des Problems zu entledigen.
"Undokumentierte Arbeit" meint migrantische Lohnarbeit, die jenseits 
der staatlich erfassten und regulierten Sektoren des Arbeitsmarkts 
geleistet wird. Missachtete ArbeitnehmerInnenschutz-Bestimmungen und 
daraus resultierende hohe Unfallrisiken sowie massive physische bzw. 
psychische Belastungen sind ebenso Kennzeichen dieser Form der Arbeit 
wie eine fehlende soziale Absicherung (z.B. Unfall- oder 
Krankenversicherung). Der "Skandal" undokumentierter migrantischer 
Arbeit besteht jedoch nicht ausschliesslich in ihren zum Teil 
dramatischen Implikationen, wie etwa bei den beiden eingangs 
erwaehnten Beispielen. Vielmehr liegen die Missstaende in den Entgelt- 
und Arbeitsbedingungen selbst begruendet.
Einer aktuellen Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt 
(FORBA) zufolge sind die Arbeitsverhaeltnisse in diesem Bereich 
naemlich nicht bloss durch fehlende Schutz- und Sicherungsmechanismen 
gekennzeichnet, sondern in der Regel auch durch krasse Formen der 
Ueberausbeutung und exzessiv lange Arbeitszeiten. Hinzu kommt ein 
hohes Mass an "unternehmerischer Willkuer", weshalb Faelle von 
Lohnbetrug, taetlichen (sexuellen) Uebergriffen oder illegitimen 
Kuendigungen zum Alltag des undokumentierten Arbeitens zaehlen.
Unter "un(ter)dokumentierten migrantischen Arbeit" werden u.a. 
Personen ohne Aufenthalts- und Arbeitspapiere (beispielsweise 
illegalisierte MigrantInnen); auf solche mit Aufenthalts-, aber ohne 
entsprechende Arbeitspapiere (z.B. AsylwerberInnen oder Studierende 
aus Nicht-EU/EWR-Staaten) zusammengefasst, aber auch MigrantInnen, die 
trotz (prekaerem) Aufenthaltsstatus und (beschraenktem) Zugang zum 
Arbeitsmarkt (auch) undokumentiert arbeiten (muessen).
Un(ter)dokumentierte migrantische Arbeit wird naemlich nicht 
ausschliesslich von Personen ohne (gueltige) Aufenthaltspapiere 
geleistet. Deshalb waere es auch verkuerzt, das Phaenomen auf 
illegalisiert in Oesterreich lebende MigrantInnen zu reduzieren. So 
geht beispielsweise die Oekonomin Gudrun Biffl in einer Studie des 
Oesterreichischen Instituts fuer Wirtschaftsforschung (WIFO) aus dem 
Jahr 2002 davon aus, dass von den geschaetzten 47.000 Personen ohne 
oesterreichische StaatsbuergerInnenschaft im informellen Sektor 
lediglich rund zehn bis zwanzig Prozent ueber keinen regulaeren 
Aufenthaltsstatus verfuegen.
Beim Umgang mit solchen Zahlen ist natuerlich Vorsicht geboten, 
entzieht sich das Phaenomen der undokumentierten Arbeit ebenso wie 
jenes der irregulaeren Migration doch per se einer statistischen 
Erfassung und Quantifizierung. Entsprechend schwankt etwa die Zahl der 
illegalisierten MigrantInnen, die sich Schaetzungen zufolge derzeit in 
Oesterreich aufhalten sollen, auch je nach Quelle zwischen 36.000 und 
100.000 Personen.
Nichtsdestotrotz weist einiges darauf hin, dass gerade im Falle von 
Personen mit (prekaerem) Aufenthaltsstatus - wie etwa eine aktuelle 
Studie des International Center for Migration Policy Development 
(ICMPD) konstatiert - die Nachfrage nach migrantischer Arbeitskraft im 
informellen Sektor der oesterreichischen Wirtschaft steigt. Die 
Branchen, in denen sich diese Nachfrage konzentriert, sind vor allem 
das Baugewerbe, die Gastronomie bzw. der Tourismus, der Privathaushalt 
(personen- und haushaltsnahe Dienstleistungen), die Landwirtschaft und 
die Sexindustrie.
Selbst das ICMPD, eine dem Ziel der Migrationskontrolle verschriebene 
Organisation mit Sitz in Wien, sieht in dieser Entwicklung den 
Ausdruck eines uebergreifenden Prozesses der Prekarisierung von Arbeit 
in den kapitalistischen Zentren. Das heisst, parallel zur 
Entstandardisierung von Beschaeftigungsverhaeltnissen im formellen 
Sektor (Stichwort: "atypische Beschaeftigung") gewinnt im Kontext der 
soziooekonomischen Wandlungsprozesse der letzten Jahre auch der 
informelle Sektor an Bedeutung. Die Motivation zur Beschaeftigung 
un(ter)dokumentierter migrantischer ArbeiterInnen liegt dabei auf der 
Hand: Aufgrund fehlender Alternativen sind viele dazu gezwungen, 
niedrige Loehne zu akzeptieren, was der ArbeitgeberInnenseite eine 
beachtliche Reduktion der Arbeitskosten, erweitert durch 
Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug, ermoeglicht. Hinzu 
kommt, dass die Betroffenen aufgrund ihres prekaeren Status vielfach 
nicht dazu in der Lage sind, fundamentale Arbeits- und Sozialrechte 
einzufordern. Damit sind Tuer und Tor dafuer geoeffnet, etablierte 
Standards etwa im Bereich der Arbeitszeitgestaltung oder des 
Kuendigungsschutzes zu unterlaufen. Fuer die ArbeitgeberInnenseite ist 
dies vor allem deshalb vorteilhaft, als die Produktion in den 
genannten Branchen u.a. aufgrund der eingeschraenkten Moeglichkeiten 
zur Mechanisierung bzw. Verlagerung durch hohe Arbeitskosten 
gekennzeichnet ist. Haeufig unterliegt sie zudem starken (saisonalen) 
Schwankungen, weshalb Unternehmen und Privathaushalte ihren Bedarf 
unter Rueckgriff auf solche Arbeitskraefte flexibel zu decken 
versuchen.
Verbreitete Deutungs- und Wahrnehmungsmuster des Phaenomens der 
undokumentierten migrantischen Arbeit tendieren dazu, die Betroffenen 
als "passive Opfer" zu betrachten. Dies ignoriert jedoch ihre ueberaus 
aktive Rolle, die alleine schon aus der Notwendigkeit resultiert, 
kreative und immer neue Strategien des (Ueber-)Lebens unter den 
dargestellten Bedingungen zu entwickeln. Und auch wenn ihre 
Handlungsmoeglichkeiten systematisch erschwert werden, bedeutet dies 
keineswegs, dass kollektive Formen der (Selbst-)Organisierung und des 
(Arbeits-)Kampfes dadurch umfassend verunmoeglicht wuerden. 
Erfolgreiche Organisierungsansaetze beweisen das Gegenteil.
Waehrend in Oesterreich weiterhin Kontrolle und Bekaempfung durch 
repressive Massnahmen dominieren (Strafen fuer ArbeitgeberInnen, weder 
Schutz noch Rechte fuer ArbeitnehmerInnen), hat in verschiedenen 
Laendern in den letzten Jahren ein (gewerkschaftliches) Umdenken 
stattgefunden. Arbeitskaempfe undokumentiert Arbeitender werden - 
letztlich im Interesse aller Lohnabhaengigen - unterstuetzt und 
gemeinsam Rechte (ein-)gefordert.
Dabei stellt sich die Frage, wie angesichts der Arbeits- und 
Lebensverhaeltnisse undokumentierter migrantischer ArbeiterInnen eine 
(Selbst-)Organisierung unterstuetzt und befoerdert werden kann. Klar 
scheint in jedem Fall, dass es von Vorteil ist, wenn solche 
(gewerkschaftlichen) Raeume zum Ausgangs- und Ansatzpunkt fuer 
breitere Organisierungs- und Kampagnenansaetze werden und sich nicht 
auf eine blosse Servicefunktion beschraenken. Denn aufgrund des in 
mehrfacher Hinsicht prekarisierten Status der Betroffenen und ihrer 
vielfaeltigen, nicht auf die Sphaere der Arbeit beschraenkten 
Problemlagen muss es darum gehen, einen umfassenderen 
Organisierungsansatz zu entwickeln, der die Arbeit und das Leben der 
Betroffenen zusammendenkt.
Unabhaengig aber von der letztlich gewaehlten Strategie ist 
gewerkschaftliches Handeln in diesem Bereich unabdingbar und 
ueberfaellig. Denn die soziale und rechtliche Diskriminierung 
undokumentiert Arbeitender machen diese nicht nur erpressbar und 
ueberausbeutbar. Sie fuehren auch dazu, dass sozial- und 
arbeitsrechtliche sowie kollektivvertragliche Standards unterminiert 
werden. Die rechtliche Schutzlosigkeit fuehrt so letztlich zu einer 
Schwaechung der Position aller Lohnabhaengigen - und bedeutet mithin 
implizit auch einen Angriff auf die Gewerkschaften selbst.
(PrekaerCafé/bearb.)
Quelle: http://www.migrazine.at/artikel/mehr-als-ein-st-ck-papier
Link: PrekaerCafé http://www.myspace.com/prekaer/blog
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin