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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Oktober 2010; 01:16
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Wiener Wahlen/Kommentar:
> Keine Panik
Nicht die FPOe ist das Problem, sondern die Normalitaet
Wien bleibt Wien. Natuerlich ist das irgendwo auch eine Drohung, aber 
so wird es wohl sein. Es wird sich nichts aendern nach dieser Wahl. 
Wahrscheinlich wird Haeupl Marek an die Brust nehmen und sie 
gnadenhalber zur Vizebuergermeisterin mit der Zustaendigkeit fuer die 
staedtischen Minigolf-Anlagen machen. Denn Rotschwarz heisst in Wien 
etwas anderes als im Bund. Die OeVP wird sich weitaus billiger 
verkaufen als es ihrem ohnehin laeppischen Stimmenanteil entspricht. 
Sollte es unwahrscheinlicherweise doch zu Rotgruen kommen, muessten es 
die Gruenen schon noch um einiges billiger als die OeVP geben. Das ist 
zwar unwahrscheinlich, doch Haeupl ist es letztendlich egal, wen er 
ueber den Tisch zieht, Hauptsache, er muss sich dabei nicht 
anstrengen.
Wien ist Oesterreich
Was das Ergebnis angeht, war es wohl hauptsaechlich eine 
bundespolitische Wahl. Bundespolitik spielt bei allen Wahlen eine 
wichtige Rolle, in Wien aber schon seit jeher besonders und angesichts 
des von der FPOe immer wieder beschworenen "Duells" erst recht: Da 
trafen der faktische Bundespolitiker Haeupl und der 
Nationalrats-Klubobmann Strache aufeinander. Und Strache bestimmte das 
Schlachtfeld: Die "Auslaenderthematik" -- die halt letztendlich vor 
allem eine bundespolitische Agenda ist. Landes- und Gemeindethemen 
waren fast voellig ausgeblendet und seit gut einem Jahr war die 
kommende Wiener Wahl bei fast jeder bundespolitischen Debatte bis hin 
zur jetzigen Budgetverschleppung ein zu beruecksichtigender Faktor.
Die Gruenen haben nicht verloren, weil ihr Verhalten in den letzten 
fuenf Jahren im Rathaus zu zahm gewesen waere. Deren Wahlkampf war 
zwar oed, aber nicht voellig daneben und die Zerstrittenheit war den 
Waehlern wohl auch wurscht. Bundespolitisch holen die Gruenen einfach 
niemanden mehr hinter dem Ofen hervor -- da fehlt einfach der Biss. Den 
einzigen echten Fehler, den die Wiener Gruenen selbst gemacht haben, 
war, allzusehr zu betonen, dass sie mit der SPOe koalieren wollen --  
man darf als Oppositionspartei nicht lauthals verkuenden, dass man der 
Partei, die man staendig kritisiert, nach der Wahl wieder die Mehrheit 
sichern moechte. Landespolitisch gezogen haben hingegen duerfte der 
Vorzugsstimmenwahlkampf von VdB. Der autoritaere Charakter ist halt 
immer noch ein wichtiger Wahlreflex, der auch bei den Gruenen Wirkung 
zeigt -- nicht umsonst konnte auch Bezirksvorsteher Blimlinger sein 
Ergebnis ausbauen und umgekehrt der abgesaegte ehemalige gruene BV 
Rahdjian mit seiner eigenen Liste in der Josefstadt die Gruenen um die 
relative Mehrheit bringen. Den Bezirkskaiserbonus sollte man einfach 
nicht unterschaetzen. Wobei generell der Unterschied im Abschneiden 
der Gruenen zwischen Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen in den 
inneren Bezirken auch darauf zurueckzufuehren sein duerfte, dass diese 
Bezirke einen deutlich hoeheren EU-Buerger-Anteil haben als 
beispielsweise Simmering -- und das sind gerade in Neubau die 
"besseren" Europaeer, die aber eben fuer die GR-Wahl nicht 
stimmberechtigt waren.
Selbst das Abschneiden der OeVP war nur teilweise hausgemacht: Der 
OeVP wurde jetzt einfach nur endgueltig klar gemacht, dass sie in Wien 
einfach aufgrund der Bevoelkerungsstruktur nur ein minimales Potential 
hat. Die pensionierten k.u.k.-Beamten gibts halt nimmer, die Wiener 
Bauern sind auch nicht unbedingt eine schlagkraeftige Klientel und die 
liberalen Grossbuerger und Mittelschichtler, die anno dazumal von 
Busek anzusprechen waren, waehlen laengst gruen. Landespolitisch war 
nur relevant, dass die OeVP in ihrer Verzweiflung auch noch einen 
gemischten Busen- und Law&Order-Wahlkampf fuehren musste. Christine 
Marek betrieb dabei perfekte Stimmenminimierung, wo sie tunlichst 
alles versuchte, auch noch die letzten verbliebenen 
Kernwaehlerschichten zu vergraetzen. Die Abschiebeaktion der beiden 
Maedchen wenige Tage vor der Wahl, die auch die konservativste 
Hofratswitwe erschrecken musste und die von Mareks 
Lieblings-Regierungskollegin Fekter zu verantworten war, tat ihr 
uebriges -- da blieb nicht viel uebrig ...
Es war also absehbar, was passieren wuerde, und hat wenig mit Wien zu 
tun. Jene, die Strache in seiner Hetze zustimmen, haben auch schon 
frueher FPOe gewaehlt. Die, die diese Hetze nicht stoert, die aber ein 
Protestvotum abgeben wollten, hatten nach der Regierungsbeteiligung 
der Haider-FPOe nicht gewusst, was sie waehlen sollen, konnten jetzt 
aber endlich wieder so stimmen, wie sie es schon 1996 getan haben.
Es ist einfach eine Normalisierung eingetreten -- auch wenn diese 
Normalisierung grauslich ist. Aber es ist halt trotzdem nicht jeder 
Vierte, der uns in der Stadt begegnet ein FPOe-Waehler. In einer 
faktischen Knapp-Zwei-Millionen-Stadt, wo nur 1,7 Millionen 
statistisch als Einwohner erfasst werden und ueberhaupt nur 1,14 
Millionen bei der Gemeinderatswahl wahlberechtigt waren, muss man das 
relativieren. Inclusive der Wahlkarten wird es am Ende rund 800.000 
gueltige Stimmen geben -- sprich: nur etwa jeder Achte oder Neunte, 
den wir auf der Strasse treffen, hat FPOe gewaehlt. Etwa die Haelfte 
der Erwachsenen in dieser Stadt konnte oder wollte nicht waehlen --  
wie die denken, koennen wir nur erraten, aber es sind sicher keine 
FPOe-Waehler...
Oesterreich ist Europa
Es geht hier nicht ums Schoenreden, aber Hysterie ist nicht 
angebracht, weil es eben nur in der Parteienlandschaft eine 
Entwicklung ist, nicht aber in den Koepfen der Menschen. Wir leben in 
einem Land -- aber auch in einem Europa -- wo fortschrittliche 
Positionen in der Minderheit sind. Und das schon seit langer Zeit. 
Wenn Sozialdemokraten mal irgendwo an der Regierung waren, haben sie 
manchmal soziale Verbesserungen durchgebracht -- aber autoritaer waren 
sie trotzdem alle. Josefinismus war noch das Beste, was man von ihnen 
erhoffen konnte.
Ja, schuld an dieser Misere haben OeVP und SPOe und all die aehnlichen 
Parteien in Europa, die diesen mehrheitlich autoritaeren Charakter der 
Bevoelkerung gepflegt haben, weil er ihnen genutzt hat. Jetzt wird die 
Rechnung praesentiert. Trotzdem werden unsere hiesigen 
Koalitionsparteien demnaechst ein fuerchterliches Budgetpaket 
hinklotzen, das die Armut und damit die Unzufriedenheit weiter 
anheizen wird. Ein Gegentrend oder eine Gegenkraft ist nicht absehbar.
Wie sagte Trotzki? Sozialismus oder Barbarei! Naja, mit dem 
Sozialismus sieht es schlecht aus, aber etwas aendern muss sich. Auf 
die rechtsextremen Parteien schimpfen oder sich gar vor ihnen 
fuerchten, ist einfach zu kurz gegriffen. Den Kapitalismus 
perpetuieren, Menschen mit dem falschen Pass wie Dreck behandeln und 
alle anderen als Untertanen -- das machen schon die "gemaessigten" 
Parteien in den Regierungen Europas.
Wir brauchen einen antifaschistischen Widerstand, der notwendigerweise 
ein antiautoritaerer und antikapitalistischer sein muss.
*Bernhard Redl*
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