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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. November 2010; 23:05
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Mexiko/Frauenrechte:
> Kriminalisiert - das Recht auf den eigenen Koerper?
Wie Politiker unterschiedlicher Couleur um der Macht Willen mit der 
Kirche gegen Frauen paktieren.
Im April 2007 gab es etwas zu feiern in Lateinamerika: Seither ist in 
Mexiko-Stadt die Abtreibung bis zur zwoelften Woche rechtmaessig. Es 
hagelte Kritik und Drohungen aus Rom und von den Kanzeln. Und gar 
nicht so weit von Mexiko-Stadt, in Nicaragua, konnten die Hardliner 
der katholischen Kirche einen Sieg ueber den aufgeklaerten Menschen 
feiern. Hier wurde jede Form der Abtreibung verboten. Und auch das 
Beispiel Mexiko-Stadt hat in Mexiko selbst keineswegs Schule gemacht. 
Der Bundesstaat Guanajuato, regiert von der rechtskonservativen PAN 
des mexikanischen Praesidenten Calderón, intensivierte seinen Krieg 
gegen die Rechte der Frau - und das in der Praxis auf besonders 
perfide Weise.
Frauen wegen Kindstoetung angeklagt
Auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema in 
Mexiko-Stadt erzaehlt Yolanda, was ihr widerfahren ist. Die inzwischen 
26-Jaehrige ging am 12. Januar 2004 ins Krankenhaus, weil sich Zysten 
in ihrer Brust entwickelt hatten. Die behandelnde Aerztin kuemmerte 
sich nicht um die Beschwerden, sondern brachte Yolanda in ein Zimmer 
sagte ihr: "Du warst das also! Du hast Deine Tochter umgebracht, Du 
wirst viele Jahre im Gefaengnis schmoren." Tags zuvor war eine 
Babyleiche gefunden worden.
Der Vorwurf "Kindstoetung" wiegt in Guanajuato schwer. Seit 2009 wird 
das Delikt mit 25 bis 35 Jahren Haft bestraft, nach starkem, auch 
internationalen Druck wurde das Strafmass in einer eilig 
zusammengebastelten Reform Ende August 2010 auf drei bis acht Jahre 
reduziert. Zum Vergleich: In Oesterreich, der Schweiz oder Schweden 
steht auf Kindstoetung eine Hoechststrafe von drei bis maximal fuenf 
Jahren. 160 Frauen sind in Guanajuato wegen Kindstoetung angeklagt, 
gegen 43 wird prozessiert. Sieben sitzen, zu langjaehrigen Haftstrafen 
verurteilt, in den Gefaengnissen des Bundesstaates.
Sieben Jahre unschuldig in Haft
Fuer Yolanda und ihre Familie begann nun ein Martyrium. Sie wurde im 
Krankenhaus stundenlang festgehalten, psychisch unter Druck gesetzt 
und durfte weder mit ihrer Familie, noch mit Anwaelten reden: "Ich 
dachte, wie koennen die mir sowas vorwerfen, wo ich doch gar nichts 
gemacht hab! Ich habe eine seltene menstruelle Unregelmaessigkeit. Ich 
kann schwanger sein und trotzdem menstruieren. Und dann wirst Du mit 
so etwas konfrontiert. Ich wusste ja gar nicht, ob ich nicht 
vielleicht doch schwanger war."
Waehrend Yolanda von AerztInnen und ErmittlerInnen unter Druck gesetzt 
wurde, durchsuchte die Polizei vor den Augen der Eltern ohne 
Durchsuchungsbefehl das Haus. Beweise wurden fingiert, Yolanda 
verhaftet und ohne Haftbefehl ins Gefaengnis gesteckt. Eine 
Pflichtverteidigerin wurde der jungen Frau erst nach einer Woche 
gestellt. Im folgenden Prozess bekam Yolanda 30 Jahre aufgebrummt, 
ohne Moeglichkeit der vorzeitigen Entlassung: "Ich war 19 damals, 
stellt Euch vor, was das fuer mich und meine Familie bedeutet hat", 
erzaehlt Yolanda mit traenenerstickter Stimme.
Nach sieben langen Jahren Haft gelang der Frauenorganisation 
"Asociación de las Libres", Yolanda frei zu bekommen. Vorausgegangen 
waren Jahre, in denen die Libres zusammen mit den Medien so laut auf 
diesen Justizskandal aufmerksam und der Regierung so Druck gemacht 
hatten, dass an einer Freilassung kein Weg mehr vorbeifuehrte.
Kein adaequater Rechtsbeistand
Verónica Cruz Sánchez ist eine der Frauen der "Asociación de las 
Libres aus Guanajuato", die sich fuer die Freilassung Yolandas 
eingesetzt hat. Sie ist davon ueberzeugt, dass alle neun Frauen, die 
unter dem Gesetz von 2009 wegen angeblicher Kindstoetung ins 
Gefaengnis geworfen wurden, unschuldig sind, dass alle willkuerlich 
verhaftet wurden: "Da war entweder wie bei Yolanda gar nichts oder es 
gab Fehlgeburten, also einen voellig natuerlichen Prozess, der jeder 
schwangeren Frau in jedem Moment passieren kann." Keine dieser neun 
Frauen hatte in keinem Moment die Chance, ihre Unschuld zu beweisen, 
keine hatte einen adaequaten Rechtsbeistand, so dass alle Rechtmittel 
bis auf die Verfassungsbeschwerde ausgeschoepft waren.
Die Verfolgung von Frauen wegen angeblicher Kindstoetung ist dabei nur 
der krasseste Fall eines politisch motivierter Kriminalisierung von 
Frauen. Seit 2000 gab es es 165 Ermittlungen wegen Abtreibung. 
Saemtliche Frauen sind jung und alle aus aermeren Schichten. Die 
meisten haben das beruechtigte Abtreibungsmittel CytoTec genommen, 
sind dann mit schweren Koliken oder Blutungen ins Krankenhaus gekommen 
und dort vom medizinischen Personal angezeigt worden. Fuer Verónica 
Cruz Sánchez zeigt sich gerade hier, wie krass die Situation ist: 
"Wenn Aerzte, anstatt ihrer Pflicht nachzukommen, also eine gute 
Behandlung der Frauen zu gewaehrleisten und ihrer aerztlichen 
Schweigepflicht nachzukommen... wenn sich diese Aerzte ploetzlich auch 
noch als Richter aufspielen, dann bleibt den Frauen ueberhaupt keine 
Moeglichkeit mehr, sich zu verteidigen."
Das Geschilderte gilt fuer die oeffentlichen Krankenhaeuser, in 
privaten Kliniken wird auch in Guanajuato straffrei abgetrieben. 
Wohlhabende Frauen haben in Guanajuato nicht viel zu befuerchten. Auch 
Aerzte nicht, die Abtreibungen vornehmen. "Ja, es gibt eine staatliche 
Kriminalisierungspolitik gegen arme Frauen", sagt Verónica Cruz 
Sánchez, wenn "Aerzte, anstatt zu helfen, urteilen und verurteilen; 
wenn Ermittler ohne zu ermitteln eine Straftat konstruieren, wenn 
Pflichtverteidiger, anstatt zu verteidigen, ebenfalls verurteilen, und 
wenn Richter die konstruierten Vorwuerfe der Staatsanwaltschhaft 
einfach nur abnicken."
Schulterschluss von PAN und Kirche
Die Politik der PAN Regierung propagiert im Schulterschluss mit der 
Kirche ein klassisches Familienbild, mit dem Mann als 
Familienvorstand. Was in den aermeren Schichten Guanajuatos aber am 
wenigsten existiert, sind traditionelle Familien. Die meisten Maenner 
sind zum Arbeiten in die USA gegangen, den Familienvorstand bilden die 
Frauen. Die Regierung versuche aber, ihre Idiologie um jeden Preis der 
Gesellschaft aufzudruecken, schimpft Verónica Cruz Sánchez. Es draengt 
sich der Verdacht auf, dass hier das Strafrecht missbraucht wird, um 
gegen nicht-traditionelle Familienmodelle vorzugehen.
Mittlerweile ist in 17 Bundesstaaten Mexikos die Abtreibung illegal, 
vor allem in solchen, die von der PAN regiert werden. Aber auch die 
Partei der Institutionalisierten Revolution PRI, zu deren festen 
Prinzipien die Trennung von Staat und Kirche gehoerte, ist in einigen 
Staaten auf die Linie der Kardinaele eingeschwenkt. Und selbst die 
halblinke PRD, die in Mexiko-Stadt das Abtreibungsrecht legalisiert 
hat, kriminalisiert Abtreibung in Chiapas. Liberalisierung in 
Mexiko-Stadt, Verbot in anderen Bundesstaaten, wozu das fuehrt, ist 
klar: Verzweifelte Frauen aus anderen Landesteilen muessen, wenn sie 
nicht klandestin abtreiben wollen, versuchen, in das Gesundheitssystem 
der Hauptstadt zu kommen. Fast die Haelfte der Frauen, die in den 
letzten drei Jahren hier abgetrieben haben, sind nicht aus 
Mexiko-Stadt.
(Markus Plate, poonal)
Quelle: 
http://www.npla.de/de/poonal/3044-kriminalisiert-das-recht-auf-den-eigenen-koerper-teil-1
In der naechsten Ausgabe: Teil 2 -- Nicaragua: Der Schulterschluss 
zwischen FSLN und Kirche
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