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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2010; 22:42
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Debatte:
> Der Heidenhammer
> oder die falsch verstandene Ethik
Die OeVP will ihn nur fuer Unglaeubige, die Gruenen fuer alle. Peter
Kampits trauert ihm nach. Es geht um den Ethikunterricht. Die Debatte
offenbart vor allem eines: Die Teilnehmenden haben nicht verstanden,
worum es geht oder sind auf Kompromisse aus. Auffaellig auch, wer
aller zum Thema schweigt.
Den armen Heidenkindern fehlt es an moralischer Orientierung im Leben.
Es muss etwas dagegen getan werden, dass sie Omas auf dem Schulweg
ausrauben, halbe Schulen verwuesten oder ihre Klassen samt Lehrern
terrorisieren oder sonstwie auf die falsche Bahn geraten. Das gilt
auch fuer die bekanntermassen subversiven Elemente unter den
Schuelern, die sich - welch furchtbare Vorstellung - vom
konfessionellen Religionsunterricht abmelden.
Ausserdem schadet zu viel Freizeit. Die zwei Stunden, die man nicht im
konfessionellen Religionsunterricht vollbringt, koennten die Schueler
fuer etwas Sinnvolles nutzen. Lernen, nachdenken oder ausschlafen
etwa. Dem muesse vorgebeugt werden, findet die "Volks"partei, zuletzt
in Gestalt der niederoesterreichischen Familienlandesraetin Johanna
Mikl-Leitner. Und hat sofort eine Loesung parat, die verhindert, dass
die armen Heidenkinder ohne moralischen Halt durchs Leben irren
muessen: Den Ethikunterricht. In den sollen alle Kinder gehen muessen,
die nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, der ( (c)
Mikl-Leitner) "wie kein anderes Schulfach, Werte und Orientierung"
vermittle.
Wer die Volkspartei kennt, weiss, welche "Werte" und welche
"Orientierung" hier vermittelt werden sollen: Christliche. Was bisher
etwa in Kindergaerten auch ohne beziehungsweise moeglicherweise gegen
gesetzliche Regelungen geschehen ist: Auch religionsfreie Kinder
werden - je nach Bundesland - schon mal in katholische Messen
mitgenommen. Ob das die Eltern wollen oder nicht.
Immerhin soll man laut den meisten Kindergartengesetzen in Oesterreich
die Kinder auch religioes erziehen. In vielen Pflichtschulen duerfte
das nicht viel anders laufen. Und wozu haengen die Kreuze in
Kindergaerten und Schulklassen? Als Anschauungsmaterial fuer das Thema
"Antike Foltermethoden" im Geschichtsunterricht sind sie nicht
gedacht. Aus Sicht der OeVP (und der FPOe bzw. des BZOe, die hier die
gleichen politischen Standpunkte vertreten) ist das Kruzifix
wahrscheinlich eine ueberkonfessionelle Einrichtung fuer die Wahrung
der europaeischen Kultur im allgemeinen und der alpenlaendischen im
speziellen. Was auch immer diese Kultur genau sein moege. Die SPOe
schweigt im allgemeinen zum Thema: Zu breit ist die Kluft zwischen
Opportunisten und denen, die sich wie die JG, SJ oder die Wiener
Sektion Acht bzw. die SPOe Alsergrund fuer einen laizistischen Staat
einsetzen.
Die bisherigen Schulversuche gehen in die von der OeVP gewuenschte
Richtung. An etwa 200 Schulen in ganz Oesterreich muessen alle Kinder,
die, auch welchen Gruenden auch immer, nicht in den konfessionellen
Religionsunterricht gehen, in den Ethikunterricht. Der wird grossteils
von - erraten - katholischen ReligionslehrerInnen erteilt, die
irgendeine Zusatzausbildung gemacht haben. Genormt ist die nebenbei
nicht. Die Rollen lassen sich schwieriger trennen als das die meisten
LehrerInnen vermutlich gerne haben wuerden.
Mir ist etwa ein Fall aus Graz bekannt, in dem eine Ethik- und
Religionslehrerin einen Ethikschueler mit vollem Namen im
Religionsunterricht wegen einer Aeusserung blossgestellt hat, die
dieser im Ethikunterricht gemacht hatte. Was den Verdacht aufwirft,
dass der Ethikunterricht nichts sein soll als ein (katholischer)
Religionsunterricht durchs Hintertuerl: Fuer religionsfreie Kinder,
fuer Kinder muslimischer, protestantischer und juedischer Eltern, fuer
die es etwa am Land wegen einer zu geringen Anzahl keinen
Religionsunterricht gibt. Die Unterrichtsmaterialen stammen zu einem
erheblichen Teil von katholischen Theologen. Man ist versucht, das
Konzept Ethikunterricht als eine Art Heidenhammer im 21. Jahrhundert
zu sehen.
Professor auf Irrwegen
Peter Kampits scheint das in seiner Polemik im Standard wenig zu
interessieren. Er beklagt traenenreich, dass das
Unterrichtsministerium aus Einsparungsgruenden den als gescheitert
anzusehenden Schulversuch Ethikunterricht nicht ausbauen will. Er tut
so, als sei das etwas ganz neues, mit dem alle SchuelerInnen mit
aktuellen ethischen Fragen konfrontiert werden sollen. Dass der
Ethikunterricht nur fuer religionsfreie Kinder bzw. solche
vorgeschrieben ist, die sich abgemeldet haben, verschweigt er. Sei es
mangels Informationen - die man von einem Universitaetsprofessor fuer
Philosophie wohl erwarten koennte - sei es wider besseren Wissens.
Fuer beide Erklaerungsmoeglichkeiten liefert sein Text Argumente,
nicht zuletzt kennt er nicht einmal die korrekte Zahl an Schulen, an
denen der Schulversuch laeuft: "Ethik, vor allem angewandte Ethik,
erlebt eine nie dagewesene Hochkonjunktur: kein Symposion der
Biologie, der Hirnforschung, der Medizin und vor allem der Oekonomie,
aber auch der Technik und der Informatik kommt ohne Ethiker aus , auch
wenn die Ethik natuerlich manchmal die Funktion eines Ornaments oder
Feigenblattes zu erfuellen scheint. Ethik im weitesten Sinn ist ja
nicht wie Moral eine Ansammlung von Geboten und Verboten, sondern
eroeffnet als eine reflexive Wissenschaft bezueglich der sittlichen
Ziele unseres Handelns ein weites Feld: Fragen nach dem Sinn unseres
Handelns, Fragen, wie mit dem Anderen umzugehen sei, wie wir uns
angesichts einer kalten und durchoekonomisierten und
durchtechnisierten Welt zu positionieren vermoegen, wie wir mit Gut
und Boese umgehen sollen, sind Fragen, mit denen gerade junge Menschen
immer wieder konfrontiert werden."
Wunderbar. Kaum mehr als eine Sammlung von Platitueden. Der Ethiker
Kampits scheint sich kaum mehr mit dem Konzept auseinandergesetzt zu
haben als es die OeVP tut. Haette er es getan, er haette kritisieren
koennen, dass offenbar nur eine Gruppe von Schuelern in den Genuss
dieser Erkenntnisse kommen soll. Kampits haette auch ein flammendes
Plaedoyer fuer einen Ethikunterricht STATT des konfessionellen
Religionsunterricht schreiben koennen.
Staatliche Religionserziehung
Der konfessionelle Religionsunterricht vermittelt per definitionem
genau "Moral (als) eine Ansammlung von Geboten und Verboten" und
stellt Kinder zunaechst als noch zu formende Angehoerige der
jeweiligen Religionsgemeinschaften ihrer Eltern dar. Genauso gut
koennte man Kindern Unterricht in der Weltanschauung ihrer Eltern
geben. Statt des Religionsbekenntnisses stuende die
Parteizugehoerigkeit/praeferenz der Erziehungsberechtigten ganz oben
auf dem (amtlichen) Schulzeugnis. Sozialdemokraten gehen zu Lehrer
Bauer, die Konservativen zu Seipel, fuer die FPOe'ler muessen wir noch
einen Lehrer finden, der unterrichten darf, vielleicht werden deren
Kinder auch gemeinsam mit den BZOelern unterrichtet und die Gruenen
duerfen zum Onkel Sascha. Fuer die Kinder von Nichtwaehlern gibt's
Freistunden, fuer Kommunisten ebenso.
Religion ist eine Weltanschauung wie andere auch. Wie viele andere
Weltanschauungen gruendet sie auf Irrealem und Dogmen. Dass sie in
vielen (aber bei weitem nicht allen) Kulturen eine Sonderstellung als
besonders schuetzenswerte Anschauung hat, ist Resultat blutiger
Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Machtstellungen und
keineswegs ein Naturgesetz. Dass man Religion wie in Oesterreich,
Deutschland und Italien wie in Teilen der Schweiz etwa mit dem
konfessionellen Unterricht besonders foerdert, ist nebenbei gesagt
international eher ein Unikum. In den USA oder Frankreich kennt man
nichts dergleichen. Was weder Franzosen noch US-Amerikaner zu
schlechteren Menschen macht als Oesterreicher. Zumindest gibt es keine
empirischen Belege fuer derartige Behauptungen. (Weder da noch dort
stuermen die Massen in irgendwelche Hinterhoefe oder Sonntagsschulen
um die vermisste religioese Erziehung durch Radikalinskis zu
geniessen. Selbst in den sehr religioesen USA geniesst eine Mehrheit
der Kinder keine stukturierte religioese Erziehung ausserhalb des
Elternhauses.)
Genausowenig gibt es empirische Belege fuer die Diffamierung der
"Volks"partei, religionsfreie Kinder seien fuer die steigende Gewalt
an Schulen verantwortlich. "Das Thema Gewalt an Schulen steht auch im
engen Zusammenhang mit Wertefragen", sagte etwa 2007 der damalige
OeVP-Vorsitzende Wilhelm Molterer. "Daher soll fuer alle Schuelerinnen
und Schueler, die sich vom Religionsunterricht abmelden oder ohne
Bekenntnis sind, ein verpflichtender Ethikunterricht eingefuehrt
werden", heisst es in einem damals gefaellten Beschluss der
Parteispitze.
Soll heissen: Nicht religioese Menschen sind gewalttaetiger als
andere. Das ist eine Beleidigung jener fast zwei Millionen
OesterreicherInnen, die keiner Religion angehoeren. Und
wissenschaftlicher Unfug. Eine Entschuldigung steht bis heute aus.
(Nur ein haeufig genannter Einwand vorweg: Das NS-Regime war NICHT
atheistisch, Adolf Hitler war bis zu seinem Tod Katholik. Die
kommunistischen Regimes moegen offiziell atheistisch gewesen sein -
ihre Graeueltaten haben sie damit nie begruendet. Daraus eine
besondere Brutalitaet von Atheisten abzuleiten waere, als wuerde man
jeden von einem Katholiken begangenen Mord unabhaengig vom Motiv dem
Vatikan in die Schuhe schieben.)
Gruener Standpunkt schwammig
Die einzige Parlamentspartei, fuer die das Thema einer Rolle spielt,
sind die Gruenen. Sie nehmen gemessen am gesellschaftlichen Konsens,
dass der konfessionelle Religionsunterricht schon so passt, weil er eh
immer da war, eine fortschrittliche Rolle ein. Sie fordern in ihrem
Bildungsprogramm einen verpflichtenden Ethikunterricht fuer alle statt
des konfessionellen Religionsunterrichts. Letzteren soll es nur als
Freifach geben.
Ein schwammiger Standpunkt. Der vorweggenommene Kompromiss. Man will
sich den Aufschrei der Konservativen (und von Teilen der SPOe)
ersparen - und verhindert eine gesellschaftliche Debatte. Die
Forderung ist gut gemeint. Das ist das Gegenteil von gut gemacht. Auch
innerparteilich gibt es Kritik, wie von den AgnostikerInnen und
AtheistInnen fuer ein saekulares Oesterreich, einer gruen-nahen
laizistischen Organisation.
Warum ueberhaupt Ethikunterricht?
Der konfessionelle Religionsunterricht gehoert weg. Ob verpflichtend
oder als Freifach. Er stellt nicht nur die Trennung von Staat und
Kirche infrage. Er dient ausgewiesenermassen als Propagandainstrument
der jeweiligen Religionsgemeinschaften (und wenn nicht, nehmen die
LehrerInnen ihre eigentliche Aufgabe nicht wahr), vielleicht moderner
als frueher aber er bleibt ein Propagandainstrument. Er legt Kinder
auf vermeintliche "Identitaeten" fest und festigt nebenbei die
Stellung der Religionsgemeinschaften insgesamt als moralische
Instanzen.
Eine Stellung, die sie sich vor allem ueber reale gesellschaftliche
Machtstellungen erworben haben und ueber die Behauptung, moralische
Instanzen zu sein. An Beweisen haben sie es bisher mangeln lassen.
Bzw. haben sie allesamt bis heute mehr Gegenbeweise geliefert als
Indizien fuer besondere Moralitaet.
Warum braucht es ueberhaupt einen Ethikunterricht als Ersatz fuer den
konfessionellen Religionsunterricht? Wer das fordert, gibt indirekt
zu, dass Kinder ethische Orientierung brauchen, die bisher nur die
Religionen vermittelt haben. Was heisst, dass religionsfreie Kinder
diese ethische Orientierung bisher nicht hatten. Ein weichgewaschener
VP-Standpunkt.
Um nicht missverstanden zu werden: Niemand hat etwas dagegen, dass
oesterreichische Schulkinder endlich und erstmalig systematisch mit
ethischen Fragen konfrontiert werden. Nur hat das mit dem
Religionsunterricht nicht das Geringste zu tun. Der gehoert sowieso
raus aus den Schulen. Ob mit oder ohne Ethik- oder
Lebenskundeunterricht.
*Christoph Baumgarten*
(Dieser Text ist ebenfalls erschienen auf Politwatch.at und im
Humanistischen Pressedienst hpd.de.)
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