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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2010; 22:33
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Wirtschaft/Protest/Debatte:
> Mit Geldabheben das Bankensystem stuerzen?
Zehntausende in Europa wollen einem Aufruf des Ex-Fussballstars Eric 
Cantona folgen und am 7.Dezember alles Geld von ihren Bankkonten 
abheben - als Form des Widerstands gegen die Bankenherrschaft. Die 
Idee stammt zwar nicht von dem Promi selbst, sondern von einer 
Initiative, die sich "bank run 2010" nennt, aber seit sich Cantona im 
Web dafuer stark macht, bekommt das ganze eine medienrelevante 
Dimension.
Cantona erklaerte in oeffentlichen Statements, dass Demonstrationen 
einfach nur Zeitverschwendung waeren, aber: "Wenn 20 Millionen 
Menschen gleichzeitig ihr Geld von der Bank abheben, dann bricht das 
System zusammen". "Statt (zu Demonstrationen) auf die Strasse zu 
gehen, Kilometer um Kilometer, gehst du einfach zur Bank in deinem 
Dorf und hebst dein Geld ab", so der (selbst uebrigens ziemlich 
reiche) Fussballer.
Vor allem in Frankreich - wo wochenlange Proteste nichts wesentliches 
an der Pensionsreform Sarkozys aendern konnten und woher die Idee auch 
stammt - gibt es viel Unterstuetzung fuer die Idee. Aber ist sie 
wirklich so gut?
Ein Redaktionssgespraech zwischen *Ilse Grusch* und *Bernhard Redl*.
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Bernhard: Es ist klar, dass eine solche Aktion - selbst wenn sie nur 
kurzfristig passiert und die Leute ein paar Tage spaeter ihr Geld 
wieder einzahlen - das Bankensystem nicht unbeeindruckt liesse, wenn 
sich nur genug Menschen daran beteiligen. Und die Idee ist natuerlich 
faszinierend. Denn was bleibt uns denn sonst? Revolutionen sind 
bekanntlich illegal und werden dementsprechend vom Staat behandelt. 
Alle anderen legalen Formen des Protests sind komplett sinnlos - 
wahrscheinlich sind sie eh nur deswegen legal. Aber massenhaft das 
Geld abheben ist auch legal - zumindest noch. Vielleicht wird das 
demnaechst als Terrorismus eingestuft, aber noch darf man es. Doch was 
bringts?
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Ilse: Die Idee hat was. Einerseits, andererseits. Einerseits klingt 
sie toll, weil machbar und wahrscheinlich recht effektiv. 
Andererseits: Bringts wirklich was, wenn Banken eingehn? Lange vor der 
Zeit der Spekulationen und Geldverschenkungsaktionen an Manager sind 
Banken als Dienstleistungsfirmen entstanden. Es gibt Banken nicht 
deshalb, weil ein paar geldgeile Manager beschlossen haben, auf diese 
Weise viel zu verdienen, sondern weil Banken als Werkzeug notwendig 
waren, um mit Geld arbeiten zu koennen. Produzierende brauchten 
Kredite, Handeltreibende brauchten Ueberweisungen, Reisende brauchten 
Waehrungen. An sich noch nichts ganz Schlimmes. Schlimm wurde die 
Geschichte erst durch die Gier und den Glauben an Geld als 
Selbstzweck. Wenn wir also alle unser bisserl Geld abheben und dadurch 
die eine oder andere Bank in den Untergang treiben, aendern wir das 
System nicht. Vielleicht machen wir dadurch nur die Drecksarbeit fuer 
die Grossbanken und raeumen unliebsame kleinere Konkurrenten weg.
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B: Na, also ganz so ist es nicht. Es stimmt naemlich schon, dass der 
Kapitalismus sich logisch aus der Geldwirtschaft entwickelt. Wenn ich 
Geld verleihe, dann tue ich das nicht, um nett zu sein und jemandem zu 
helfen, sondern um daran zu verdienen. Jeder Kredit funktioniert so 
und auch jede Sparbucheinlage, die ja wiederum nichts anderes als ein 
Kredit an die Bank ist. Damit wird das Geld zum Produktionsmittel, zum 
akkumulierbaren Kapital. Nur eine Bank, die unter einer 
gesellschaftlichen Kontrolle steht, kann auf eine gesellschaftlich 
sinnvolle Funktion reduziert werden. Und Banken stehen eben nicht 
unter gesellschaftlicher Kontrolle. Insofern stimmt schon Brechts 
Diktum, dass die Gruendung einer Bank weitaus lohnender als ein 
Bankraub sei.
Aber darum gehts jetzt gar nicht. Es geht darum, ob man das System mit 
einem bank run in unserem Sinn beeinflussen kann. Ein totaler 
Bankenkrach wuerde ja tatsaechlich das ganze wirtschaftliche System in 
Frage stellen. Die Folge waeren aber wahrscheinlich kurzfristige 
Notstandsgesetze und die Politik wuerde alles tun, um das alte System 
wieder zu rekonstruieren. Jedoch: Die Aktion wird wahrscheinlich nicht 
so flaechendeckend stattfinden, dass es wirklich zu einem Krachen der 
Banken kommt. Immerhin waere es ein politisches Zeichen, quasi "ein 
Schuss vor den Bug", dass es irgendwann reicht und man sich von unten 
langsam doch was einfallen laesst, um die Herrschaft ins Wanken zu 
bringen. Ob die Politik so lernwillig ist, bleibt aber die Frage.
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I.: Ja eh. Banken im Staatsbesitz bzw. genossenschaftlich oder 
kommunal kontrolliert und reduziert auf Basisfunktionen, das waer 
erstrebenswert. Die Vermischung von Bank und Kasino, die wir derzeit 
haben, das ist Unfug. Das gehoert streng getrennt. Wenn schon Kasinos, 
dann gehoeren auch die in Staatsbesitz. Wenn wer glaubt, dass er/sie 
Geld zum Verspielen hat, dann her damit. Als Steuer taeten die Leute 
das Geld nicht ausgeben wollen, aber ins Kasino tragen sie es 
freiwillig. Und alles, was die Banken heute kasinoaehnlich machen, 
also Wetten (Futures und Optionen und wie das Zeug alles heisst) 
gehoeren schlicht und einfach verboten. Das ist wahrscheinlich mit 
einem bank run nicht zu erreichen.
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B.: Nunja. Also ich bin mir nicht sicher, ob der Staat irgendwas mit 
gesellschaftlicher Kontrolle zu tun hat. Schliesslich sind es genau 
diese Staaten, die ja definieren, was legal ist und was nicht, was 
richtig ist und was falsch. Nur, was will man machen? Wie kann man das 
System beeinflussen? Das ist das, was ich die ganze Zeit sage: Wir 
muessen uns neue Mittel und Wege ueberlegen und so ein bank run ist 
zumindest mal ein ganz neuer Ansatz - obwohl eigentlich eh uralt, wie 
ein gewisser Herr Boykott im Irland des 19.Jahrhunderts erfahren 
musste. Daher finde ich die Idee nicht schlecht - probieren wir neue 
Formen des Widerstands aus und schauen wir mal, was der Herrschaft weh 
tut! Weil so sonderlich sinnvoll ist es auch nicht gerade, auf die 
Strasse zu gehen oder auf Flugblaettern laecherlicherweise zu 
verkuenden: "Eure Krise zahlen wir nicht!"
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I.: Du hast ja so recht. Aber ich hab auch so recht. Wahrscheinlich 
haben wir beide recht. Es ist eine klassische alte Debatte wie die von 
den Haupt- und Nebenwiderspruechen. Oder eine Gleichung mit zwei 
Loesungen?
Wie auch immer, probieren koennten wirs natuerlich ein Mal. Schaun wir 
uns an, wie die Gschicht heuer angenommen wird, naechstes Jahr sind 
wir gscheiter. Oder vielleicht hat eine/r unserer LeserInnen die 
geniale Idee, wie wir doch noch erreichen koennen, was wir erreichen 
wollen?
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