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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Oktober 2010; 22:03
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Wien/Wahl/Debatte:

> Die Rechtsextremen, die wir verdienen

Wenn am 10.Oktober der Wiener Landtag gewaehlt wird, soll sich die
Nation einmal mehr -- zumindest der Form nach -- zu einer Demokratie
kroenen lassen. Um den buergerlichen Subjekten als
Arbeitskraftbehaelter auch einmal das Gefuehl zu vermitteln,
mitbestimmen zu koennen, wird erneut zum Kreuzchen gebeten. Damit der
Einheitsbrei, dessen Bejahung von Kapital, Markt, und Staat ohnehin
Konsens ist, wenigstens den Anstrich einer Vielfalt hat, stehen die
ueblichen Diskussionen an. Der Kampf um Wien ist ausgebrochen. Das
gelaeuterte Oesterreich zieht ins Felde um ihr eigenes Produkt, die
FPOe, doch wieder hoeflichst in die Schranken zu weisen.

Waehrend die FPOe mit dem Slogan "Wiener Blut -- Zu viel Fremdes tut
niemandem gut" den Ton angab, reagierte das "bessere" Oesterreich
inhaltsleer wie immer. Die Ehrenrettung Oesterreichs startete "Das
Buendnis -- fuer Menschenrechte & Zivilcourage -- gegen
Diskriminierung & Extremismus". Slogans, in denen sich das "Wiener
Blut" ploetzlich fuer Toleranz und ein friedliches Miteinander
einsetzte, erschienen. Auf Plakaten wurde darauf hingewiesen, dass
Wien doch schon immer auf eine multikulturelle Vergangenheit zurueck
blicken konnte. Und um dies zu untermauern, wurden Namen prominenter
Politiker*innen als Beispiel heran gezogen, die auf einen
"multikulturellen" Background schliessen lassen sollten.

Waehrend also die Zivilgesellschaft die multikulturelle Vergangenheit
Wiens und Oesterreichs entdeckte, die voelkischen Freaks sich einmal
mehr um ihre Heimat sorgen, Migrant*innen munter weiter abgeschoben
werden, Personen wegen brennender Muelltonnen mehrere Wochen in
Untersuchungshaft sassen, reagiert die radikale Linke, wie sie es
immer tut: Nichts-aussagend und affirmativ.

Offen nationalistisch -- oder gar rassistisch -- mag ja sowieso
niemand mehr sein; weder das "gelaeuterte", noch das zurueck
gebliebene Oesterreich. Waehrend also Weltoffenheit zelebriert wird,
die Abschiebungen weitergehen, die Ermordungen an den Grenzen Europas
weiterhin lediglich bedauernswerte Zwaenge bleiben, koennen sich
Migrant*innen im Heimatland des Musikantenstadels so richtig wohl
fuehlen -- so lange sie eben arbeiten. Denn Arbeiten ist das
unangetastete Schlagwort in aller Munde. Wenn Migrant*innen bei diesem
Trauerspiel auch mitmachen wollen, dann sind sie ja gerne aufgenommen.

Da sich Rassismus, Nationalismus, Sexismus etc. nicht nur zu "boesen"
Ideologien reduzieren lassen, zu denen die von Krisen geplagten
Arbeitskraftbehaelter eine Neigung haben -- welche auch dem Charme
eines H.C. Straches nicht widerstehen koennen -- muss die Antwort
einer radikalen Linken eine andere sein. Wenn also das trotzkistische
Lager erneut revolutionaeren Zeiten entgegenblickt, muss der
revolutionaerste aller revolutionaeren Teile zur Wahl antreten (SLP),
der am meisten klassenkaempferische aller klassenkaempferischen erneut
die Reihen stellen (Revolution/LSR) und der linkeste aller linken
erneut Wahlwerbung fuer eine rassistische Partei (SPOe) machen
(Linkswende und SJ). Der autonome Teil steht dem ganzen Trauerspiel
zwar kopfkratzend gegenueber, aber vielmehr als Anarchie hat sie dazu
auch nicht zu sagen.

Doch weder ist die kapitalistische "Krise" Ursprung allen Uebels, noch
saet die FPOe Hass, Rassismus und Antisemitismus in den Koepfen der
Oesterreicher*innen. "Rasse", "Geschlecht", oder kulturelle
Zuschreibungen konstituieren sich als Ideologien kollektiver
Identitaeten und erfuellen als solche einen rationalen Zweck in der
kapitalistischen Gesellschaft. Sie verschaffen dem buergerlichen
Subjekt jenseits des nackten oekonomischen Interesses eine
ausseroekonomische und ueberhistorische Identitaet, die als Entlastung
und Orientierung fungieren kann.

Ideologien kollektiver Identitaeten sind Frontverlaeufe
gesellschaftlicher Konkurrenz. Damit ist nicht gesagt, dass sie
unmittelbar einem oekonomischen Zweck dienlich sein muessen, aber sie
verschaffen den von dauernder Konkurrenz geplagten
Arbeitskraftbehaeltern dennoch die beruhigende Gewissheit, im Fall der
Faelle auf ein paar Wurzeln und eine Identitaet zurueckgreifen zu
koennen.

Wenn nun die FPOe wieder einmal gegen Moscheen oder anderes mobil
macht, dann erfindet sie keine Ideologien kollektiver Identitaeten,
sondern spitzt diese zu. Rechtspopulist*innen fallen nicht vom Himmel,
sondern knuepfen an Mechanismen an, welche die
buergerlich-kapitalistische Gesellschaft bestimmen. Somit knuepfen sie
direkt an den Normalbetrieb -- sprich die "gut buergerliche Mitte" --
an.

Doch auch das Spektakel der Wahlen als solches ist einer
linksradikalen Kritik zu unterziehen. Denn der Wahlakt soll lediglich
eine Illusion der Selbstbestimmung der Beherrschten herstellen. Das
Parlament, bzw. der Landtag, spielt dabei eine besondere Rolle in der
sog. Transformation der Demokratie. Der aus dem Gegensatz von Kapital
und Arbeit resultierende Herrschaftskonflikt wird in einen
Fuehrungskonflikt umgewandelt, und traegt somit wesentlich zur
Erhaltung eines autoritaeren Staats bei.

Mit jeder Wahl wird Herrschaft weder abgebaut, noch unter Kontrolle
gebracht. Denn ganz im Gegenteil ist der Wahlakt erst die bestimmende
Legitimation von Herrschaft. Zu glauben, dass unter Umstaenden die
"Herrschenden" abgewaehlt zu koennen, ist eine Illusion, geschaffen
damit die Arbeitskraftbehaelter ja nicht auf die Idee kommen, den
ganzen Zirkus irgendwann mal in Frage zu stellen. Eine freie
Gesellschaft -- jenseits von Ausbeutung und Herrschaft -- kann sich
daher nur abseits des Staats und seiner legitimierten Herrschaft
vollziehen.

Perspektiven linksradikaler Kritik werden sich nicht dadurch
eroeffnen, wenn der antiimperialistische Sumpf sein seit Lenin nicht
veraendertes Programm erneut runterbetet und alle in die Haende
klatschen waehrend sie gegen die FPOe demonstrieren. Autonome Politik
jenseits von Staat, Nation und Kapital, die sich selbst gerecht wird,
und eine Gesellschaft freier und selbstbestimmter Individuen nach wie
vor einklagt und fordert, wird nicht aus dem Nichts kommen.
Diskussionen und Reflexionen sind angesichts steigender Repression und
verschaerftem Konkurrenzkampf notwendiger denn je. Die Frage stellend,
die Antwort nicht wissend, werden wir in den Herbst starten.

Zu tun gibt es -- Kaernten sei Dank -- genug am
Wahlspektakel-Wochenende: Am selben Tag ruehmt sich "Bergdeutschland"
(Kaernten/Koroska) erneut dafuer, einem Mythos nachzueifern.
Geschichtliche Inszenierungen bilden eben einen wesentlichen Teil
jener nationalistischen Ideologien, mit denen sich die zu Tode
konkurrierenden Subjekte dann eben identifizieren koennen. Im uebrigen
werden die "sozialen" Vertreter*innen der SPOe auch dort ihre etwas
von "links abgekommenen" Vorstellungen zur Schau tragen, und fleissig
bei jenem Spektakel mittrinken, zu denen auch die Deutsche
Burschenschaft mobilisiert. Bei Gelegenheit kommen die Geschoepfe der
buergerlichen Gesellschaft doch noch dort an, wo sie hin gehoeren ...

In diesem Sinne: Jede Stadt bekommt die Rechtsextremen, die sie
verdient!

*Einer von der Antifa Wien* (gek.)



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