**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Dezember 2010; 21:42
**********************************************************
Glosse:
> Der Idiot von nebenan
Ich bin ganz aufgeregt. Seit zehn Jahren wohne ich in Wien Ottakring. 
Vor wenigen Tagen hatte ich meine erste heftigere Auseinandersetzung 
mit einem Menschen mit Migrationshintergrund aus der Gegend. Ein 
Spaziergang mit meinem Hund ueber den Brunnenmarkt. Fuer Dingo sind 
die vielen Gerueche und Geraeusche aufregend. Er wird bald acht Monate 
alt und muss erst die Welt entdecken. Bei diesen Spaziergaengen halte 
ich ihn an der kurzen Leine. Zumal es ganz schoen wurlen kann am 
Brunnenmarkt. Ein langsames Gehtempo, aber wenn nicht gerade Stau ist 
in der Menschenmenge, kann man problemlos vorbei.
Das konnte auch ein eher aermlich gekleideter junger Mann. Was ihm 
nicht reichte. "Geh gefaelligst schneller mit deinem Hund", hat er 
mich im Vorbeigehen angefahren. Ich bin an sich ein friedliebender 
Mensch und habe als jemand, der selbst lange Angst vor Hunden hatte, 
Verstaendnis fuer Menschen, die keine Hunde moegen. Nur, anfahren lass 
ich mich nicht. "Das kannst du auch normal sagen", hab ich dem 20- bis 
25-Jaehrigen nachgerufen. Der offenbar tuerkischstaemmige Mann 
pflanzte sich vor mir auf: "Was willst du" usw. usf. Ich versuchte ihm 
nochmals klarzumachen, dass ich einfach nur einigermassen hoefliche 
Umgangsformen erwartete, was mir die Bezeichnung Idiot eintrug. Er 
habe es eilig.
Danach war ich auch nicht mehr ganz so hoeflich. Der verbale Austausch 
war von meiner Seite her nicht nett, er war wesentlich aggressiver 
drauf und wollte es sich mit mir in der Grundsteingasse hinter einem 
Baugeruest "ausmachen". Woraufhin ich ihm anbot, das doch bei der 
Polizei zu erledigen, die keine zwanzig Meter entfernt ist. Eine Frau 
schaltete sich ein und bot an, mir zu helfen - was ich dankend 
ablehnte. Der unangenehme Zeitgenosse war ohnehin dabei, fluchend zu 
verschwinden. Sein Plan, eine Schlaegerei anzuzetteln, war nicht 
aufgegangen.
Die Frau, die mir Hilfe anbot, erging sich in einer Tirade: "Ich hab 
nichts gegen Auslaender, aber wenn sie streiten wegen meiner Hunde, 
sage ich ihnen: Meine Hunde haben eine oesterreichische 
Staatsbuergerschaft und du nicht." Ich versuchte, sie ein wenig zu 
kalmieren: "Trotteln gibt's ueberall".
Ein banaler Zwischenfall. Ein Idiot zettelt einen Streit an. Der wird 
gleich zum Integrationsproblem hochstilisiert. Ginge es nach der FPOe, 
muesste ich deren Hotline gegen Inlaenderdiskriminierung anrufen. 
Wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit ich hier diskriminiert 
worden sein soll, aber freuen taeten sie sich ueber meinen Anruf.
Der junge Mann war offenkundig frustriert. Vielleicht hatte er den Job 
verloren, seine Freundin hatte ihn verlassen, vielleicht war's ein 
Streit mit einem guten Freund. Was weiss ich. Es ist mir offen 
gestanden auch eher egal. Er wollte seinen wahrscheinlich sogar 
verstaendlichen Frust an irgendjemandem abreagieren.
Dass er Tuerke zweiter Generation ist, war moeglicherweise 
entscheidend, dass er sich einen Hundebesitzer, in dem Fall mich, 
ausgesucht hat. Haette er keinen Migrationshintergrund gehabt, waere 
er vielleicht den Passanten neben mir angegangen oder einen 
tuerkischstaemmigen Standl-Besitzer. Irgendjemanden haette es 
getroffen. Ein zorniger junger Mann, der nicht gelernt hat, mit 
Frustrationen und Aggressionen umzugehen. Da gibt's viele.
Es gibt auch aeltere Maenner, die das nicht koennen. So wie ein 
Radfahrer mit ausgepraegten FPOe-Sympathien, der mich vor wenigen 
Jahren auf offener Strasse ohrfeigte. In seinem Fall wuerde jeder 
Mensch, der seine fuenf Sinne beisammen hat, das Ereignis auf die 
Biografie des Angreifenden zurueckfuehren. Soweit ich das aus seinem 
damaligen Verhalten ableiten kann, wuerde ich sagen: Eher ungebildet, 
relativ gutes Einkommen (das Fahrrad war teuer) und mit an Sicherheit 
grenzender Wahrscheinlichkeit gewalttaetige Zusammenstoesse in der 
Vergangenheit.
Im juengsten Fall bietet sich auch fuer an sich vernunftbegabte 
Menschen die "Erklaerung" an, der junge Mann habe ein 
"Integrationsproblem". Der Reisepass und/oder das (vermeintliche) 
religioese Bekenntnis, ob ausgelebt oder nicht, sind genug, um einen 
banalen Zwischenfall zum Beweis fuer das Scheitern der 
Zuwanderungspolitik hochzustilisieren. Nachfragen tut kaum jemand, das 
System wird selbstreflexiv.
So oder so aehnlich laufen die meisten sogenannten 
Integrationsprobleme ab. Der Idiot von nebenan wird nicht mehr als das 
gesehen, was er ist: Als Idiot von nebenan. Er ist lebender Beweis, 
dass "die" sich nicht "anpassen" wollen/koennen. Hat man sich frueher 
in Gemeindebauten ueber spielende Kinder gefreut oder fallweise auch 
geaergert, schimpft man heute ueber die lauten "Tuerkenkinder."
Wobei sicher eine Rolle spielt, dass viele BewohnerInnen von 
Gemeindebauten aelter geworden sind und sich mit Kinderlaerm schwerer 
tun als vor zwanzig Jahren. Nur kommen immer weniger Menschen auf die 
Idee, die laermenden Kinder als das zu sehen, was sie sind: Laermende 
Kinder. Und, sollten sich, wie frueher auch, Konflikte zwischen denen 
ergeben, die spielende Kinder als laestig empfinden, und den Muettern 
der Kinder, wird auch das als Beweis fuer die 
Integrationsunwilligkeit/unfaehigkeit der "Auslaender" herangezogen. 
Welch bestechende Logik.
Das Integrationsproblem, was wir haben, ist grossteils ein soziales. 
ZuwanderInnen haben es bedeutend schwerer in Schulen und am 
Arbeitsmarkt. Das fuehrt zu Armut, Ghettobildung usw. In vielen 
Faellen, auch das sei nicht bestritten, zu eher seltsamen bis 
problematischen Einstellungen.
In Gegenden, wo es keine oder wenige "Auslaender" gibt, gibt es die 
gleichen Probleme mit "Inlaendern". Dort schimpft man ueber die 
"Proleten". Auch das kein Ansatz zur Problemloesung. Nur einer, um die 
eigenen Zukunftsaengste an irgendjemandem abzureagieren. Womit man 
genauso dumm reagiert wie der junge Mann, der mich angepoebelt hat. 
Wie er fuehlt man sich vermutlich dann auch besser. Am eigenen Leben 
hat sich nichts geaendert. An den Problemen sowieso nicht. Und die 
FPOe bekommt 25 Prozent der Stimmen.
*Christoph Baumgarten* (gek)
Volltext:
http://www.politwatch.at/stories/der-idiot-von-nebenan-als-integrationsproblem
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin