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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 24. November 2010; 03:29
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Wiener Koalition/Kommentar:
> Viele Fallen
Was ist das Koalitionspapier von SPOe und Gruenen wert?
Nun haben wir also Rot-Gruen in Wien und kommen aus dem Staunen nicht 
mehr raus. Das Ressort der neuen Stadtraetin Vassilakou erscheint auf 
den ersten Blick ganz ordentlich und auch das Koalitionsabkommen wirkt 
prima vista nicht wie von Haeupl diktiert. Ist unser Buergermeister 
auf die alten Tage weich geworden? Oder geht es dabei um etwas ganz 
anderes? Will die SPOe-Spitze vielleicht Vorhaben durchbringen, die 
sie in der Alleinregierung ihrer Basis nie haette erklaeren koennen, 
nun aber mit den Gruenen und dem Koalitionsfrieden als Ausrede 
realisierbar waeren? Oder bastelt Haeupl gar an einer tragfaehigen 
Mehrheit, die eine stabile SPOe-gefuehrte Regierung ueber mehrere 
Legislaturperioden ermoeglichen koennte?
Da stimmt doch was nicht, ist man als gelernter Oesterreicher oder vor 
allem Wiener geneigt, zu vermuten. Und natuerlich gibt es da ein paar 
Punkte, die das Ganze wieder so erscheinen lassen, dass man nicht 
wirklich umzudenken braucht. Denn die gruene Stadtraetin ist zwar 
formal fuer Planung, Verkehr, Energie und Klimaschutz zustaendig, doch 
die Agenden fuer die ausgelagerten Betriebe der Wiener Linien und der 
Wien-Energie liegen natuerlich bei der Eigentuemervertreterin der 
Stadt und das ist die Finanzstadtraetin. Und wohl auch in anderen 
Fragen wird die gruene Vizebuergermeisterin bei der 
sozialdemokratischen Kollegin vorstellig werden muessen -- denn alles, 
was Geld kostet, ist immer auch eine Sache von Renate Brauner. Und 
Geld kostet ja so ziemlich alles.
Natuerlich enthaelt auch das Regierungsuebereinkommen so einiges an 
Fallen. Willkuerlich herausgegriffen seien da drei Punkte: 
Demokratiereform, Radverkehr und Schulbildung. Bei der 
Demokratiereform ist man da sehr ambitioniert: "Ziel ist ein modernes 
Verhaeltniswahlrecht". Was "modern" genau heissen soll, soll aber erst 
mal eine Arbeitsgruppe definieren -- von einer Mandatsverteilung, die 
eher etwas mit den Stimmgewichten zu tun hat als bisher, ist nicht 
explizit die Rede. "BuergerInnenversammlungen und Beteiligungsmodelle 
auf Bezirks- und Graetzelebene (sollen) leichter initiierbar sein." 
Wunderbar -- allerdings kennt Wien eine Tradition von 
"Buergerbeteiligung", wo sich so mancher Beteiligter nachher schwer 
papierlt fuehlen musste. Ob man daran anschliessen moechte? Und: Das 
aktive Wahlrecht soll auch auf Landtagsebene auf EU- und gar 
Drittstaatsangehoerige ausgedehnt werden, sofern sie eine gewisse Zeit 
in Wien gelebt haben. Nur bloed, dass das verfassungswidrig ist und 
dann bleibt halt nur der Wunsch ans Christkindl: "Die Wiener 
Stadtregierung setzt sich im Rahmen ihrer Moeglichkeiten fuer eine 
bundesverfassungsgesetzliche Aenderung ein."
Aehnlich schaut es beim Radverkehr aus. Der soll natuerlich gefoerdert 
werden. Punkt 1 des entsprechenden Abschnitts ist daher natuerlich: 
"Weiterer Ausbau des Wiener Radwegenetzes". Ganz toll! Denn in Wien 
dienen Radwege ja hauptsaechlich dazu, Radfahrende und zu Fuss gehende 
einander naeher zu bringen und die Fahrbahn allein fuer die 
Motorisierten zu reservieren. Denn wenn ein Radweg da ist, muss er 
auch benuetzt werden, auch, wenn er noch so dumm angelegt ist -- das 
schreibt die Radwegbenuetzungspflicht vor. Das ist naemlich der Grund, 
warum nie versucht worden ist, die Radwege attraktiv zu gestalten --  
schliesslich hat man hoch zu Rad sowieso keine Wahl. Doch halt, die 
Aufhebung dieser Pflicht ist ja im Koalitionsabkommen vorgesehen! 
Bloed nur, dass die Strassenverkehrsordnung Bundesangelegenheit ist. 
Also wieder nur ein Wunsch ans Christkindl. Wenn man bedenkt, wie 
wichtig es der SPOe kurz vor der Wahl war, sich von der Aktion "Rasen 
am Ring" zu distanzieren, muss man sich sogar fragen, wie ernst die 
Sozialdemokratie es meinen kann mit ihrer Abkehr von der Autophilie.
Und die Schulbildung? Ja, da moechte man unbedingt flaechendeckend 
Mehrstufenklassen und Reformpaedagogik anbieten. Weiters will man die 
gemeinsame Bildung der 6 bis 15-jaehrigen oder zumindest saemtliche 
Unterstufen und Hauptschulen als "Wiener Mittelschulen" fuehren. Ja, 
aber auch hier hakt es, denn da stellt sich die OeVP im Bund dagegen. 
Also noch ein Christkindlwunsch? Oder koennte es gar passieren, dass 
sich Gruene und Sozialdemokraten dann ploetzlich nicht mehr so 
vehement gegen den Doppel-Proell-Plan der Verlaenderung der Schulen 
stemmen, nur um in Wien ihre Vorstellungen verwirklichen zu koennen?
Aehnliche Vollmundigkeiten und versteckte Widersprueche finden sich 
noch viele in der Uebereinkunft. Ja, die Gruenen haben gut verhandelt 
und es scheint trotz allem fast so, die SPOe koennte es diesmal 
ehrlich meinen. Aber es lauern eben viele Fallen. Und spaetestens bei 
den Budgetverhandlungen in einem knappen Jahr sind Breseln nicht 
unwahrscheinlich. Sie waeren sogar dringend notwendig, wenn man sich 
die Finanz- und Vergabepolitik des Rathauses der letzten Jahre so 
ansieht.
Was sich in Wien aendern kann, ist also trotz ausfuehrlichem 
Koalitionspakt bei weitem nicht klar. Es wird sehr viel mehr auf die 
Akteure ankommen, ob Wien Wien bleibt oder vielleicht doch Bewegung in 
die verstaubte Auto-, SPOe- und Kaiserstadt kommen kann.
*Bernhard Redl*
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