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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. Oktober 2010; 23:15
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Moderne Zeiten/Debatte:

Ueberaschenderweise wurde heuer fuer den Big Brother Award auch Attac
Oesterreich nominiert -- fuer deren Kritik am Bankgeheimnis. Den Preis
erhielten dann zwar doch andere, aber allein die Nominierung macht
eine Debatte noetig. Wir veroeffentlichen dazu (gekuerzt) die



> Stellungnahme von Attac

Attac steht vorbehaltlos hinter den Menschen- und Buergerrechten und
baut sein Engagement und seine politische Argumentation zu guten
Teilen darauf auf. Den Big Brother Award (BBA) halten wir fuer eine
sehr gute Einrichtung und wir gratulieren den InitiatorInnen zu ihrer
lobenswerten Initiative.

Die Nominierung zum BBA 2010 in der Kategorie Politik sieht Attac als
gute Gelegenheit, eine unserer Gruendungsforderungen - die Aufhebung
des Bankgeheimnisses auch bei Kapitaleinkommen - bei erhoehter
oeffentlicher Aufmerksamkeit zu begruenden und die gezielt darum
gewobenen Mythen zu entlarven.

Genauer Vorwurf unklar

Zunaechst zum Formalen: Im Nominierungstext wird nur bekannt gegeben,
aufgrund welcher Aussage Attac nominiert wurde ("Bankgeheimnis
abschaffen"), jedoch nicht begruendet, warum das denn die
Buergerrechte gefaehrde. Uns ist deshalb nicht klar, ob aus der Sicht
der Nominierenden jede Datengewinnung durch den Staat per se die
Buergerrechte gefaehrde? Wenn ja, dann richtet sich der BBA
folgerichtig gegen Meldewesen, Reisepass, Steuernummer,
Sozialversicherung, Geburtsurkunde, Familienbeihilfe,
Arbeitslosenunterstuetzung etc., was wir nicht teilen wuerden.

Wenn dem nicht so ist und wenn es auch aus der Sicht der
Preisverleihenden legitime und nichtlegitime staatliche
Datenerhebungen gibt, dann wuenschen wir uns von einer praezisen
Nominierungsschrift die Begruendung, warum das Erheben
steuerrelevanter Daten nicht in Ordnung ist. Da diese Begruendung
fehlt, vermuten wir, dass das Erheben aller steuer-relevanten Daten
durch den Staat als Einschnitt in die Buergerrechte gewertet wird.

Damit zum inhaltlichen Zankapfel, dem Bankgeheimnis. Attac kritisiert,
dass es bei jenen Einkommen, die fuer rund 95 Prozent der
oesterreichischen Bevoelkerung das Haupteinkommen darstellen,
keinerlei Datenschutz und den freien Blick des Finanzministers ins
"oekonomische Schlafzimmer" gibt: Loehne und Gehaelter. Diese werden
vollautomatisch nicht nur an das Finanzamt, sondern auch an die
Sozialversicherung weitergeleitet, die arbeitenden Menschen sind
voellig "glaeserne" Menschen, ohne dass hier eine Datenschutz-Hahn
auch nur pianissimo kraehen wuerde. Warum nicht? Wieso gilt hier der
Datenschutz fuer 95% der Bevoelkerung nichts, handelt es sich hier
nicht um einen ebenso schwerwiegenden Eingriff in die Buergerrechte?

Hingegen gilt bei jenen Einkommen, die nur fuer rund 5 Prozent der
Bevoelkerung ein relevantes Einkommen darstellen, keine vergleichbare
Transparenz, hier tritt ploetzlich das Argument des Datenschutzes in
Kraft, mit dem Effekt, dass 90% jener, die nicht von ihrer eigenen,
sondern von der Arbeit anderer Menschen leben, diese Einkommen in der
Steuererklaerung vergessen, weil sie sich in Sicherheit wiegen, dass
der Finanzminister nichts erfaehrt. So fuehrt ein falsch verstandener
"Datenschutz" dazu, dass die vermoegendsten Mitglieder des
demokratischen Gemeinwesens auf ihre arbeitslosen Einkommen keine
Steuern zahlen. Diesen Missstand und diese Ungleichbehandlung wollen
wir beenden.

Ein Beispiel: Fuer jene bis zu 150 Millionen Euro, die 46 reiche
Familien aus Deutschland und Oesterreich bei Ankauf und raschem
Weiterverkauf der Hypo Alpe Adria laut Medienberichten "verdient"
haben, zahlten jene aus Oesterreich ebenfalls Medienberichten zufolge
keinen Cent Steuer (und keinen Cent Sozialversicherung). Warum? Das
Bankgeheimnis!

Mehr noch: Der einseitige Datenschutz bei Kapitaleinkommen ist auch
die Ursache, dass es auf einen Teil der Kapitaleinkommen, konkret
Zinsertraege, eine nur halb so hohe Quellensteuer eingehoben wird.
Jemand, der 60.000 Euro durch Arbeit verdient, muss fuer jeden
zusaetzlichen Euro 50 Cent dem Finanzminister abliefern. Wer 60.000
Zinsen lukriert, muss nur 25 Cent abgeben. Arbeitseinkommen werden
hier doppelt so hoch besteuert wie arbeitslose Kapitaleinkommen.
Gerecht? Eine weitere Folge des Bankgeheimnisses.

Drittens: die Sozialversicherungspflicht lastet ausschliesslich auf
den (weil glaesernen) Arbeitseinkommen, obwohl ihr Anteil am
Volkseinkommen kontinuierlich abnimmt.

Lohngeheimnis?

Eine moegliche Beendigung der Ungleichbehandlung waere, dass wir
analog zum Bankgeheimnis fuer Kapitaleinkommen auch ein Lohngeheimnis
und ein Gehaltsgeheimnis einfuehren, um alle steuerrelevanten Daten
geheim zu halten und das Buergerrecht nicht nur bei Kapitaleinkommen,
sondern auch bei Arbeitseinkommen zu schuetzen. Attac hat sich jedoch
gegen diese Variante der Aufhebung der Ungleichbehandlung
ausgesprochen, weil dann vermutlich auch 90 Prozent der arbeitenden
Bevoelkerung vergessen wuerde, ihre Steuern zu bezahlen. Dann muessten
wir Schulen, Krankenhaeuser und Universitaeten zusperren oder
privatisieren. (Der einzige Grund, warum es heute kein Lohn- und
Gehaltsgeheimnis, sondern stattdessen die glaesernen Arbeitsmenschen
gibt: um Steuervergesslichkeit zu verhindern.)

Oder aber: Wir heben eine anonyme "Quellensteuer" auf alle
Arbeitseinkommen bei den ArbeitgeberInnen in der Hoehe des
Spitzensteuersatzes ein und verpflichten alle unselbstaendigen
Beschaeftigen zu einer Steuererklaerung, in der sie ja deklarieren
koennen, dass sie weniger verdient haben und sich am Jahresende die
zuviel vorabgeleistete Quellensteuer zurueckholen koennen - so wie
dies bei der KEST heute moeglich ist: Wessen Lohn- oder
Einkommenssteuersatz unter dem KESt-Satz liegt, kann sich die
Differenz zurueckholen. Wir halten auch das nicht fuer die optimale
Loesung.

Gleichbehandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen

Die von uns vorgeschlagene Loesung ist, dass Kapitaleinkommen gleich
behandelt werden wie Arbeitseinkommen, nicht nur gleich
vollautomatische Meldung an das Finanzamt, sondern auch gleicher
Steuersatz! Dadurch koennten a) die Tarife der Einkommenssteuer
insgesamt gesenkt oder b) das steuerfreie Einkommen angehoben oder c)
die Steuersaetze auf Arbeitseinkommen gesenkt oder d) das Budget
saniert oder e) oeffentliche Leistungen erhoeht werden, zum Beispiel
freier Hochschulzugang oder flaechendeckender oeffentlicher Verkehr.

Damit kommen wir zum Kern des Vorwurfs: der grenzueberschreitende
Informationsaustausch. Der ist uns ein ganz besonderes Anliegen, denn
es ist eine frappierende Imbalance aus Rechten und Pflichten, dass
Vermoegende freien Kapitalverkehr erhalten (eine Leistung des
demokratischen Gemeinwesens), im Gegenzug aber nicht verpflichtet
werden, ihre steuerrelevanten Daten preiszugeben. Das ist eine glatte
Einladung zur Steuerhinterziehung und zum Ausweichen in Steueroasen
oder - innerhalb der EU - in Nachbarlaender mit Bankgeheimnis wie
Oesterreich. Laut Weltreichtumsbericht belaeuft sich das Vermoegen der
weltweiten Dollarmillionaere auf rund 40 Billionen US-Dollar pro Jahr.
Ein geschaetztes Drittel davon ist "offshore" versteckt, also in
Steueroasen. Um Steuern zu vermeiden. Ein Drittel sind rund 13
Billionen US-Dollar. Angenommen, diese wuerden mit 8 Prozent verzinst
(Angabe ueber Private Banking in der "Presse"), dann ergaebe diese
Vermoegenseinkommen von 10,4 Billionen US-Dollar pro Jahr. Bei einem
angenommenen Steuersatz von 50 Prozent (kein Bankgeheimnis,
Gleichbehandlung mit Arbeitseinkommen) waere das ein Steuerertrag von
520 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Eine - dadurch moegliche -
Vermoegenssteuer von einem Prozent hinzugerechnet (400 Milliarden
Euro), ergaebe dies zusammen 920 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die
den Herkunftslaendern jaehrlich entgehen, weil sie nur den
Kapitalverkehr geschaffen, diesen aber nicht an die Gegenleistung der
Uebermittlung steuerrelevanter Daten geknuepft haben, wie es Attac
fordert.

Diese runde Billion fehlt aber in den Staatshaushalten und fuehrt a)
zu einer Verschlechterung oeffentlicher Leistungen (ueberfuellten
Unis, Stilllegung von Bahnlinien), b) zu hoeheren Steuern auf
"glaeserne" (arbeitende) Menschen, deren Daten niemand vor dem Fiskus
schuetzt und c) zu hoeheren Staatsschulden. Wir halten das fuer keine
gute Loesung und keinen Dienst an den Buergerrechten!

EU-Zinsrichtlinie

Die EU, die wir sehr konsequent fuer ihre undemokratische und
neoliberale Politik kritisieren, hat in diesem Fall einen Schritt in
die richtige Richtung unternommen: Staatsangehoerige von
EU-Mitgliedstaaten, die ihre Vermoegen ins EU-Ausland schaffen, um
Steuern zu hinterziehen, sollen auch weiterhin in den Genuss des
freien Kapitalverkehrs kommen, allerdings sollen im Gegenzug ihre
steuerrelevanten Daten an die zustaendigen Finanzaemter uebermittelt
werden. Dann kommt es nicht zu Alpen-Saga-verdaechtigen Drolligkeiten
wie zum Beispiel der, dass das Raiffeisenbank Reutte im Tiroler
Bergdorf Jungholz Kundeneinlagen im Ausmass von 3 Milliarden Euro (!)
verwaltet. Deutsche StaatsbuergerInnen schaffen ihr Grossvermoegen mit
dem Motiv nach Oesterreich, Steuern zu hinterziehen. Das Bankgeheimnis
macht es moeglich.

Waehrend 24 von 27 EU-Mitgliedstaaten dem automatischen
Informationsaustausch (leider nur fuer ein begrenztes Segment von
Kapitaleinkommen) bereits zugestimmt haben, leisten Belgien, Luxemburg
und Oesterreich noch Widerstand und weiterhin Beihilfe zur
grenzueberschreitenden Steuerhinterziehung. Das finden wir nicht gut,
weshalb wir als logische Begleitmassnahme/Gegenleistung zum freien
Kapitalverkehr den Austausch steuerrelevanter Daten fordern - nicht
nur bei Arbeits-, sondern auch bei Kapitaleinkommen, von denen nur
fuenf Prozent der Bevoelkerung nennenswert profitieren. Die
Kapitaleinkommen der breiten Mehrheit der Bevoelkerung bewegen sich im
"peanuts"-Bereich, weil Vermoegen sehr ungleich verteilt sind: Zehn
Prozent der Bevoelkerung besitzen rund zwei Drittel des gesamten
Vermoegens: Hier wird klar, wessen Daten geschuetzt werden!

Das Bankgeheimnis wurde uebrigens nie mit dem Motiv des Datenschutzes
eingefuehrt, sondern nach dem Krieg, um Schwarzgelder aus den
Kopfkissen in die Banken zu locken, damit diese Kredite vergeben
konnten.

Das ist Geschichte. In Zeiten, in denen a) der Anteil von
Kapitaleinkommen am Volkseinkommen immer weiter steigt, waehrend der
Anteil der Arbeitseinkommen sinkt und in denen b) die sozialen
Sicherungssysteme ausschliesslich von den [schrumpfenden]
Arbeitseinkommen abhaengen und c) ueberfluessige Kapitalvermoegen und
ihre Renditesuche fuer ungerechte Verteilung, Finanzblasen und Krisen
sorgen, sehen wir die Dringlichkeit der Umsetzung unserer
langjaehrigen Forderung wachsen.

Bewerbung fuer BBA 2011

Die Aufhebung des Bankgeheimnisses - um Missverstaendnisse zu
vermeiden: nur gegenueber dem Finanzamt; gegenueber Verwandten,
Nachbarn, Medien, ArbeitgeberInnen und PolitikerInnen bleibt der
Datenschutz zu 100 Prozent aufrecht! - ist Kernbestandteil unseres
Forderungskatalogs seit unserer Gruendung im Jahr 2000. Von daher
ereilt uns die Nominierung zehn Jahre, nachdem wir sie erstmals
verdient haetten: Dranbleiben und Ausdauer haben sich in diesem Fall
gelohnt.

Wir moechten bei dieser Gelegenheit auch gleich unsere Bewerbung fuer
den Preis des naechsten Jahres einreichen: Attac setzt sich fuer die
Offenlegung der Finanzgeber und Finanzfluesse der Lobbyisten in
Bruessel ein, um zu erfahren, wer wen mit welcher Absicht bezahlt, um
EU-Politik zu beeinflussen. Auch das ist ein schwerwiegender Eingriff
in den persoenlichen Datenschutz. Wir hoffen, dass die Jury dieses
Argument bei ihrer Nominierung im naechsten Jahr beruecksichtigen
wird.

PS:

Zur Steuer-CD, mit der wir im Nominierungstext nicht direkt in
Zusammenhang gebracht werden (bei automatischem Informationsaustausch
waere der "Markt" fuer solche Deals ausgetrocknet) und zum Verdacht,
dass es sich hier um "Hehlerei" handelt:

Hehlerei ist laut Rechts-Lexika eine "Tat, die eine unrechtmaessig
herbeigefuehrte Vermoegenslage aufrecht erhaelt und weiter fortsetzt
oder einen Taeter deckt (...) Der Hehler macht "heisse" Gegenstaende
wieder umlauffaehig (...) Diese Tat richtet sich somit gegen das
Vermoegen eines anderen oder gegen den Strafanspruch des Staates".

Dieser Tatbestand trifft exakt auf keinen der Beteiligten zu, aber
viel eher auf die Schweizer Banken als auf die deutschen
Steuerbehoerden. Die Schweiz ist die groesste Steueroase der Welt, ihr
"Weltmarktanteil" am Hehlereigeschaeft (= Beihilfe zur
Steuerhinterziehung + Deckung der Taeter + Umlauffaehigmachung der
hinterzogenen Steuergelder), wird auf gut 30 Prozent geschaetzt.

Die deutschen Behoerden verhehlen oder verhoekern kein Diebsgut,
sondern sie kaufen Beweismittel oder nehmen diese an. Dazu sind sie
verpflichtet!

Sie schlagen daraus keinen privaten Profit und ihr Ziel ist nicht,
Raeuber zu "decken", sondern zu entlarven und den Hehlern das Handwerk
zu legen. Sie setzen das Recht durch, beenden Unrecht, das ist gutes
Recht und ihre Pflicht!
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Quelle: http://www.attac.at/bigbrother2010.html
Nominierungstext der BBA: http://www.bigbrotherawards.at/2010/Politik



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