**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2010; 22:30
**********************************************************
Initiativen:
> Vom Widerstand zur Themenfuehrerschaft
Lichtblicke beim gesamtoesterreichischen linken Ratschlag
Allein die Tatsache, dass VertreterInnen von 18 verschiedenen 
zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen aus den 
verschiedensten Bereichen wie Gewerkschaft, Arbeitsloseninitiativen, 
MigrantInnen, FriedensaktivistInnen, ATTAC, KPOe, SP-Linke, 
"Superlinke" und Gruene den Weg zur Volkshochschule Ottakring gefunden 
haben, wo ueber Initiative einer aus dem Oesterreichischen Sozialforum 
hervorgegangenen Vorbereitungsgruppe am 13. November der Erste 
Gesamtoesterreichische Ratschlag (EGR) zur Gruendung einer politischen 
Alternativkraft zusammentrat, ist schon als Erfolg zu werten. Auch 
wenn es sich dabei nicht um gewaehlte RepraesentantInnen handelte, 
waren auf eine oder andere Weise jeder und jede der Anwesenden ein/e 
Delegierte/r seines oder ihres spezifischen Umfelds.
Dementsprechend waren die Impulsreferate, die sich mit den Spitzen der 
gesamten Band- und Tragweite der gesellschaftlichen, politischen, 
oekonomisch-oekologischen und zivilisatorischen Krise, die derzeit 
ganz Oesterreich befallen hat, auseinandersetzten, von einem selten 
gehoerten Tiefgang in der Analyse. Vor allem verstanden es die 
RednerInnen innerhalb kuerzester Zeit die Knackpunkte der 
gesamtgesellschaftlich relevanten Diskussion herauszuarbeiten und 
jenseits der ideologisierten Sprache der traditionellen linken 
Gruppierungen zu einer Art bildhaften Synthese zu bringen.
Wenn sich z.B. Tarafa Baghayati von der Initiative Muslimischer 
OesterreicherInnen an die Zeit erinnerte, als er selbst und viele 
andere vor einem Vierteljahrhundert in Oesterreich wohlwollend 
aufgenommen wurde und in Vergleich dazu auf die 
pseudowissenschaftliche Argumentation verwies, mit der heute der 
Rassismus und die Islamfeindlichkeit kaschiert wird, machte das den 
buchstaeblichen Rueckschritt in Sachen Migrationspolitik deutlich. 
Baghayati stellte den halsbrecherischen Widerspruch einer Gesellschaft 
dar, in der sich ausgerechnet die rechtsradikalen Elemente auf die 
sogenannten zivilisatorischen Errungenschaften beriefen, wie eine 
machistische, teilweise gewaltbereite Volkskultur jetzt vor Feminismus 
und Toleranz nur so spruehten, um die Widersprueche und Konflikte 
innerhalb der Bevoelkerung zu schueren.
Ebenso bildhaft und eindringlich war auch der Diskurs der 
Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, als sie die gegenwaertige Situation 
mit der auf der Titanic kurz vor ihrem Untergang verglich: "Es war 
egal, in welcher Klasse sich die Passagiere befunden hatten, als das 
Schiff auf den Eisberg zuraste", sagte Kromp-Kolb und betonte, dass 
das oekologische Problem von welcher Seite man es auch immer 
betrachten wuerde, nur durch eine Veraenderung des Systems und des 
Lebensstils der Bevoelkerung im Norden, aber auch im Sueden erreicht 
werden koenne.
Die tagespolitisch aktuellste Diskussion aber entspann sich im 
Anschluss an das Referat von Wilfried Hanser-Mantl von einer 
Arbeitsloseninitiative in Innsbruck, der auf die vielen Kuerzungen im 
Sozialbudget hinwies, von denen die Medien anfaenglich ueberhaupt 
nichts berichtet hatten. Dazu gehoeren etwa die einschneidende 
Reduktion der Beratungsdienste wie dem psychosozialen Notdienst in 
Oberoesterreich oder die Abschaffung der ausseruniversitaeren 
Wissenschaft.
Doch was tun? Und was heisst: was tun? Ein Aktivist brachte die 
Antwort auf diese Frage auf den Punkt: "Wie koennen wir den 
Widerstand, der sich jetzt vielfach artikuliert in eine 
Themenfuehrerschaft unsererseits ueberfuehren?"
- In der anschliessenden Diskussion in den Arbeitskreisen nahm dieses 
Anliegen durchaus konkrete Formen an. Viel diskutiert wurde ueber die 
aus den Kreisen der SP-Linken stammende Idee, ein Volksbegehren fuer 
die Einfuehrung einer Vermoegens- oder Reichensteuer fuer Einkommen 
von ueber 500 000 Euros zu initiieren. Denn - so wurde festgestellt - 
eine blosse Anhebung der Steuer bei jenen 10 Prozent der Bevoelkerung, 
die ueber zwei Drittel der Ressourcen verfuegen auf das 
durchschnittlich innerhalb der EU uebliche Niveau, wuerde Oesterreich 
vier Milliarden Euro einbringen; viel mehr also als die auf 2,8 
Milliarden Euro bezifferten so genannten "Einsparungen", die in 
Wirklichkeit nur die sozial Schwaechsten treffen.
- Ein anderer Vorschlag stammte vom Verein der Voelkerverstaendigung, 
der auf die Forderung an die oesterreichische Bundesregierung nach 
einer klaren Position zum Thema Klimaschutz gerichtet war. Um den 
"Rechten der Mutter Erde" wie es der bolivianische Staatspraesident 
Evo Morales bezeichnet, auch auf der Ebene der internationalen 
Staatengemeinschaft (UNO) zum Durchbruch zu verhelfen, sollte eine 
Kampagne gestartet werden, welche die Staaten des Nordens dazu 
verpflichtet, die so genannten "Klimafluechtlinge" (das sind jaehrlich 
etwa 50 Millionen Menschen) aufzunehmen.
Und last, but not least wurde von den Anwesenden ein offener, vom 
Grazer Universitaetsprofessor Christian Lager stammender offener Brief 
an Finanzminister Erwin Proell unterstuetzt, in dem die unsoziale 
Logik des gegenwaertigen Budgetentwurfs zuerpflueckt wird. Weiters 
sprach sich der Ratschlag fuer die Unterstuetzung des Protests des 
psychosozialen Notdiensts in Oberoesterreich aus, der um 33 Prozent 
gekuerzt werden soll.
Um alle diese Initiativen und Plaene umzusetzen bedarf es allerdings 
einer besseren Koordination und einer Erweiterung der verschiedenen 
sozialen und politischen Bewegungen, die sich am vergangenen Samstag 
in der Volkshochschule Ottakring in Wien eingefunden hatten. Das war 
den Delegierten durchaus bewusst und so wurde eine aus verschiedenen 
Bundeslaendern stammende und die angesprochenen Themenkreise 
abdeckende Koordinationsgruppe ins Leben gerufen, die sich im 
Anschluss an das naechste Vorbereitungstreffen des Oesterreichischen 
Sozialforums am 17. Dezember treffen soll. In der Zwischenzeit sollen 
die Mitglieder der Koordinationsgruppe moeglichst viele soziale, 
gewerkschaftliche und politische Organisationen ansprechen, um 
herauszufinden, ob und in welcher Weise sie bereit waeren, die am EGR 
vorgeschlagenen Initiativen zu unterstuetzen.
Um diese gesamtoesterreichische Strategiedebatte im europaeischen 
Kontext zu positionieren, fand zu Abschluss des Ratschlags eine von 
Trautl Brandstaller moderierte Diskussion mit Raquel Garrido von der 
franzoesischen Linkspartei "La Gauche" statt, einer ehemaligen 
Fraktion innerhalb der Sozialistischen Partei Frankreichs, die sich 
von dieser vor ca. einem Jahr getrennt hatte und sowohl bei den 
Europawahlen als auch bei den Gemeinderatswahlen mit 7% der Stimmen 
bez. 5 Abgeordenten in Bruessel ziemlich erfolgreich war. "Lasst euch 
nicht einschuechtern" sagte Garrido mit der Autoritaet einer Bewegung, 
die in den letzten Wochen und Monaten im ganzen Land Millionen 
Menschen auf die Strasse brachte, "denn solange die Krise anhaelt, 
wird es die Notwendigkeit einer linken Alternative geben, die in der 
Lage ist, der extremen Rechten das Wasser abzugraben!"
*Leo Gabriel*
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin