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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Dezember 2010; 02:23
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Oesterreich/EU/Verkehr:
> Kahlschlag im Schienenverkehr
Seit dem OeBB-Fahrplanwechsel am 12. Dezember 2010 kommt es zu einem 
Kahlschlag im Personen- und Gueterverkehr auf der Schiene. Der 
Personentransport der Bahn wird oesterreichweit um unglaubliche 1,8 
Millionen Zug-Streckenkilometer pro Jahr geschrumpft. Das entspricht 
einer Eisenbahnfahrt, 45mal rund um die Erde.
Zwischen Graz und Linz wird es keine Direkt-Verbindungen mehr geben. 
Fahrplaene werden ausgeduennt, Strecken stillgelegt. Als zusaetzliche 
Kundenvergraulungsaktion soll es ab Dezember nicht mehr moeglich sein, 
Fahrkarten im Zug zu kaufen. Menschen ohne Ticket drohen Strafen bis 
zu 95 Euro.
Auch im Gueterverkehr geht es an das Eingemachte. Die OeBB-Rail-Cargo 
wird oesterreichweit 135 der 540 Gueterverladestellen auflassen oder 
nur gegen hohe Tarife weiter betreiben. Zahlreiche Anschlussbahnen, 
die Betriebe an das Eisenbahnnetz anbinden, sollen stillgelegt werden. 
Experten rechnen jaehrlich mit mehr als 400.000 zusaetzlichen 
LKW-Fahrten. Alleine diese Massnahme wird den Anteil der Schiene am 
Gueterverkehr von 37% auf 32% senken.
Vorhersehbar
Ab 2007 wurde der Gueterschienenverkehr, ab 2010 der 
Personenschienenverkehr durch EU-Richtlinien fuer den "freien Markt" 
geoeffnet. Niemand geringerer als der damalige Chef der 
Eisenbahnergewerkschaft Wilhelm Haberzettel hat bereits im Maerz 2007 
in einem Standard-Kommentar eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass 
diese EU-Liberalisierungspolitik im Schienenverkehr genau jene fatalen 
Konsequenzen haben werde, die wir jetzt erleben:
"Es gibt einen gewichtigen Grund, warum die Liberalisierung des 
Personenverkehrs die Qualitaet nicht verbessern wird: Der Wettbewerb 
wird dort kommen, wo wir ihn nicht brauchen, denn Private gehen 
dorthin, wo ein Markt ist. Das sind die jetzt schon stark befahrenen 
Strecken und die Tagesrandverbindungen. Dort sind die 
Trassenkapazitaeten jetzt schon knapp, und zusaetzliche Zuege 
verdraengen andere. Mehr Zuege dort schaffen mehr Probleme. Nur 
laengere Zuege wuerden sie loesen. Auf der anderen Seite ist evident: 
In Schwachlastzeiten untertags und auf wenig frequentierten Strecken 
wird der Verkehr zurueckgehen, denn die Bahn ist ein Netz, das sich 
nur im Gesamten rechnet: Die Westbahn bezahlt die Tauern- und 
Pyhrnbahn. Wenn nun durch die Konkurrenz Deckungsbeitraege auf der 
Westbahn wegfallen, muessen die OeBB ihre Zuege in Schwachlastzeiten 
und auf den Niederfrequenzstrecken einstellen. Das Ergebnis ist ein 
Stueckwerk, bei dem alle verlieren. Diese Analyse entstammt nicht den 
aengstlichen Hirnen von Gewerkschaftern, sondern einer Studie der 
britischen Liberalisierungsbefuerworter von Steer Davies Gleave im 
Auftrag der EU-Kommission. Kein Wunder, dass Bruessel diese Studie 
nicht an die grosse Glocke haengt. Wer der Studie nicht glaubt, muss 
nur den Bahngueterverkehr betrachten: Die Liberalisierung hat das 
ergeben, was schon vor Jahren Ed Burkhardt, Chef der damals 
weltgroessten Eisenbahn Wisconsin Central, sagte: 'Wettbewerb auf der 
Schiene bringt keinen einzigen Lkw von der Strasse: Er laesst nur 
dieselben Zuege mit anders bemalten Lokomotiven ziehen.' Genau das ist 
auch der Fall. Die 'neuen Privaten' kuemmern sich um das schmale 
Segment des profitablen Ganzzugverkehrs. Dort purzeln zur Freude der 
Grossindustrie die Frachtpreise.
Genau diese Profite wurden aber bisher dazu verwendet, den 
Einzelwagenverkehr zu ermoeglichen - jenes 'Kleingeschaeft', in dem 
die Haelfte aller Gueter in Europa auf der Bahn fahren. Eine Studie 
von McKinsey sagt, dass dieser Einzelwagenverkehr in zehn Jahren 
weitgehend verschwunden sein wird und der Bahngueterverkehr um 30 bis 
40 Prozent zurueck gehen wird. Die Deutsche Bahn faengt schon an und 
stoesst sukzessive alle Kunden mit weniger als drei Zuegen pro Woche 
ab."
EU-Diktat
Einmal mehr zeigt sich auch die undemokratische EU-Konstruktion. 
Selbst wenn in Oesterreich alle gewaehlten VolksvertreterInnen, selbst 
wenn sich in einer Volksabstimmung 99% der Menschen dafuer aussprechen 
wuerden, diese Richtlinien zu aendern oder rueckgaengig machen 
moechten, es ginge nicht mehr: die EU-Kommission kann diesen Weg auf 
ewig verbauen. Ein blau-oranger Verkehrsminister hat vor etlichen 
Jahren im Namen Oesterreichs fuer die EU-Liberalisierungsrichtlinie 
gestimmt. Deshalb gibt es kein Zurueck mehr - moeglicherweise auf 
Generationen.
Dass es ganz anders geht, zeigt das Nicht-EU-Mitglied Schweiz. Die 
Schweizer Bahn ist das einzige Bahnunternehmen in Europa, wo das 
Streckennetz noch ausgebaut und nicht zurueckgefahren wird. Die Anzahl 
der Pro-Kopf gefahrenen Eisenbahn-Kilometer in der Schweiz uebertrifft 
den Durchschnitt der EU-Staaten um mehr als das Doppelte.
Seit dem EU-Beitritt hat sich der LKW-Transport ueber Oesterreichs 
Alpenpaesse verdoppelt, im Ost-West-Verkehr sogar verdreifacht. 
Anstatt fuer den LKW-Verkehr staendig weitere Transitautobahnen zu 
bauen, muss der Guetertransport sowohl durch eine entsprechende 
Preispolitik als auch durch direkte Reglementierungen mit dem 
entsprechenden Nachdruck auf die Schiene verlagert werden - egal, ob 
EU-Kommission und EUGH dazu ihr Placet geben oder nicht.
(G. Oberansmayr, Solidar-Werkst./bearb.)
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Quelle: 
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=338&Itemid=1
Online-Petition: 
http://www.werkstatt.or.at/Forum/PetitionEisenbahn.php
Papier-Unterschriftslisten per Post sind unter 
office{AT}solidarwerkstatt.at zu bestellen.
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