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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. November 2010; 22:44
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Debatten
> Kriterien fuer eine gesellschaftlich relevante Linke in Oesterreich
Diskussionbeitrag zum gesamtoesterreichischen linken Ratschlag
1) Eine Linke kann nicht sinnvoll abstrakt postuliert werden, sondern 
muss aus den bestehenden Verhaeltnissen sowie Bewegungs- und 
Organisationsansaetzen entwickelt werden. Dazu brauchen wir auch eine 
realistische Sicht und Analyse der allgemeinen politischen Situation, 
insbesondere des fatalen Aufstieges des Rechtsextremismus und die 
fortgeschrittene Infizierung von OeVP und SPOe mit dem Rassismus. Beim 
Aufstieg der FPOe handelt es sich nicht einfach um eine Wiederholung 
der Geschichte Haiders, er findet unter den boesen Vorzeichen einer 
tiefen Mehrfachkrise des Systems statt, die dem geschuerten Hass auf 
Minderheiten ganz andere und gefaehrlich zerstoererische Energien 
zufuehren koennte - wenn es nicht gelingt, die aus Frust und 
Zukunftsangst mobilisierte Energien auf solidarische Wege zu leiten. 
Und dieser Aufstieg der FPOe spielt sich in Kombination mit dem 
Aufstieg des Rechtsextremismus in Europa und sogar weltweit ab. Aber 
genau das ist der entscheidende schwache Punkt: Im Augenblick ist 
keine Kraft sicht- und spuerbar, die dem erstarkenden 
Rechtsextremismus soliden Widerstand leisten will und kann. Einziger 
Lichtblick unter den Parlamentsparteien sind hier die Gruenen. Sie 
beschraenken sich aber leider im Wesentlichen auf eine rein moralische 
Argumentation, die relativ hilflos und unwirksam bleibt, wenn sie 
nicht mit den sozialen Kaempfen verknuepft wird. Auch die steirische 
KPOe hat ca. 8000 bei der vorletzten Wahl von der FPOe gewonnen 
WaehlerInnen nicht mit einer sozialen und antirassistischen Kampagne 
konfrontiert, sondern verhielt sich durchaus opportunistisch. Diese 
WechselwaehlerInnen sind heuer prompt wieder vollzaehlig zur FPOe 
zurueckgekehrt; dazu kommen noch 2000 Richtung BZOe.
Der spektakulaere Aufstieg des Rechtsextremismus, der scheinbar nicht 
nur auf keinerlei nennenswerten Widerstand trifft, sondern zunehmend 
auf die Komplizenschaft der grossen Parteien zaehlen kann, gibt Anlass 
zu groesster Sorge und es bleibt zu hoffen, dass sie ein gruendliches 
Ueberdenken ausgeleierter Strategien ausloest. Heraus aus dem 
gewohnten Trott, Abschied von liebgewordenen Denk- und 
Handlungsgewohnheiten, ungewoehnliche Initiativen sind bitter noetig! 
Und taeuschen wir uns nicht: Die 29-Prozent-Latte, die Haider erreicht 
hat, ist nicht unbedingt eine Grenze fuer ein moegliches weiteres 
Wachstum und/oder weitere Radikalisierung der FPOe.
2) Der Zustand saemtlicher linker Organisationen ist angesichts dieser 
gigantischen Herausforderung erbaermlich. Alle bisherigen Versuche, 
allein (KPOe, SLP, KI) oder in der Kombination weniger kleiner Gruppen 
den Durchmarsch zu proben (Linke-Kandidatur bei den letzten 
Nationalratswahlen) sind klaeglich gescheitert. Wenn die KPOe-Wien 
trotz weiterem Verlust von fast einem Drittel der WaehlerInnen gross 
den Gewinn eines zusaetzlichen Bezirksrates feiert, sieht das sehr 
bedenklich nach Realitaetsverlust aus. Weder ist die Herausbildung 
eines linken Fluegels in der SPOe, einer kaempferischen Tendenz im 
OeGB noch eines oekosozialistischen Fluegels innerhalb der Gruenen 
absehbar.
3) Es gibt - sehr bescheidene - Ansaetze von molekularen 
Umorientierungs- und Neuformierungen in einigen Bereichen:
a. Die Proteste der StudentInnen einschliesslich kreativer Aktions- 
und Kommunikationsformen (Hoersaalbesetzungen, Nutzung elektronischer 
Kommunikation, basisdemokratische Selbstorganisation). Ohne Absprachen 
oder stilles Einverstaendnis unterschiedlicher kleiner Gruppierungen 
im Sinne gemeinsamen Handelns waere dies kaum moeglich gewesen. Die 
Protestaktionen blieben allerdings bisher auf einen Teil der 
Studierenden beschraenkt und es ist auch noch nicht gelungen, im 
gleichen Umfang und vor allem vergleichbarer Dauer die SchuelerInnen 
mit einzubeziehen. Es ist auch noch nicht gelungen, eine vertiefte 
Bildungsdebatte zu fuehren, um fuer die Interessen der gesamten Jugend 
in Ausbildung gemeinsam einzutreten. Neue Hoffnung spriesst aus den 
aktuellen Protesten gegen die Teile des Sparpaketes, die speziell die 
Studierenden treffen. Dabei eroeffnet sich die Chance, das gesamte 
Sparpaket, und zwar auf allen Ebenen, zu bekaempfen.
b. Es gibt einige - sehr sehr zarte -- Versuche der Bildung von 
unterschiedlichen Arten von Austausch und Zusammenarbeit zwischen 
linken Gruppierungen (Superlinke, Plattform soziale Gerechtigkeit, 
Sozialforum, etc. bescheidene Absprachen linker Stroemungen innerhalb 
der SPOe, eine Oeffnung der Funke-Stroemung zur Zusammenarbeit mit der 
ausserparteilichen Linken, etc.). Diese Ansaetze beziehen sich noch 
wenig aufeinander, sondern verbleiben z.T. noch immer in der Sicht von 
KonkurrentInnen gefangen; vor allem gibt es noch keinen Ansatz, eine 
gemeinsame uebergreifende Vision fuer eine vertiefte Zusammenarbeit 
und den Aufbau einer pluralistischen, linken aktions- und 
bewegungsorientierten Stroemung, gar Organisation zu entwickeln.
4) Eine gesellschaftlich relevante, pluralistische und 
bewegungsorientierte Linke wird es nur geben, wenn
a. der Pluralismus aus ehrlicher Ueberzeugung und nicht nur taktischen 
Erwaegungen gepflegt wird, das heisst respektvoller, solidarischer 
Umgang miteinander (kein Drueberfahren und Majorisieren, Aushalten der 
Spannungsbreite, Verzicht auf organisationsegoistische Manoever etc.). 
Die Spannweite muss jedenfalls so gross sein, dass sie nicht nur reine 
"AntikapitalistInnen", sondern bewusst auch ReformistInnen, die 
derzeit nur konsequente Reformen innerhalb des Systems fuer 
realistisch halten, einbezieht. Vielleicht waechst mit der Bewegung 
auch der Mut, weiter zu gehen als zu Beginn ("ein Stueck Weges 
gemeinsam gehen")?
b. vertrauen untereinander langfristig aufgebaut wird - nur so kann 
ein wie auch immer geartetes Projekt Ausstrahlungskraft entwickeln.
c. solche Buendnisse auch praktisch, aktionistisch taetig werden und 
sich konstruktiv-solidarisch in Bewegungen und Ansaetzen dazu 
einbringen. Debattieren ist gut, genuegt aber bei Weitem nicht. Die 
Brauchbarkeit solcher Ansaetze muss sich in der Praxis der Bewegungen 
bewaehren und daran ueberprueft bzw. weiterentwickelt werden.
d. die Ziele fuer Aktivitaeten mit Bewusstheit und Sensibilitaet fuer 
die Interessen insbesondere der am meisten Diskriminierten und 
Ausgebeuteten gewaehlt werden und gleichzeitig auf den aktuellen 
Bewusstseinszustand breiterer Kreise Bezug genommen wird. Arrogante 
Schoengeisterei gegenueber rassistisch infizierten jungen Arbeitern 
ist ebenso wenig nuetzlich wie arbeitertuemelnder Opportunismus in 
Bezug auf die Diskriminierung von beispielsweise Frauen, Schwulen oder 
Fluechtlingen. Allseitige Emanzipation als Ziel ist unverzichtbar, und 
es muss auch praktisch, also mit den Betroffenen entwickelt werden. 
Und wer von uns ist nicht irgendwie beschraenkt?
e. wir uns auch auf die ueberregionale, nationale und internationale 
Entwicklung von Bewegungen im Selbstverstaendnis und in der Praxis 
beziehen, um voneinander zu lernen, uns gegenseitig zu unterstuetzen 
sowie die allseitige Emanzipation zu verteidigen und voranzubringen.
f. der Schwerpunkt nicht auf vertretungs- und parlamentarischer Ebene, 
sondern auf Bewegungen von unten gesetzt wird.
g. eine "kritische Masse" zustande kommt (das heisst, auch die Zahl 
bzw. Groesse hat Gewicht), damit sie auch als Bezugspol fuer 
Unzufriedene und an Veraenderung Interessierte wahrgenommen und 
genutzt werden kann. Dazu benoetigt es auch die Beteiligung von 
Stroemungen, die sich bisher noch nicht dazu entschlossen haben, an 
einem solchen Projekt mitzuarbeiten.
h. vor allem auch: Wenn diejenigen, die die Notwendigkeit sehen 
koennen, auch offen und beharrlich dafuer eintreten und sich auch ab 
sofort in diesem Sinne verhalten und dafuer arbeiten.
i. wir eine gemeinsame Vision fuer eine linke Alternative entwickeln, 
was natuerlich auch etwas Zeit benoetigt. Das staerkt die Motivation 
und hilft, auch Durststrecken durchzuhalten.
Soweit ein paar erste -- noch etwas unrunde -- Thesen im Sinne einer 
vorbereitenden Debatte fuer den gesamtoesterreichischen Ratschlag am 
13. November in Wien. Vielleicht nutzt sie die eine oder der andere 
von euch/ uns als Anregung fuer die Diskussion und schreibt auch etwas 
dazu...
*Wilfried Hanser-Mantl* (gek.)
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Gesamtoesterreichischer Ratschlag am 13. November
Warum haben wir bei uns noch immer keine politisch relevante Linke?
Volkshochschule Ottakring, 1160 Wien Ludo Hartmann Platz, 13. November 
11h-17h oder 11h-20:30 (wenn Abendveranstaltung)
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