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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2010; 22:42
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Debatte:
> Ethik ist obszoen
Eine unanstaendige Ergaenzung
Jetzt ist sie also wieder mal aufgetaucht, die Debatte ueber den
Ethikunterricht. Allein das Wort verraet schon, worum es geht. Denn
Unterricht hat immer etwas mit Unterweisung zu tun, also dem
Verhaeltnis von Lehrer und Belehrtem, von Gebendem und Nehmenden.
Ethik kann man aber nicht geben, geben kann man nur Ethos sprich
Moral.
Was zum Teufel ist aber Ethik, wenn nicht ein Synonym fuer Moral? Da
sind wir schon fast richtig: beim Teufel. Oder besser nicht beim
Geist, der stets verneint, sondern beim Geist, der sich weigert,
einmal postulierte Grundsaetze -- also die Moral --, als unangreifbar
anzuerkennen.
Die Kirchen haben uns immer eingeredet, sie verstuenden etwas von
Ethik. Das ist ein Irrtum. Wenn die Kirche von Ethik redet, dann meint
sie theologische Ethik. Das heisst, es handelt sich um eine Ethik, die
den jeweils nach Konfession beschaffenen Gott ausser Diskussion stellt
und damit als Urgrund dieser Ethik heranzieht. Wenn aber Gott den
Kirchen Grundstein ihrer Ethik ist, dann ist auch klar, dass es sich
bei deren Ethik nur mehr um eine Wissenschaft der Feinarbeit an einer
unhinterfragten Moral handelt.
Tatsaechliche, "philosophische Ethik" ist hingegen die Infragestellung
jeglicher Moral. Philosophische Ethik kennt keinen eigentlichen, fuer
alle an der Diskussion Beteiligten vordefinierten Urgrund. Als Urgrund
kann hoechstens ein Wertesystem dienen, doch dieses ist eben kein
allen gemeines, wie eine Autoritaet wie beispielsweise eben eine
Religionsgemeinschaft es vorgeben koennte. Ethik ist damit keine
idealistische oder zumindest keine rein idealistische Angelegenheit,
sondern fragt vielmehr auch nach Sinn und Nutzen einer
Verhaltensregel. Ethik ist damit wesenshaft obszoen. "Obszoen"
definiert der Duden u.a. als "unanstaendig, schamlos". Tatsaechlich
verletzt sie den Anstand, da sie Allgemeingueltiges als solches nicht
anerkennt. Sie schaemt sich nicht, Fragen zu stellen, denn auch Scham
ist eine moralische Kategorie. Ethik und Moral verhalten sich also wie
Schraubenzieher und Schraube. Waehrend es der Schraube nicht ansteht,
sich von selbst zu loesen, so ist der Schraubenzieher nicht nur
geeignet, sondern ganz gezielt dafuer gemacht, Schrauben zu versetzen.
Moral bedeutet, die Sinnhaftigkeit der Verschraubung anzuerkennen,
Ethik zu betreiben, heisst, sich des Schraubenziehers zu bedienen.
Viel zum Missverstaendnis des Begriffs der Ethik hat auch das Adjektiv
"ethisch" beigetragen. Denn es ist zumindest zwei-, wenn nicht sogar
dreideutig. Eine ethische Angelegenheit kann den Ethos betreffen (was
sowohl den Begriff der "Sitte" im Sinne von "Brauch" bezeichnet als
auch den der Sittlichkeit im Sinne von Charakter), genauso aber die
Ethik meinen -- also den Zweifel am Ethos.
Unterricht?
Nach diesen Ueberlegungen wird vielleicht verstaendlich, dass es nicht
nur deswegen problematisch ist, mit den Pfaffen einen
"Ethikunterricht" zu fordern, weil diese ihre Weisheiten in einem
neuen Gewand an das Kind bringen wollen. Es ist auch deshalb
problematisch, weil Ethik eben kaum "gelehrt" werden kann. Lehre ist
nur dann zulaessig, so es sich dabei um die historische Disziplin der
"deskriptiven Ethik" (mit der Fragestellung: "Was wurde bislang als
gut und richtig betrachtet und warum?") handelt. Diese ist zwar nicht
uninteressant, darf dabei aber nicht die fuer die demokratische
Bildung wichtigere philosophische Disziplin der "normativen Ethik"
(Fragestellung: "Was hat richtig und gut zu sein?") verdraengen. Diese
Ethik kann man einfach nur ueben und nicht von oben herab
beibringen -- ansonsten waere sie lediglich eine Predigt von Sitte und
Moral.
Ethik ist also zutiefst subversiv. Waehrend die Moral sagt: "Du sollst
nicht stehlen", fragt die Ethik: "Soll man nicht stehlen und warum
eigentlich nicht?" und auch: "Woraus sollen sich Eigentumsrechte
ableiten?" Sie stellt in Frage, sie baut Moral auf und sie zerschlaegt
sie. Wer Ethik betreibt, weiss, dass er den Anstand verletzt und er
weiss auch, dass er diese Obszoenitaet gezielt einsetzen muss, um
nicht im Kampf gegen eine als falsch angesehene Moral einen vollkommen
moralfreien Raum zu erschaffen, der ein "sittlich" orientiertes Leben
verunmoeglicht. Wie weit diese Obszoenitaet dabei gehen darf, ist eben
auch eine Frage der Ethik.
Diese Dinge zu ueben, den selbst- wie verantwortungsbewussten Umgang
mit Ethik, waere eine Aufgabe, die unseren Schulen zu stellen waere.
Aber nachdem fundamentale Systemkritik -- und das ist Ethik nunmal --
etwas ist, was unserem Unterrichtssystem nicht behagt, werden wir wohl
noch lange auf Ethikschulstunden warten muessen, die diese Bezeichnung
auch verdienen.
Es geht auch anders
Ich selbst habe einen ebensolchen Ehtik-eben-nicht-Unterricht
geniessen duerfen. Von einem Religionslehrer. Und das meine ich ganz
ohne Ironie. Denn dieser war ein durch und durch kritischer Geist, der
von Gott eher ungern sprach -- wenn er es tat, dann nur als
philosphisches Konzept und laengst nicht mehr als allmaechtiges,
persoenliches Wesen. So sprach dieser Lehrer lieber ueber die Welt als
ueber Gott, verkuendete, dass wir sowieso alle in der Klasse von ihm
Einser bekaemen, und bat diejenigen, die nicht mitdiskutieren wollten,
doch bitte die anderen nicht in der Debatte zu stoeren. Und so
debattierten wir ganz gottlos, wie denn die Welt zu verbessern waere.
Ich weiss nicht, wieviel meiner politischen Bildung ich diesem Lehrer
zu verdanken habe, aber es ist sicher kein vernachlaessigbares
Quantum. Naja und wenn ich so bedenke, wie meine heutigen Ansichten
ueber die Welt und die Herren dieser Welt sind, ist es wohl nur allzu
verstaendlich, weswegen von eben diesen Herren niemand wirklich will,
dass an unseren Schulen Ethik betrieben wird.
*Bernhard Redl*
*
Anmerkung: Wem obiger Text bekannt vorkommt, hat ein gutes
Gedaechtnis. Es ist die ueberarbeitete Fassung eines Artikels, der in
akin 10/1997 erschienen ist. Aber in unserer kurzlebigen Zeit darf man
sich wohl nach ueber 13 Jahren schon mal wiederholen.
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