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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 24. November 2010; 03:48
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Lateinamerika:
> Kriminalisiert - das Recht auf den eigenen Koerper? (Teil 2, Nicaragua)
Wie Politiker unterschiedlicher Couleur um der Macht Willen mit der
Kirche gegen Frauen paktieren.
Abtreibung ist in Nicaragua seit jeher strafbar. Das Strafgesetzbuch
von 1870 - gueltig bis 2007 - erlaubte Schwangerschaftsabbrueche nur
zum Schutze des Lebens der Mutter. Im Zuge der sandinistischen
Revolution gelingt es in den achtziger Jahren nicht, das Gesetz von
1870 zu liberalisieren, die konservativ-neoliberalen Regierungen seit
1990 bleiben in dieser Sache untaetig.
2006: Daniel Ortega, der ehemalige Revolutionsfuehrer, versucht zum
dritten Mal als Kandidat der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN
(Frente Sandinista de Liberación Nacional), an die Macht
zurueckzukehren. Die Aussichten sind wieder nicht die besten, vor
allem, solange die katholische Kirche die SandinistInnen verteufelt.
Da bietet sich ein Pakt an. Die katholische Kirche hoert auf, gegen
Ortega zu predigen, die FSLN macht dafuer aus dem sehr
eingeschraenkten Abtreibungsrecht ein absolutes Abtreibungsverbot -
auch der "therapeutische Abbruch" soll verboten sein. So soll es sein:
Ortega wird zum Praesidenten gewaehlt und im Jahr 2007 beschliesst der
Kongress Nicaraguas das resolute Abtreibungsverbot.
Frauen sterben an Komplikationen
Der Begriff "therapeutischer Schwangerschaftsabbruch" ist vergleichbar
mit dem deutschen Begriff einer medizinischen Indikation: ein Abbruch
soll eingeleitet werden, wenn eine Gefahr fuer das Leben oder die
koerperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren besteht. Zudem
spricht man von einem therapeutischen Abbruch, wenn eine ernste Gefahr
besteht, dass das Kind geistig oder koerperlich schwer geschaedigt
sein wird.
Mónica Baltodano, vom Movimiento Renovador Sandinista MRS - der
"sandinistischen Erneuerungsbewegung", der viertgroessten politischen
Kraft Nicaraguas und einer Abspaltung der von Daniel Ortega
beherrschten FSLN, setzt sich seit vielen Jahren fuer die
Liberalisierung des nicaraguanischen Abtreibungsrechts ein. Das
Abtreibungsverbot fuehre zu dramatischen Situationen in den
Krankenhaeusern. Zum Beispiel, wenn der Foetus von der Gebaermutter
abgestossen wird und im Geburtskanal haengenbleibt. Der Arzt sage
dann: "Wir koennen den Foetus erst rausnehmen, wenn es keine
Lebenszeichen mehr gibt!" In der Folge kommt es zu Fieberschueben und
Blutvergiftungen bei der Mutter. "Es gibt Dutzende Faelle, in denen
Frauen aufgrund solcher Komplikationen gestorben sind, weil Frauen in
den Krankenhaeusern nicht in Faellen nicht behandelt wurden, wo ein
Schwangerschaftsabbruch dringend angezeigt war", weiss Mónica
Baltodano.
Vergewaltigte Maedchen muessen Kind austragen
Zum Beispiel der Fall der jungen Frau und Mutter, bei der Krebs
festgestellt wird und die dringend eine Chemotherapie benoetigt. Da
sie schwanger ist, weigern sich die AerztInnen, eine Behandlung zu
beginnen, das Kind koenne Schaden nehmen. Monate spaeter, ein
internationaler Gerichtshof hatte Nicaragua inzwischen verdonnert, die
Behandlung zu beginnen, ist das Kind tot - haette aber bei
rechtzeitiger Behandlung ueberleben koennen. Soweit zum
therapeutischen Abbruch. Aber auch das Verbot einer Abtreibung nach
einer Vergewaltigung fuehrt immer wieder zu tragischen Situationen,
berichtet Mónica Baltodano: "Mehr als 16 Prozent aller
Vergewaltigungen fuehren zu Schwangerschaften! Und mehr als die
Haelfte der Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurden,
sind juenger als 14 Jahre, insgesamt mehr als 1.700 Faelle im Jahr!"
Es gibt den emblematischen Fall eines Maedchens, das im Jahr 2003 als
Neunjaehrige von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde. Die
Frauenbewegung forderte die Moeglichkeit einer Abtreibung, die dann
per Gerichtsbeschluss Ende 2003 auch ermoeglicht wurde. Diese
Abtreibung bot den Ortegas nach Amtsantritt die Gelegenheit, gegen die
Frauenbewegung vorzugehen: Gegen neun Aktivistinnen wurden
Strafverfahren eingeleitet, die erst 2010, nach jahrelangem
internationalen Druck, eingestellt wurden. Fuer Monica Baltodano kein
Grund zum Optimismus, denn die feministische Bewegung Nicaraguas sei
stark in die Defensive geraten: "Wenn wir in den achtziger Jahren noch
dafuer gekaempft haben, dass die Abtreibung nach einer Vergewaltigung
legalisiert wird oder in dem Fall, dass das Kind mit schweren
Missbildungen zur Welt kommt, dann bleibt uns heute nur, fuer die
Frauen zu kaempfen, die ohne einen Schwangerschaftsabbruch sterben
wuerden. Das ist ein gewaltiger Rueckschritt!"
Macht der Kirche gewachsen
Das Buendnis mit dem ehemaligen Erzfeind Ortega hat der katholische
Kirche in vielerlei Hinsicht zu neuer Macht verholfen, die Macht, der
Bevoelkerung ueberkommene Vorstellungen und eine dezidiert
frauenfeindliche Ideologie aufzudruecken. Wer Frauen sterben laesst,
weil man die Toetung ungeborenen Lebens ablehnt, wer neunjaehrige
Vergewaltigungsopfer dazu zwingen will, das Produkt dieser
Vergewaltigung auszutragen, der muss sich jeden einigermassen
aufgeklaerten Menschen zum Gegner machen. Und so ist auch die
Aufklaerung eine Gegnerin, mit der es die katholische Kirche in
Nicaragua aufzunehmen weiss. Noch einmal Mónica Baltodano: "Nicaragua
hat die hoechste Schwangerschaftsrate unter Heranwachsenden in ganz
Lateinamerika, viele davon Maedchen unter 12 Jahren! Wie kann das
sein, dass die katholische Kirche Frauen verdammt, die schwanger
werden, wenn sie zur gleichen Zeit dafuer sorgt, dass Sexualerziehung
an den Schulen verboten wird und so dafuer sorgt, dass junge Menschen
ueberhaupt nichts ueber ihre eigene Sexualitaet wissen!"
Die Position der katholischen Kirche in der Abtreibungsfrage richtet
sich nach dem Evangelium Vitae vom 25. Maerz 1995, die von der
Unantastbarkeit menschlichen Lebens spricht und neben jeder Form von
Abtreibung auch Euthanasie und die Todesstrafe ablehnt. Schon den
Begriff "therapeutische Abtreibung" findet die Kirche unangemessen und
sagt stattdessen: "Wenn zum Beispiel die Rettung des Lebens der
zukuenftigen Mutter dringend einen chirurgischen Eingriff oder eine
andere therapeutische Behandlung erfordern wuerde, die als keineswegs
gewollte oder beabsichtigte, aber unvermeidliche Nebenfolge den Tod
des keimenden Lebens zur Folge haette, koennte man einen solchen
Eingriff nicht als einen direkten Angriff auf schuldloses Leben
bezeichnen." Wenn es um das Leben der Schwangeren geht, dann gibt es
zumindest ein "Jain" aus Rom, die nicaraguanische Loesung ist also
weit fundamentalistischer. Kein Pardon findet die Kirche allerdings
fuer Abtreibungen nach Vergewaltigungen.
Diskriminierung von Frauen nimmt zu
Was die Kirche in der Abtreibungsdebatte sagt, mag man befolgen oder
nicht, zumindest in Staaten, in denen Religion und Gesetz getrennt
sind. Dass die Kirche in Lateinamerika versucht, ihre Lehre in Gesetze
zu giessen, die fuer alle gelten und die insbesondere Frauen schaden,
das ist nicht hinzunehmen. Dass gerade das FSLN regierte Nicaragua
katholische Extrempositionen zu geltendem Recht macht, ist dabei mehr
als pikant.
Wie alle Laender Lateinamerikas erlebt auch Nicaragua den Versuch der
politischen und kirchlichen Hierarchie, eine patriarchische und
autoritaere Ordnung wiederherzustellen oder zu erhalten! Gewalt und
Diskriminierung gegen Frauen nehmen zu, es wird fuer Frauen immer
schwieriger, gleich bezahlte Jobs zu finden. Dass aber ausgerechnet
Nicaragua und El Salvador, die Laender, die den hoechsten Anteil von
Frauen in den Parlamenten aufweisen und die von Linken regiert werden,
dass ausgerechnet diese beiden Laender die einzigen sind, die die
Abtreibung komplett kriminalisieren, inklusive im Fall einer
medizinischen Indikation, das findet Mónica Baltodano "widerlich! Die
sagen, sie seien links, weil sie zur Wirtschaftsgemeinschaft ALBA
gehoeren oder gute Beziehungen zu Fidel Castro oder zu Chávez haben.
Aber in Wahrheit setzen sie neoliberale Politik um und ihre Politik
gegenueber Frauen entpuppt sich als am Reaktionaersten!"
(Markus Plate, npl/Poonal)
Quelle:
http://www.npla.de/de/poonal/3063-kriminalisiert-das-recht-auf-den-eigenen-koerper-teil-2
(Der erste Teil ueber Mexiko ist nachzulesen unter
http://akin.mediaweb.at/2010/26/26poonal.htm.)
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