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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. September 2010; 21:54
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Lateinamerika:
> Der mexikanische Drogenkrieg und die Linke
"Ein Krieg gegen die Drogen? Nein, das ist ein Krieg gegen das Volk", 
schreibt wuetend der engagierte Journalist Luis Hernández Navarro im 
Guardian vom 12. August*. Hernández Navarro ist Redakteur der 
Meinungsseiten der linken Tageszeitung "La Jornada". Er beklagt in 
seinem Artikel, dass die von Anfang an schlecht legitimierte Regierung 
von Felipe Calderón mit ihrer Kriegserklaerung an die Mafiastrukturen 
im Land in ein Hornissennest gestossen sei. Er betont, dass 
insbesondere die sozialen Bewegungen unter der Militarisierung und der 
Kriminalisierung sozialen Protestes leiden wuerden.
Selten wird eine solche kritische Stimme im Ausland gehoert. Denn es 
herrscht immer noch der Eindruck, die mexikanische Regierung bekaempfe 
allen Ernstes die organisierte Kriminalitaet. Was aber vor Ort stark 
bezweifelt wird. Sind doch die Eliten selber in die lukrativen 
Geschaefte involviert. Der Analyst Carlos Fazio betont, dass die seit 
einem Vierteljahrhundert betriebene neoliberale Politik zu einer 
Fragmentierung der Institutionen fuehrte und eine neue politische 
Klasse an die Macht brachte, welche in erster Linie fuer ihre 
Gruppeninteressen einstehen und nicht fuer oeffentliche Interessen.
Diese politische Klasse befinde sich "in Kollision mit einer 
Unternehmerklasse, die mit einem Fuss in der legalen Oekonomie und mit 
dem anderen in der Illegalitaet steht. So wurde das Verbrechen zu 
einem organischen Element des Systems der politischen und sozialen 
Kontrolle". Damit einher gehe "eine regulierende Gewalt neuen Typs, 
die mehr und mehr Morde und Saeuberungen als Norm hat".
Gewalt reguliert einen deregulierten Markt
"Regulierende Gewalt in einem deregulierten Markt" koennte die 
Eskalationen treffend beschreiben. Denn die Auseinandersetzungen 
zwischen den Mafiagruppierungen finden immer dann und dort statt, wo 
die Vorherrschaft einer Mafia in einer Region von einer anderen 
infrage gestellt wird. Der Krieg gegen die Mafiastrukturen weist viele 
Defizite auf**. Zusammengefasst sind rein militaerische Mittel zur 
Anwendung gelangt, soziale und wirtschaftliche Alternativen werden 
nicht entwickelt. Die Justiz verurteilt nur wenige Verbrecher und die 
Geldwaescherei wird kaum verfolgt. Hinzu kommt, dass ein Teil der 
mafioesen Strukturen bisher kaum beruehrt wurde, was den Verdacht von 
Carlos Fazio naehrt: Ein guter Teil der Oligarchie ist im Geschaeft 
mit drin.
Einmal abgesehen von der skandalisierenden medialen Wahrnehmung der 
mexikanischen Realitaet (Mexiko hat immer noch eine niedrige Mordrate 
im Vergleich zu Zentralamerika, Brasilien oder Venezuela) muss 
festgehalten werden, dass tatsaechlich ein rapider Zerfall der 
staatlichen Institutionen stattfindet. Dieser Zerfall kommt den 
Machtinterressen des noerdlichen Nachbarn USA natuerlich sehr 
entgegen, der ein grosses Interesse daran hat, die mexikanische Innen- 
und Sicherheitspolitik zu dirigieren.
So dienen zB zwei Anschlaege mit Autobomben in diesem Sommer als 
Vorwand, mexikanische Sicherheitskraefte in den USA in Strategien der 
Aufstandsbekaempfung wie in Afghanistan auszubilden. Juengste Aktionen 
zeigen auch hier Parallelen, so wurden zwei Drogenbosse von 
Armeeeinheiten in Zusammenarbeit mit US-Behoerden nicht verhaftet, 
sondern gleich hingerichtet. Die "gezielte Toetung" ist in Kolumbien, 
Honduras, Afghanistan oder Mexiko die aktuelle Politik des 
Friedensnobelpreistraegers aus dem Land der unbegrenzten Kriege.
Gleichzeitig weisen immer wieder Indizien darauf hin, dass nicht nur 
die mexikanischen Sicherheitskraefte, sondern auch die CIA selber im 
Drogenhandel aktiv sind. So stuerzten in den letzten Jahren zwei 
CIA-Flugzeuge ueber mexikanischem Territorium ab, welche Kokain 
geladen hatten. Eines davon war auf der Liste der "Folter-Taxis", also 
der geheimen Gefangenentransporte der USA, welche der 
Europaparlamentarier Dick Marty veroeffentlichte.
Militarisierung und Widerstand
In diesem Umfeld der Brutalisierung und Militarisierung ist das erste 
Opfer die Wuerde des Menschen. Massivste Menschenrechtsverletzungen 
koennen weitgehend straffrei begangen werden. Insbesondere das 
mexikanische Militaer geniesst einen "fuero militar", das heisst, fuer 
Verbrechen wie die Erschiessung von Unschuldigen an Strassensperren 
koennen Soldaten nicht vor zivilen Gerichten zur Verantwortung gezogen 
werden. Und die Militaerjustiz entscheidet auch im zweifelsfreien Fall 
fuer den Soldaten. So werden immer mehr mexikanische Familien durch 
Entfuehrungen, Folter, Morde, Verschwindenlassen von Angehoerigen 
traumatisiert, ohne dass es eine staatliche Instanz gaebe, bei der man 
diese Verbrechen gefahrenlos anklagen koennte. Viele trifft die Gewalt 
von Seiten der Mafias und des Militaers zufaellig, andere verweigerten 
die Zahlung von Schutzgeldern. Oder recherchierten in Themen wie der 
Korruption der Behoerden - Mexiko ist heute das gefaehrlichste Land 
fuer JournalistInnen weltweit.
Die sozialen Bewegungen sind ebenfalls im Visier der Militaers und der 
militarisierten Polizei. Hernández Navarro erwaehnt im eingangs 
zitierten Artikel den emblematischen Fall von Raúl Lucas García und 
Manuel Ponce Ríos. Diese beiden indigenen Menschenrechtler aus dem 
Bundesstaat Guerrero wurden letztes Jahr von Polizisten entfuehrt, 
gefoltert und umgebracht. Auf allen Ebenen bis hin zur UNO 
denunzierten die Menschenrechtsorganisationen das Verbrechen - ohne 
Konsequenzen. Im Gegenteil musste das oertliche Buero des 
Menschenrechtszentrums Tlachinollan nach weiteren massiven 
Morddrohungen geschlossen werden. Indigene Gemeinden, welche sich 
gegen die Praesenz der Militaers wehren, werden immer wieder 
angegriffen. In Guerrero erlaubten sich die Soldaten, diese Aktionen 
in Zusammenarbeit mit bewaffneten "Zivilen" durchzufuehren. Diese sind 
nichts anderes als Moerder der Drogenmafia. Die Aktionen laufen unter 
der Flagge Drogenkrieg, haben aber die Aufstandsbekaempfung zum Ziel, 
denn viele abgelegene Gemeinden in Guerrero sympathisieren mit der 
Guerilla ERPI (Ejército Revolucionario del Pueblo Insurgente). Diese 
distanziert sich klar von der Drogenmafia und weist auf die 
Zusammenarbeit dieser Mafiastrukturen mit dem Militaer hin.
"In Guerrero wenden Militaerkraefte einen Krieg niederer Intensitaet 
an, dessen Taktiken das Pluendern von Ernten, das Vergewaltigen von 
Frauen, die aussergerichtliche Hinrichtung und sogar die erzwungene 
Sterilisierung beinhaltet", beschreibt Hernández Navarro im Guardian. 
Ein eigentlicher Krieg gegen die sozialen Bewegungen sei im Gange, 
"ein Krieg, dem niemand aus der Welt der Untergebenen entkommt", wie 
derselbe Autor in einem frueheren Artikel in der Tageszeitung La 
Jornada betont. Der aeltere, sehr besonnene Beobachter resuemiert die 
letzten Aktionen der Regierung gegen unabhaengige Gewerkschaften, 
indigene Autonomiebewegungen und den Widerstand gegen Grossprojekte 
und schliesst mit den warnenden Worten: "Die Kriminalisierung des 
sozialen Protestes und der staendige Gebrauch der staatlichen oder 
parastaatlichen Gewalt gegen die Opposition setzt viele Bewegungen in 
eine Strasse ohne Ausweg, sie stehen mit dem Ruecken zur Wand. Dass 
niemand sich ueberrascht gibt, wenn die Geduld zur Neige geht." Dass 
die Strategien des Widerstands nicht gewalttaetig werden muessen, 
sondern andere Spielraeume der Opposition moeglichst offenbleiben, 
wird die Herkulesaufgabe der mexikanischen Bewegungen und der 
internationalen Solidaritaet sein.
(Philipp Gerber, amerika21.de/pooal)
Quelle: 
http://www.npla.de/de/poonal/2989-der-mexikanische-drogenkrieg-und-die-linke
Fussnoten:
* Luis Hernandez Navarro: A war on drugs? No, this is a war on the 
Mexican people, Guardian, 12.08.2010
** Vgl: Philipp Gerber: Der verlogene Krieg, WoZ vom 11.08.2010.
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