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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Oktober 2010; 22:44
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Brasilien/Kommentar

> Kein Rechtsruck

Die Erklaerungen fuer den Ausgang der ersten Runde der
Praesidentschaftswahlen greifen zu kurz


Dilma Rouseff von der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores)
hat mit 47 zu 32,5 Prozent zwar klar den Kandidaten der konservativen
Opposition Jose Serra abgehaengt, muss jedoch in die Stichwahl. Marina
Silva, das ehemalige PT-Urgestein und fruehere Umweltministerin, die
nunmehr fuer die Gruenen (Partido Verde, PV) antrat, erreichte
naemlich an die 20 Prozent.

Das ueberraschende Wahlergebnis fuehrt zu einigen Reflexionen. Im
Folgenden moechte ich sie behutsam angehen und wenn mehr Informationen
vorliegen ergaenzen, gegebenfalls auch modifizieren.

Die "Erklaerungen" fuer das Wahlergebnis, die bislang von der
veroeffentlichten Meinung ausgegeben wurden, greifen entschieden zu
kurz. Vor allem wird darauf verwiesen, dass Dilma Rousseff -- im
Gegensatz zu ihrem Mentor Lula -- keine "Volkstribunqualitaeten" hat
und dass unmittelbar vor den Wahlen in ihrer unmittelbaren Umgebung
ein Korruptionsskandal platzte.

Beide facts stimmen (Dilma wirkt tatsaechlich hoelzern, "kommt nicht
rueber",...), reichen jedoch zur Ursachenbestimmung allein nicht aus:
In der PT, und auch um Lula herum, gab es immer wieder riesige
Korruptionsskandale mit einer Latte von Ruecktritten.

Es ist daher noetig, nicht an der kraeuselnden Oberflaeche zu
verbleiben, sondern analytisch in die Tiefe zu gehen:

Offenkundig haben nicht wenige bei Marina Silva angekreuzt, obwohl die
Partido Verde politisch nicht links steht.

Die wesentlichen Gruende dafuer scheinen mir in folgenden
Ursachenstraengen zu sein:

- Brasilien wird heute -- ziemlich oberflaechlich -- als "Grossmacht"
gehandelt ( aehnliche Kategorisierungen gibt es hinsichtlich Indien
und China). Obwohl nicht zu leugnen ist, dass diese Laender kraeftig
aufgeholt haben und z.T. Weltmarktspitzenpositionen haben (etwa die
gigantischen Waehrungsreserven Chinas), sind sie insgesamt keine
"entwickelten Industrienationen". Und schon gar nicht passt die
"Verteilung" in diesen Laendern. Neben Hochtechnologie und einigen
Milliardaeren gibt es nach wie vor bitterste Massen-Armut.

- durch seine Sozialprogramme (bolsa de familia,...) hat Lula die
extreme Armut abgefedert, aber nicht beseitigt. Millionen bekommen
"Unterstuetzungen" -- aber ihre struturelle Armut bleibt.

- in der Frage der Landreform ist die PT-Fuehrung weithin saeumig --
was auch immer wieder von der Landlosenbewegung MST beklagt wird

- die Umweltpolitik Lulas und Rousseffs war und ist brutal und
unsensibel (siehe etwa das fuerchterliche Mammut-Projekt Belo Monte).
Erst juengst hat der aus Oesterreich stammende Bischof Erwin
Kraeutler, der kuerzlich den "Alternativen Nobelpreis" erhielt, dies
unterstrichen.

Unter diesen Bedingungen und angesichts des Umstands, dass Rousseff,
dafuer steht, diesen "moderat" neoliberalen Kurs fortzusetzen, haben
sich offensichtlich bisherige und potentielle PT abgewandt und ihrer "
Unzufriedenheit" dadurch Ausdruck verliehen, dass sie fuer Marina
Silva stimmten -- trotz der Polit-Defizite der Gruenen.

Es ist anzunehmen und zu hoffen, dass Dilma die Stichwahl fuer sich
entscheidet. Und ich halte es auch fuer einen schweren politischen
Fehler, dass die Ex-PTlerIn Marina Silva die Sozialdemokratin Rousseff
und den Buergerlichen Serra auf eine Stufe stellt und KEINE
Wahlempfehlung abgibt!

Auf jeden Fall scheinen die politischen Karten in Brasilien etwas neu
gemischt worden zu sein.
*Hermann Dworczak*



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