**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Dezember 2010; 02:25
**********************************************************

Prima Klima:

> Cancun, das zweite Kopenhagen

*Hermann Dworczak* war am Klimagipfel In Mexiko. Hier sein Tagebuch

1. Dezember

Die dramatischen Folgen des Klimawandels, allgemein die oekologischen
Gefaehrdungen und ihre Ursachen sind weitgehend bekannt. Notwendig
waeren rasche, konkrete Schritte -- mit Zeitlimits und ausreichenden
finanziellen Mitteln -- um eben die Not, in der sich das natuerliche
Ambiente der Menschheit befindet, abzuwenden.

Realiter passiert aber kaum etwas. Nicht vorrangig aus "Dummheit" oder
"Borniertheit" -- obwohl auch sie mitspielen -- sondern aus
"wirtschaftlichen Erwaegungen", wegen beinharter Profitinteressen. Der
offizielle Umweltgipfel hier spiegelt diese Problematik voll wider.

Mehrere mexikanische Zeitungen -- wie "Novedades" oder "Por Esto!"
titelten: "Ein anderes gesellschaftliches Entwicklungsmodell ist
notwendig" oder " Es draengt!".

Und was passiert, ausser schillernden Sprechblasen? Nichteinmal die
von Greenpeace geforderte Einstellung des Handels mit CO
2-Emmissionszertifikaten, der nichts als blanken oekologischen
Zynismus darstellt, steht bei der offiziellen Klimakonferenz zur
Disposition.

Der indigene Praesident Boliviens Evo Morales wird am 9.Dezember
hierher kommen und erneut die hervorragenden Ergebnisse des "cumbre de
los pueblos" zur "Rettung der Mutter Erde" im Fruehjahr dieses Jahres
in Cochabamba vorstellen -- in der UNO-Vollversammlung kamen sie
bereits zur Sprache. Den Vorschlaegen Boliviens und der anderen
ALBA-Staaten droht -- wie die Dinge liegen -- allerdings ein
Begraebnis dritter Klasse.

Nicht weil sie "unvernuenftig" oder "weithergeholt" waeren. Im
Gegenteil: sie entsprechen den realen Erfahrungen- etwa der Indigenen,
die um den Raubbau am Boden, an den Waeldern oder des Wassers genau
Bescheid wissen -- sind diese natuerlichen Ressourcen doch oft ihre
einzige! Existenzgrundlage.

Die Erfahrungen und die auf ihnen basierenden- wissenschaftlich
erhaerteten- Vorschlaege werden deshalb vom COP16-Verhandlungstisch
weggewischt, weil sie nicht "ins Konzept passen". Und dieses Konzept
heisst: in den Grundlinien weitermachen wie bisher -- abgefedert mit
einigen oekologischen Retouschen (einige unverbindliche Limits fuer
den CO 2-Ausstoss, vage Versprechungen fuer " finanzielle Hilfen",
verstuerkter Einsatz von " gruener" Technologie,...).

Fuer die "Verdammten dieser Erde"( Frantz Fanon), die die
ueberwiegende Mehrzahl der Menschheit ausmacht, heisst dies:
Weiterrackern ohne Landreform; Fortsetzung des miserablen
Favela-Daseins in den jetzt schon aus allen Naehten platzenden
Metropolen; perspektiv- und hoffnungslose Fortsetzung von Hunger und
Elend.

Weil im Moon-Palace, dem offiziellen Tagungsort, die Stimmen "von
unten" kaum zum Tragen kommen, geschweige denn akzeptiert werden, ist
die Zivilgesellschaft und die politische Linke mit einer Vielzahl von
Alternativforen praesent: u.a. wird am Freitag den 3. Dezember die
Solidaritaets-Karawane von " Via Campesina", der weltgroessten Bauern-
und LandarbeiterInnen-Organisation eintreffen. Am kommenden Dienstag,
den 7. Dezember, findet eine -- internationale -- Grossdemonstration
statt. Ihre Botschaft ist eindeutig:"System- statt Klimawandel".


2. Dezember

Waehrend sich die entwickelten Industriestaaten auf der Klimakonferenz
im mexikanischen Cancun weitgehend in Allgemeinheiten ergehen und an
Nebenfronten Scharmuetzel abhalten, geht Bolivien in die politische
Offensive. Boliviens Botschafter bei den Vereinten Nationen -- Pablo
Solon Romero -- legte im Plenum in einer griffigen Rede dar, welche
Schitte unabdingabar sind zur Rettung des Planeten. Die mexikanische
Zeitung "Por Esto! " sprach vom ersten "Bruch auf der COP 16".

Die USA haben bislang nur schwache politische Kaliber hergeschickt,
worauf auch Brasiliens Praesident Lula aufmerksam machte. Sie
"erwarten sich nicht viel" von Cancun -- sprich von ihnen -- wird es
keine konkreten Schritte gegen den Klimawandel geben.

Die Vertreter Japans haben gleich wissen lassen, dass sie nicht einmal
die ohnedies sehr schwammigen Bestimmungen des Kyoto Protokolls ueber
2012 hinaus verlaengern wollen. Also kein "Kyoto 2".

Die international agierende Organisation "Friends of the Earth" hat
die Gruendung eines weltweiten Fonds vorgeschlagen, der insbesonders
den in Unterentwicklung gehaltenen Laendern bei ihren oekologischen
Massnahmen finanziell unter die Arme greifen soll. Die EU moechte
jedoch nur Kredite vergeben -- was die Verschuldung der armen Laender
weiter potenzieren wuerde.

Quer zu solchen imperialen Anwandlungen hat Bolivien die politische
Offensive egriffen. Boliviens Botschafter bei den Vereinten
Nationen -- Pablo Solon -- kritisierte hier im Plenum die
"Unausgewogenheit der Konferenz", in der "einige entwickelte
Industrienationen" ihre Vorstellungen durchzuboxen versuchen und damit
verhindern, dass es "tatsaechlich zu Massnahmen gegen den Klimawandel
kommt." Notwendig waere, dass die "Industriestaaten ihre Emissionen um
40, 50 Prozent reduzieren". Tatsaechlich jedoch "haben Laender wie
Australien oder Oesterreich ihre Emmissionen um 30 bzw. 10 Proent
gesteigert".

Die Zivilgesellschaft und die politische Linke ist hier (wie bereits
erwaehnt - Anm. d. Red) mit einer Vielzahl von Alternativforen
praesent. Und die Proteste werden nicht auf Cancun beschraenkt sein.
Weltweit wird es zu Aktionen kommmen -- in West und Ost. Auch in
Oesterreich -- wie etwa in Graz.


3. Dezember

Fast eine Woche dauert hier in Cancun bereits der offizielle
UNO-Klimagipfel COP 16. Weitergegangen ist bis jetzt nichts. Nun wird
es selbst den Vereinten Nationen zu bunt. Deren Verantwortliche fuer
Fragen des Klimawandels -- Christiana Figueres -- kritisierte in aller
Offenheit den bisherigen schleppenden Verhandlungsprozess und
unterstrich. "Nur irgendein Abkommen reicht nicht aus".

Fuer den mexikanischen Praesidenten Felipe Calderon und seine
amerikafreundliche PAN-Regierung ist der Klimagipfel vor allem eine
Show. Eine Show um von seiner extrem schlechten Performance
abzulenken: Vom rein militaristisch gefuehrten Kampf gegen die
Drogenbosse, der jaehrlich tausende Tote fordert und so -- nach allen
ExpertInnenmeinungen -- nicht gewonnen werden kann; von seiner
katastrophalen Sozialpolitik -- die juengsten offiziellen Daten
zeigen, dass die Zahl der Armen in Mexiko in einem Jahr von 31 auf 34
Prozent gestiegen ist; und last but not least von der brutalen
Umweltpolitik, die -- wie Greenpeace ausfuehrt -- ungebrochen auf die
Gewinnung fossiler Brenstoffe setzt.

Bewegung wird es aller Voraussicht nur dann geben, wenn es zu einer
Art politischen "Zangenoperation" kommt: fortschrittliche,
zukunftsweisende Vorschlaege "von innen" -- also von Staaten wie
Bolivien, Venezuela oder Ecuador. Und Druck "von aussen" -- durch die
Proteste der sozialen, indigenen und oekologischen movimientos bzw.
der politischen Linken. Ob letztere das schaffen wird sich u.a. heute
weisen, wenn die " Karawane " von via campesina hier ankommt. Es wird
sich zeigen, ob das Protestpotential eine kritischen Masse erreicht,
die beruechtigten sektiererischen Spaltungslinien unter den
unterschiedlichen Zugaengen ueberwunden werden koennen, und ein
Brueckenschlag mit der "Opposition im Moon Palace" stattfindet.


9. Dezember

Tausende unterstuetzen am Dienstag eine grosse internationale
Demonstration gegen die Ausbeutung und die Zerstoerung der Natur
("Mutter Erde") durch das kapitalistische Modell von Produktion und
Konsum durch ihre Anwesenheit. Der Marsch begann um 10:00 Uhr und
fuehrte mehr als drei Stunden lang durch das Zentrum von Cancun.

Auf dem Marsch vertreten waren eine Menge sozialer und politischer
Stroemungen. An der Spitze der Demo waren die Kleinbauern aus der
Region, die gegen das bestehende Landwirtschaftssystem protestierten
und einen grundsaetzlichen Wandel einforderten. Sie erinnerten an den
Kampf der Mexikanischen Revolution: "Zapata vive - lucha sigue" /
"Zapata lebt - der Kampf geht weiter". Ihnen folgten Musiker in
traditioneller Kleidung. Eine Menge Umweltschuetzer aus Mexiko und
anderen lateinamerikanischen Laendern wie Guatemala und Equador - war
mit dabei. Eine Gruppe kam von der Gewerkschaft der Telefonarbeiter.
Greenpeace war mit einem Eisbaeren vertreten und wies damit auf die
Gefahren hin, die mit dem Abschmelzen des Polareises verbunden sind.

Viele andere Gruppen kritisierten den Kohlenstoffhandel und den
Verkauf von Land an Multis im Namen der "Rettung der Natur".

Die internationale Beteiligung war erstaunlich: Es gab TeilnehmerInnen
aus China, die damit argumentierten, dass es "nur einen Planeten" gebe
und die die Politik der chinesischen Regierung kritisierten. Menschen
kamen aus den USA und Kanada, die die Idee des "cumbre de los pueblos"
von Cochabamba, ein Referendum abzuhalten, unterstuetzten - so
koennten die Menschen selbst und nicht die Regierungen ueber
oekologische Massnahmen entscheiden.

Aus Europa konnte ich Teilnehmer/innen aus Frankreich (ATTAC),
Deutschland (Friends of the Earth), Norwegen (Gewerkschaften ) und
Oesterreich (Austrian Social Forum) sehen.

Der allgemeine Tenor der Manifestation war: Nicht darauf warten, was
im Moon Palace, wo der offizielle COP-16-Gipfel tagt, geschieht . Es
reicht nicht, moderate "gruene Modifikationen" durchzusetzen. Nicht
weniger als ein "Systemwechsel" ist notwendig.

Der Marsch haette noch breiter sein koennen. Aber Via Campesina hatte
beschlossen, eine eigene Demonstration zu machen.


12. Dezember

Bei den "Erfolgen" des Gipfels handelt es sich in Wirklichkeit ein
vorgetaeuschtes Ergebnis. Die zwei verabschiedeten Texte verfuegen
ueber keinen wirklichen Inhalt. In sehr vager Formulierung sagt man in
einem Papier, dass die Globale Erwaermung nicht mehr als 2 Grad
betragen sollte.

Im zweiten Papier wird "gefordert", dass industrialisierte Laender
ihre Emmissionen in Zukunft reduzieren sollten.

Es wurde nicht einmal eine klare Entscheidung getroffen, ob es ein
"Kyoto2" geben soll. Die Frage soll erst beim COP17 in Durban / Sued
Afrika gestellt werden.

Die Feststellung "Cancun ist Kopenhagen 2" ist also keine
Uebertreibung.

Fuer die Sozialen Bewegungen und die politische Linke ist klar: Der
Kampf muss weiter gehen.

Er hat sich ausgeweitet, das Verhaeltnis der Kraefte hat sich auf
globalem Niveau veraendert: Ein dauerhafter Austausch von Positionen
und Zusammenarbeit zwisschen fortschrittlichen Regierungen wie
Bolivien ist notwendig.

Wie die mexikanischen Genossen sagen "Zapata vive - la lucha sigue".
###



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin