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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2010; 22:39
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Mexiko:
> Schwerbewachtes Paradies
Von der UNO-Klimakonferenz erwartet sich niemand etwas
Am Montag wurde in Cancun, auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan im 
mondaenen Moon Palace-Komplex die UNO-Klimakonferenz (COP 16) 
eroeffnet. Wie schon im Vorjahr in Kopenhagen und im bolivianischen 
Cochabamba gibt es parallel dazu einen Alternativengipfel ("cumbre des 
los pueblos").
Wohin man schaut, sieht man "Sicherheitskraefte" -- insbesonders in 
der "zona hotelera", wo der offizielle Gipfel abgehalten wird. Eine 
Spezialitaet sind kleine, offene LKWs der policia federal, auf deren 
Plattform Polizisten mit Gewehren postiert sind -- eine Art mobiler 
MG-Nester. Direkt vor meinem Hotel, das an der Hauptstrasse liegt, hat 
die stahlhelmbewehrte Polizei einen martialischen Kontrollposten 
errichet.
Die Medien haben sich in den letzten Tagen voll auf die beiden 
Klimagipfel gestuerzt. Die Zeitungen berichten taeglich auf mehreren 
Seiten. Das Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise " ankert in den 
Gewaessern von Cozumel. Solidaritaetskarawanen von Gewerkschaften, 
Indigenen, sozialen und oekologischen Bewegungen sind hierher 
gekommen. Motto: "Systemwandel statt Klimawandel".
Niemand ist entgangen, dass die Herrschenden -- die Multis und die 
ihnen verpflichteten Regierungen -- inhaltlich ziemlich nackt 
dastehen. Die Inhaltslosigkeit von Cancun gilt als abgehakt -- es 
reicht ihnen schon wenn ein paar unverbindliche Floskeln herauskommen 
und das "Klima-Dossier" bis zur naechsten UNO-Klimakonferenz (COP 17) 
2011 in Durban / Suedadfrika weitergereicht wird.
Um allerdings ihre inhaltliche, politische Bloesse zu bedecken, 
verpassen sich die Herren einen gruenen Anstrich: der mexikanische 
Praesident Felipe Calderon Hinojosa machte viel Wind mit kuenftigen 
Investitionen in aeolische Energie, die mexikanische Aussenministerin 
Patricia Espinosa nimmt an der Eroeffnung oekologischer Austellungen 
teil, Siemens schickt Radfahrer mit Leuchtkaesten durch die Stadt, die 
Zukuntsstaedte mit energetischer Selbstversorgung propagieren, etc. 
Findige Unternehmer organisieren eine eigene Tagung im Rahmen von COP 
16, um die Werbetrommel fuer "gruene" Technologien zu ruehren.
Die Logik ist offensichtlich: Das bestehende, auf Ausbeutung und 
Verschwendung basierende -- kapitalistische -- Produktions- und 
Konsummodell soll weiterexistieren -- aber durch mehr "gruenen" Input 
"effizienter" gestaltet werden.
Wie die Dinge jenseits von feierlicher Inauguration und vagen 
Versprechungen wirklich liegen, haben mehrere mexikanische Zeitungen 
dargelegt: So finden etwa die meisten Rodungen in den Waeldern statt, 
die dem mexikanischen Staat gehoeren.
Cancun wurde -- von der mexikanischen Regierung -- nicht 
zufaelligerweise als Tagungsort der Klimakonferenz ausgewaehlt. Es 
sind vor allem strategische und oekonomische Ueberlegungen, die Cancun 
den Vorzug gaben. Cancun liegt auf einer Landzunge und kann sehr 
leicht durch "Sicherheitskraefte" abgeriegelt werden. Die Herren 
dieser Welt und die ihnen willfaehrigen Regierungen koennen so 
leichter unter sich bleiben. Proteste sind hier logistisch viel 
schwieriger als etwa in Mexico-Stadt. Der zweite Grund ist darin zu 
sehen, dass der mondaene Badeort gerne als positives 
"Entwicklungsmodell" praesentiert wird: viel Tourismus, der 
oekonomisch nachhaltige Effekte produzieren soll.
Auch ohne viel Statistik und Detaillkennntis sieht man (wenn man mit 
offenen Augen herumgeht bzw. -faehrt und sich nicht in den 
All-inclusive-Fuenfstern-Kaesten einbunkert), dass dem nicht so ist.
Die von internationalem und mexikanischem Grosskapital getaetigten 
Investitionen gehen fast auschliesslich in den Tourismus und die 
speziell fuer ihn benoetigte Infrastruktur. Verlaesst man die 
Landzunge, fahrt ins Landesinnere, etwa in die sensationelle ehemalige 
Maya-Metropole Chitzen Itza, wird man sofort der Armut des Landes 
gewahr: Der Grossteil der Huetten und Haeuser, in denen die heutige 
Maya-Bevoelkerung lebt (sie macht rund 70 Prozent der Bevoelkerung 
aus) ist aeusserst bescheiden. Industrie und auch groessere 
Handwerksbetribe fehlen weitestgehend.
Die meisten Mayas, die in Cancun arbeiten, wohnen ausserhalb- sind 
also Pendler. Viele von ihnen machen sich zwischen vier und fuenf in 
der Frueh aus ihren pueblos mit dem Bus auf den Weg, der oft 100 oder 
mehr Kilometer betraegt. Erst spaet am Abend kommen sie retour. Als 
leidenschaftlicher Fruehaufteher plaudere ich taeglich beim 
Morgenkaffee mit den Angestellten der Handeskette Oxxo, die 24 Stunden 
geoeffnet hat. Sie schuften 60 (sic!) Stunden in der Woche, bei 
heissen 400 Dollar. Die Verdienste der anderen Beschaeftigten im 
Dienstleistungsberich (Reinigungspersonal, Kellner,...) sind aehnlich 
niedrig und koennen nur durch Trinkgelder aufgebessert werden.
Sieht man also hinter die glitzernden (Hotel-)Fassaden, bekommt man 
einen Begriff von der tatsaechlichen sozialen und oekomischen Lage: 
Von positiven "wirtschaftlichen Ausstrahlungseffekten" keine Rede. 
Unser blendend (kunst)geschichtlich versierter Fuehrer in Chitzen Itza 
endete seine Tour mit den Worten: "Die hoehere Klasse der 
Maya-Priester und -Krieger schloss die Bauern und Arbeiter aus dem 
oeffentlichen Leben aus. Diese vertikale Struktur der Gesellschaft hat 
sich bis zum heutigen Tag nicht wesentlich geaendert". Dem ist nichts 
hinzuzufuegen.
*Hermann Dworczak*
*
H.D. ist seit 25.11. in Cancun, berichtet von dort laufend und moechte 
nach seiner Rueckkehr fuer Berichte, Vortraege und Diskussionen zur 
Verfuegung stehen. Allerdings, so H.D. "Diese politische Reise kostet 
ein Schweinegeld und ich konnte sie nur durch eine Menge 
Schuldenmachen finanzieren! Ich bitte daher um Eure -- baldige --  
finanzielle Unterstuetzung. Mein Konto: Hermann Dworczak, Bank 
Austria, 723 295 234 Bankleitzahl 12000"
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