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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. November 2010; 23:13
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Debatten:
> Jenseits des post-autonomem Tellerrandes
Die Notwendigkeit einer neuen linken Organisierung
Martin Birkner hat auf Indymedia seine Kritik an der oesterreichischen 
Linken gepostet. Dieser Text wird auch demnaechst in der Zeitschrift 
"grundrisse - zeitschrift fuer linke theorie & debatte" erscheinen. In 
Vorbereitung der Debatte ueber eine gesellschaftspolitische Linke am 
13.November (siehe Terminkalender) drucken wir den Artikel vorab und 
gekuerzt ab. (Volltext: http://at.indymedia.org/node/19333 
)
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Klarerweise ueberlappen die Teilszenen die von mir nun skizzierten 
Abgrenzungslinien, und nicht selten auch mehrere. Dennoch wage ich als 
einer, der sich rund 10 Jahre mal mehr innerhalb, mal mehr am Rande 
des Sozitops Post-Autonome getummelt habe, zu sagen, dass die 
Entwicklung einer Strategie zur Ueberwindung des Kapitalismus nur 
jenseits dieser Szenen moeglich ist.
Kritik der Post-Autonomen
Die "Autonome Szene" in der Einzahl gibt es nicht mehr. Ob es sie - 
zumindest in Wien - so je gegeben hat, soll hier nicht thematisiert 
werden, schon aber die Veraenderungen und Entwicklungen der 
postautonomen Zusammenhaenge in Wien in den letzten 10, 15 Jahren. Der 
Begriff "postautonom" impliziert auch schon das Problem einer genauen 
Definition. Koennen zumindest fuer die "klassischen" Autonomen der 
1980er-Jahre noch klare Zuordnungskriterien angegeben werden 
(Notwendigkeit der Revolution, Ablehnung der Parteiform, 
Internationale Solidaritaet, Militanz, Hausbesetzungen, Subkultur), so 
ist dies fuer die verstreuten postautonomen (Sub)Szenen der 00er Jahre 
nicht mehr so ohne weiteres moeglich.
Dennoch moechte ich im Folgenden eine Bestandsaufnahme dieser Szenen - 
und zwar entlang der sie trennenden Linien - wagen. Eine dieser 
Trennlinien laesst sich mit dem Begriff Klasse markieren. Waehrend der 
Grossteil der Postautonomen damit nichts, aber auch gar nichts am Hut 
hat, gibt es nach wie vor Teile der Szene, die sich der Klassenpolitik 
verschrieben haben (anarchosyndikalistische Strukturen, Reste "alter" 
autonomer Strkuturen der 80er und 90er).
Diesen Teilen ist weitgehend gemein, dass sie ueber konkrete 
Arbeitskaempfe hinausgehende politische Formen der Organisierung bzw. 
auch Strategiebildung ablehnen. Auch ist ihre Verbindung zur dritten 
hier - wenngleich auch am Rande - zu nennenden Subszene eher marginal 
ausgebildet:
Jener der frueheren Mayday- und jetzt Prekaer-Cafe-AktivistInnen. 
Letztere sind staerker an postfordistischen Arbeits- und 
Lebensverhaeltnissen orientiert, mehrheitlich aus akademischen Linken 
zusammengesetzt und haben deutlich weniger Beruehrungsaengste zu 
offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen, die von Altautonomen sowie 
AnarchosyndikalistInnen mehrheitlich abgelehnt werden.
Eine zweite wichtige Trennlinie bzw. eher ein Zugehoerigkeitsmerkmal 
kann mit den Begriffen Freiraum und Wohnprojekte bezeichnet werden. 
AktivistInnen dieser Stroemung setzen sich inhaltlich mit der 
zunehmenden Enteignung und Ueberwachung oeffentlichen Raums 
auseinander, und sind von ihrer Strategie her an der (Rueck)Eroberung 
gesellschaftlicher Raeume und Gebaeude orientiert. AktivistInnen 
dieser Stroemung sind theorieseitig oft von wertkritischen Ansaetzen 
beeinflusst, ihre Organisierungsweisen tendieren zu selbstverwalteten 
und -bestimmten Raeumen, Wohnprojekten, Wagenplaetzen und 
Kostnix-Laeden.
Im Gegensatz zur oben genannten "klassenkaempferischen" Stroemung 
koennte die hier beschriebene als "AussteigerInnen" bezeichnet werden. 
In Kaempfen um den oeffentlichen Raum (wie z.B. der F13 Kampagne der 
Boulevardzeitung Augustin) gibt es selbstverstaendlich auch 
Ueberschneidungen zur oben genannten, staerker in die Gesellschaft 
intervenierenden Szene, dennoch ist die hier beschriebene Stroemung 
als staerker selbstbezueglich zu bezeichnen. Szeneuebergreifende 
Thematiken oder Buendnisarbeit ueber die postautonome Szene hinaus ist 
hier - bei aller Verschiedenheit der einzelnen Projekte - eher selten 
zu finden.
Einen wichtiges und aktuell starken Zulauf findendes Themenfeld ist 
jenes des Antirassismus. Hier finden sich sowohl die bereits in den 
Bewegungen der 1990er ("Kein Mensch ist illegal") aktiven 
AktivistInnen als auch juengere und neue Zusammenhaenge eines 
linksradikalen Antirassismus. Diese staerker inter- bzw. transnational 
ausgerichteten Bezuege thematisieren zwar - vor allem in letzter 
Zeit - auch Arbeits- bzw. Klassenaspekte von Migrationsbewegungen, 
schwerpunktmaessig sind die Aktivitaeten jedoch gegen die 
Verschaerfungen des europaeischen Grenzregimes bzw. den Kampf gegen 
die (Abschiebe)Lager gerichtet.
Die Kampagnen und Initiativen des antirassistischen postautonomen 
Spektrums stellen einerseits aeusserst wichtige Bezugspunkte des 
linken Aktivismus dar, andererseits verbleiben aber auch sie oft 
innerhalb von bestimmten Grenzen, sowohl was die gesellschaftliche 
Breite ihrer Kampagnen als auch die Einbettung antirassistischer 
Theorie in einen (gesamt)gesellschaftskritischen Kontext betrifft.
Ein Weiteres und auch - zumindest seit den 1990ern - traditionell 
autonomes Betaetigungsfeld ist jenes der Antifa. Damals aufgrund der 
zunehmenden Bedrohung durch die militanten Neonazis der VAPO und des 
Aufstieges der Haider-FPOe von unmittelbarer Notwendigkeit, 
orientierte sich der autonome Teil des Antifaschismus bald am 
deutschen Muster, sowohl was die Form (schwarz und vermummt) als auch 
den Inhalt ihrer Politik (Antifa, Antifa, und nochmals Antifa) betraf.
Zwar gab es im Laufe der 1990er Jahre eine Verschiebung und 
Verbreiterung des Antifa-Diskurses hin zum queer-feministischen und 
auch die klassische autonome Antifa starb Ende der 90er Jahre aus, 
allerdings gibt es in den letzten Jahren wieder eine verstaerkte 
Aktivitaet mehr oder weniger klassischen autonomer Antifas - mit all 
den problematischen Aspekten ihrer historischen Vorbilder 
(Antifaschismus als Selbstzweck, kein Bezug auf andere soziale 
Bewegungen jenseits eines abstrakten gebaerdenden Antikapitalismus, 
Mackertum und Militanzfetisch), hinzu gesellte sich aber auch 
hierzulande die grausame Unsitte des Antideutschtums.
Dies fuehrte in einigen Faellen zur Aufgabe, ja zum Bekaempfen 
jeglicher Staats- und Kapitalismuskritik, solange sie nicht den 
eigenen Kriterien (Israelischer Staat = Gut, PalaestinenserInnen = 
Boese, USA = Gut, Linke = Boese) zu hundert Prozent gehorchten und 
ganz sicher nicht breite Schichten der Bevoelkerung (= Mob = Boese) 
affizierten.
In diesem Kontext waere abschliessend auch noch die universitaere 
(post)autonome Linke zu nennen.
Waren die Basisgruppen in den 1980er Jahren noch linksradikale 
Bezugspunkte einer Veraenderung der starren quasistaatlichen 
offiziellen Interessensvertretung "Oesterreichische 
HochschuelerInnenschaft", so ergaenzen sich die Strukturen der 
radikalen Linken und der repraesentativ ausgerichteten 
Interessensvertretungen mittlerweile bestens.
Selbst im Rahmen massiver Protestbewegungen ist die radikale Linke an 
den Unis mehr als kritische Kritikerin bemerkbar denn als 
radikalisierendes und Bewegungs-Element.
Die generell konstatierbare Selbstbezueglichkeit der post-autonomen 
Szenen findet hier ihr Modell. Solidarische Auseinandersetzungen mit 
anderen gesellschaftlichen Bereichen oder Bewegungen sind kaum zu 
finden. Zwar gibt es auch hier eine starke abweichende Stroemung - 
gerade die Akademie der bildenden Kuenste ist hier zu nennen, aber 
auch einzelne Studienrichtungsvertretungen oder das neu gegruendete 
"Linke Uninetzwerk", im
Grossen und Ganzen geben aber die zwischen buergerlichem Elitismus, 
Langeweile und antideutschen Dummheiten chanchierenden Publikationen 
der universitaeren Linken ein gutes Bild ihres Zustandes ab.
Eine interessante Entwicklung zeichnet sich momentan in der 
queer-feministischen Szene ab. Da diese stark an 
dekonstruktivistischen Theorieansaetzen orientiert ist und ja qua 
Definition ein Probleme mit starren Identitaeten hat, koennte das dort 
derzeit verstaerkte Interesse fuer wirtschaftliche Belange und mithin 
an einer Kritik der politischen Oekonomie zu interessanten 
Konstellationen bzw. Kooperationen fuehren. Ob dies auch fuer den 
queer-orientierten Teil der Antifaszene gilt, ist derzeit noch nicht 
ausgemacht.
Zum Abschluss dieses Teils moechte ich auf ein Zitat verweisen, in dem 
ein gewisser Heinz Schenk bereits vor beinahe 20(!) Jahren das Dilemma 
der Autonomen aeusserst praezise zusammenfasst: "So erklaert sich die 
autonome Ghettomentalitaet: Wer sich einen politischen Prozess nicht 
als eine Annaeherung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bei 
bestehenbleibender Unterschiedlichkeit vorstellen kann, sondern 
glaubt, dass die ganze Welt so werden muss wie die eigene Szene, kann 
nur ein instrumentelles Verhaeltnis zu anderen entwickeln."1).
Perspektiven der Organisierung
Im Folgenden moechte ich - wie ich hoffe in kritischer und 
nachvollziehbarer Abgrenzung zu den Beschraenktheiten der oben 
beschriebenen Szenen - eine Perspektive einer solchen Organisierung 
umreissen. Das bedeutet nicht, dass die AktivistInnen und 
Zusammenhaenge aus den post-autonomen Spektren darin keine Rolle 
spielen - ganz im Gegenteil. Aber, und das mag wohl der zentrale 
"appellative" Punkt meiner Argumentation sein, es geht darum, ueber 
den Tellerrand hinaus blicken und sich letztlich auch ueber diesen 
hinaus bewegen, um eine Rolle in einem kuenftigen Prozess der 
Neuzusammensetzung der (radikalen) Linken zu spielen.
Folgende Aspekte erscheinen mir bei dieser Neuzusammensetzung 
unverzichtbar:
1. Eine gesamtgesellschaftliche Befreiung - vulgo Revolution - kann 
nur von massenhaften Bewegungen der Multitude selbst ins Werk gesetzt 
werden. Dies erfordert von organisierten Linken das Sich-Einlassen auf 
eine "Kritik im Handgemenge". Moralisierende Abgrenzungen und elitaere 
Erhabenheitsgefuehle sind dabei ebenso (oder ehrlich gesagt noch mehr) 
fehl am Platz wie ein unkritisches Fetischisieren der "Masse an sich".
Jede Massenbewegung enthaelt reaktionaere Elemente, und genau deshalb 
gilt es, sich einzumischen und fuer eine Perspektive der Befreiung und 
gegen regressive Stroemungen zu kaempfen. Klar kann so ein Kampf auch 
verlorengehen und es ist auch nicht jede Massenbewegung als potenziell 
revolutionaer einzustufen (das waere ein unzulaessiger Umkehrschluss 
des ersten Satzes oben).
Ohne die (Selbst)Aktivierung von deutlich mehr Menschen, als bislang 
in linken Zusammenhaengen aktiv waren oder sind, ist jedenfalls jede 
politische Perspektive notwendig entweder staendisch oder elitaer.
2. Es bedarf einer revolutionaeren Strategie, die die Trennung von 
Haupt- und Nebenwiderspruechen analytisch bekaempft, sie in der 
politischen Praxis als unhintergehbar akzeptiert und somit erst der 
kritischen Reflexion zugaenglich macht. Was bedeutet das?
Es gibt einerseits keinen gesellschaftlichen Hauptwiderspruch, der 
allen anderen Widerspruechen ihre Plaetze zuweist. Vom Kapitalismus zu 
sprechen bedeutet 2010 nicht, von der Zentralitaet des 
Lohnverhaeltnisses zu sprechen. Selbst oekonomische 
Ausbeutungsverhaeltnisse laufen mehr und mehr jenseits des 
Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital ab, von anderen 
gesellschaftlichen Widerspruechen ganz zu schweigen.
Politisch ist allerdings jede Bewegung, jede soziale 
Auseinandersetzung, obwohl nicht auf einen Widerspruch reduzierbar, 
letztlich durch eine Hierarchie von Antagonismen gekennzeichnet - in 
der Protestbewegung gegen Blauschwarz im Jahr 2000 war die 
Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei durch die Bewegung 
hoeher priorisiert als der sexistische Charakter oder - zumindest 
vorerst - die Verschlechterungen im Bildungswesen (obgleich diese 
natuerlich eine Rolle gespielt haben.
3. Eine neue Form von Organisierung ist not-wendig, um zwischen den 
konjunkturellen Aufschwuengen sozialer Bewegungen antizyklische zu 
intervenieren, Errungenschaften sozialer Kaempfe zu sichern sowie in 
Phasen der Staerke von Bewegungen sie miteinander in Bezug zu setzen. 
Soziale Bewegungen gehorchen eigenen Rhythmen, sie koennen nicht von 
Parteien oder Organisationen ins Werk gesetzt, nicht "begonnen" 
werden.
Gerade das macht ihre besondere Dynamik aus und sie fuer die 
Herrschenden nur schwer kalkulierbar. Diese Tatsache gilt es 
anzuerkennen, und es ist auch weder sinnvoll noch durchfuehrbar 
(ausser bei Bewegungen im Abschwung), sich als organisierte 
Gruppierung an "die Spitze" der Bewegung zu setzen, wie dies die 
KaderInnenorganisationen (von TrotzkistInnen bis zur OeH) so gerne tun 
moechten. Dagegen gilt es den Eigensinn (Negt/Kluge) sozialer 
Bewegungen anzuerkennen und innerhalb um Positionen zu ringen, sich 
gleichwertig an allen Facetten der Bewegung zu beteiligen (nicht nur 
an den "wegweisenden" Entscheidungen in den wichtigen Plenas, sondern 
z.B. auch an der Volxkueche) und vor allem verschiedene Kaempfe bzw. 
verschiedene Aspekte einer Bewegung miteinander in Beziehung zu 
setzen.
Nur so kann die radikale Linke sich Positionen erarbeiten und auf eine 
Fokussierung auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang 
hinarbeiten, ohne sich mittels abstrakten Avantgardismus selbst zu 
diskreditieren.
Andererseits gilt es auch anzuerkennen, das soziale Bewegungen nicht 
voellig aus dem Nichts beginnen. Oft sind es die kleinen und kleinsten 
Formen sozialer Netzwerke, Diskussionsgruppen und auch politischer 
Organisationen, die in Zeiten der Flaute die Flamme am Koecheln 
halten. Genau hier setzt die eigentliche Wichtigkeit einer neuen 
Organisierung an. Gerade in ruhigen Zeiten existiert "mehr Zeit" um 
sich theoretische Positionen kritisch anzueignen, um mit neuen Formen 
des Umgangs untereinander zu experimentieren, Theorie zu produzieren 
oder internationale Kontakte zu knuepfen und zu verstetigen. Einen 
kollektiven Selbstverstaendigungsprozess ueber "Was bedeutet es, den 
Kapitalismus zu ueberwinden" in Gang zu setzen, und zwar in Theorie 
und Praxis, das ist die vordringlichste Aufgabe einer neuen 
Organisierung. Damit eng verknuepft ist der vierte Punkt:
4. Die Form der Organisierung muss ihre Lehren sowohl aus den 
gescheiterten und letztlich autoritaer verfassten Modellen der 
(leninistischen) Parteien als auch aus der zu Selbstisolation und 
gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit tendierenden Ausrichtung an 
einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen ziehen. Dabei darf 
Basisdemokratie nicht zum Fetisch verkommen, gleichermassen aber nicht 
am Altar einer vermeintlich groesseren politischen Effektivitaet 
geopfert werden. Mittel und Zweck einer derartigen Form politischer 
Kollektivitaet ist die Ermaechtigung der bzw. des Einzelnen zum 
gemeinsamen Handeln. "Technische" Hilfsmittel wie Rotationsprinzip, 
jederzeitige Abwaehlbarkeit, geschlechtergerechte Moderationskriterien 
sind dabei zwar unverzichtbare Hilfsmittel, koennen aber eine 
grundsaetzliche Bereitschaft zum "Ueberspringen des eigenen Schattens" 
nicht ersetzen. Dieses "Sich-auf-die-Anderen-Einlassen" und nicht um 
jeden Preis auf der 1000%ig richtige Position zu beharren, ein 
grundlegendes Vertrauen auf die Faehigkeiten der GenossInnen und die 
Anerkennung der untrennbaren Verknuepfung von Organisationsform und 
angestrebter gesellschaftlicher Transformation sind die eigentlich 
zentralen Aspekte einer Form der Organisierung, die aus den Fehlern 
der Vergangenheit ("Demokratischer Zentralismus" beispielsweise) 
zumindest ein wenig klueger hervorgehen moechte
Dies beinhaltet auch eine doppelte Kritik an der Parteiform: zum einen 
hinsichtlich ihrer hierarchischen Form, die sich notwendiger Weise aus 
der Gerichtetheit auf die Institutionen der repraesentativen 
Demokratie ergibt, zum andern angesichts der unumkehrbaren Tendenz der 
Erosion des repraesentativ-demokratischen Systems. Dies bedeutet 
nicht, Wahlen zu ignorieren oder sich notwendig defaetistisch zu ihnen 
zu verhalten, andererseits aber auch nicht, sich 
Minderheitenfeststellungen auszusetzen. Die gegenwaertige Krise des 
Kapitalismus bzw. die staatspolitischen Versuchen ihrer Ueberwindung 
auf Kosten breiter, d.h. armer Bevoelkerungsschichten verdeutlicht 
noch einmal die Notwendigkeit und vor allem auch die Dringlichkeit 
organisierter Gegenwehr. Obwohl sich abzeichnet, dass trotz 
vereinzelter Widerstaende die Krisenbewaeltigung ausschliesslich auf 
Kosten der Armen betrieben wird, eroeffnet die gegenwaertige 
Transformationsperiode doch antikapitalistische 
(Handlungs)Perspektiven.
Noch nie seit 1989 war der Kapitalismus so diskreditiert wie heute. 
Wie unzureichend auch immer die Deutungsmuster der Krise auch sind, 
die Tendenz zeigt in Richtung einer Infragestellung des ganzen 
Systems; und auch wenn - oder gerade weil - autoritaere, d.h. vor 
allem protektionistische und/oder rassistische Antworten der Politik 
auf die Krise hegemonial sind, ist eine stringente und letztlich eben 
auch organisierte Antwort von links notwendig.
Eine Antwort, die zunaechst kollektiv und solidarisch Fragen stellt, 
zum Beispiel wie ein Ausweg aus der Krise die politische, 
oekonomische, subjektive und oekologische Dimension gemeinsam 
artikulieren und jenseits eingefahrener Muster der repraesentativen 
Demokratie aussehen kann. Seit dem Herbst 2009 gibt es in Wien und 
einigen anderen Staedten in Oesterreich Diskussionen zur Schaffung 
einer solchen Organisierung. Das temporaer - und nicht gaenzlich 
unironisch - auf den Namen "Superlinke" (2) getaufte Projekt ist der 
Versuch, jenseits von klar abgegrenzten Projekten einerseits und einer 
Organisation in Parteiform andererseits, eine Form der gemeinsamen 
Organisierung zu finden, in der sich Verbindlichkeit und Lust, 
Dezentralismus und Kollektivitaet nicht ausschliessen, sondern im 
Gegenteil gegenseitig verstaerken.
Der Horizont, aber auch das Mass unseres gemeinsamen politischen 
Handelns ist dabei die Ueberwindung jeglicher Herrschaft des Menschen 
ueber den Menschen, oder, mit Marx gesprochen "alle Verhaeltnisse 
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, 
ein verlassenes, ein veraechtliches Wesen ist". Was die Superlinke 
jedenfalls hinter sich lassen will - und auch muss, will sie sich dem 
selbst gesetzten Anspruch "eine Linke mit gesellschaftlicher 
Bedeutung" zu werden zumindest annaehern - ist jede Art von 
moralischer Ueberlegenheit und theoretisch fundierter 
Ueberheblichkeit. Auch deshalb wird der Prozess einer neuen 
Organisierung wohl auch der einer Suche nach einer anderen Sprache 
sein muessen
Dies bedeutet nicht, als Wahlalternative oder Partei sich 
konstituierenden Projekten um jeden Preis zu kritisieren oder 
gleichgueltig gegenueberzustehen. Ausgemacht scheint jedoch, dass ein 
ueber szeneinterne Diskussionszirkel hinausgehendes Projekt zumindest 
signifikante Minderheiten von den Gruenen, der SPOe und/oder 
gewerkschaftlichen Strukturen loseisen muesste.
Beim "1. Ratschlag fuer eine Linke mit gesellschaftlicher Bedeutung" 
im Juni 2010 wurde das Projekt Superlinke erstmals einer breiteren 
(linken) Oeffentlichkeit vorgestellt und erste Komitees gegruendet. 
Die Grundidee ist, das autonom agierende Komitees sich spezifischen 
gesellschaftlichen Bereichen bzw. Fragestellungen widmen (derzeit gibt 
es Komitees zu Antirassismus, Arbeit und Prekarisierung, "Krise & 
Revolution" sowie "Kritik imperiale Lebensweise"). Bei Gesamtplenas 
tauschen sich die AktivistInnen ueber die Aktivitaeten und moegliche 
gemeinsame Projekte mehrerer Komitees aus. Weiters existiert ein 
Organisierungs-Komitee, welches fuer alle offen ist, in dem sich aber 
jedenfalls die Finanz-, Oeffentlichkeitsarbeits- und 
Webverantwortlichen sowie Delegierte aus allen Komitees 
zusammenfinden, um ueber moegliche gemeinsame Kampagnen zu diskutieren 
und die Aktivitaeten der Organisation koordinieren.
Fuer Anfang 2011 ist ein 2. Ratschlag geplant, bei dem einerseits eine 
Zwischenbilanz ueber die bisherige Aktivitaet der Superlinken gezogen 
werden soll, aber auch inhaltliche Diskussionen ueber die 
Not-wendigkeit einer Alternative jenseits von neoliberalem 
Kapitalismus vs. Green New Deal stattfinden sollen. Ausserdem wird es 
notwendig sein, eine groessere Breite auch innerhalb des Bassins der 
gesellschaftlichen Linken im Prozess der Superlinken zu erreichen; vor 
allem Bildungspolitische AktivistInnen sind derzeit nur sehr am Rande 
involviert, aehnliches gilt fuer FeministInnen. Die naechsten Monate 
werden jedenfalls zeigen, ob das Projekt Superlinke eine Dynamik 
entwickeln kann, die eine groessere Zahl von Menschen fuer eine 
Mitarbeit attrahiert. Dies kann nur ueber die Taetigkeit und 
Neugruendungen von Komitees passieren, und erst wenn dieser Sprung 
geglueckt ist, liesse sich ueber die Gruendung einer Organisierung 
laut nachdenken
Erst wenn auf breiter Ebene ein Konsens ueber die konkrete Ausrichtung 
als auch ueber die konkrete Ausformung einer kuenftigen Organisierung 
erreicht worden ist, steht ein weiterer Schritt Konkretisierung bevor. 
Dies waere mit Sicherheit verbunden mit der Diskussion ueber Namen und 
gemeinsamen Auftreten
Zuvor aber erwarten uns die "Muehen der Ebene", die wir aber mit 
gemeinsamen Stadtbegehungen, Diskussionsveranstaltungen und ersten 
Kampagnen der Komitees uns - und hoffentlich auch euch - so wenig 
muehsam wie moeglich gestalten moechten. Skeptisch beobachten war 
jedenfalls gestern!
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1) Heinz Schenk: Die Autonomen machen keine Fehler, sie sind der 
Fehler!, in: Geronimo u.a. (Hg.): Feuer und Flamme 2, Kritiken, 
Reflexionen und Anmerkungen zur Lage der Autonomen, Edition ID-Archiv, 
Berlin, 1992, S. 174f
2) http://www.superlinke.org
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