**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. September 2010; 21:26
**********************************************************

Recht/Moderne Zeiten:

> Im Kampf fuer die Privatsphaere

Was man erleben kann, wenn man nicht beim Betreten seiner Behausung
gefilmt werden moechte, schildert *Thomas Zehetbauer*.


Im Februar 2008 habe ich mich zum Kauf einer Eigentumswohnung
entschlossen. Einer der Gruende dafuer war, dass ich glaubte, so
besser vor den Begehrlichkeiten eines Vermieters geschuetzt zu sein.
Ich konnte ja nicht wissen, dass ich an Ueberwachungs-Fanatiker
gerate, die anscheinend vor nichts zurueckschrecken, um unter dem
Deckmaentelchen der Sicherheit ihren Willen durchzusetzen.

Als gewerbetreibendes Unternehmen ist eine Hausverwaltung per Gesetz
verpflichtet, die fuer ihren Fachbereich und ihr Handeln massgeblichen
Gesetze und Vorschriften zu kennen. Trotzdem laesst die Hausverwaltung
im Maerz 2009 einfach Videokameras in den Hauseingaengen montieren.
Ohne den gesetzlich dafuer erforderlichen Auftrag der Eigentuemer und
ohne die ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung der
Datenschutzkommission.

Erst als Kinder das schwarze Brett anzuenden und von der
Hausverwaltung per Steckbrief gesucht werden, erfahre ich zufaellig,
dass es sich um aufzeichnende Kameras handelt und ich bereits seit
einiger Zeit taeglich beim Betreten und Verlassen des Hauses
ueberwacht werde.

Zweifelhaftes Urteil: Videoueberwachung ist keine Besitzstoerung

Eines der wesentlichsten Rechte, die mit dem Besitz (auch Miete ist
Besitz) einer Wohnung einhergehen, ist das von der europaeischen
Menschenrechtskonvention geschuetzte Recht auf die Achtung der
Privatsphaere dieser Wohnung. Nachdem die Videoueberwachung eine
massive Beeintraechtigung dieser Privatsphaere ist und die
Hausverwaltung fuer die Installation der Kameras inklusive Verkabelung
und Aufzeichnungsgeraet auch widerrechtlich Gemeinschaftseigentum in
Anspruch genommen hat, empfiehlt mir mein Anwalt mit einer
Besitzstoerungsklage gegen die Ueberwachung vorzugehen.

Am 16. Juni laedt die zustaendige Richterin endlich zu einer
Vorverhandlung und verkuendet auch gleich das Urteil: Die
Streitverkuendigung an die Datenschutzkommission wurde nicht
zugestellt und die Klage wird abgewiesen. Die Richterin erzaehlt,
einmal Geld im Bankomat vergessen zu haben, aber dank der
Videoueberwachung in der Filiale wurde es nicht gestohlen. Die
Hausverwaltung behauptet, dass die Anlage von der
Datenschutzkommission genehmigt wurde und legt eine Liste
nachtraeglich gesammelter Unterschriften vor.

Bemuehte Datenschutzkommission

Nach der Verhandlung uebermittle ich der Datenschutzkommission eine
Kopie der Klage, die mir daraufhin bestaetigt, dass die Anlage nicht
genehmigt war und nicht haette in Betrieb genommen werden duerfen. Die
Datenschutzkommission teilt mit, dass ein Ombudsverfahren nach §30 DSG
eingeleitet wurde. Am 9. Juli werden die Kameras endlich entfernt.

"Seitens der Hausverwaltung wurde aber versichert, dass eine erneute
Inbetriebnahme der Anlage nur in Frage kommt, wenn das Meldeverfahren
positiv (d.h. mit Registrierung) abgeschlossen wurde und ein
Einvernehmen mit allen Miteigentuemern erzielt wurde."
(Abschlussbericht der Datenschutzkommission)

Mobbing einer Minderheit

Bei der darauffolgenden Hausversammlung erlebe ich dann, wie dieses
Einvernehmen erzielt werden soll: Mir vorgeworfen, ich waere gegen die
Sicherheit der Bewohner, was ich zu verbergen haette und ich koenne
mich ja auch nicht wehren, beim Einkaufen und in der U-Bahn ueberwacht
zu werden. Ein Miteigentuemer verlangt sogar, sich nicht dem Terror
eines Einzelnen zu beugen und mich mit Klagen einzudecken. Die
Hausverwaltung laesst mit dem Protokoll zur Hausversammlung ueber die
neuerliche Installation der Kameras abstimmen.

Am 3. September gibt die Hausverwaltung das Ergebnis bekannt: 7792 von
11598 Anteilen haben sich fuer die Installation der Kameras
ausgesprochen. Nach Abzug der 4671 Anteile des Ladenlokals, das von
den Kameras gar nicht nicht betroffen ist, sind also nur 45% der
Wohnungseigentuemer fuer eine Installation der Kameras.

Erfolg bei Gericht

Am 15. Maerz 2010 hebt das Bezirksgericht Favoriten den Beschluss
ueber die Installation von Kameras auf. Der Richter fuehrt aus, dass
der Beschluss ohne weitere rechtliche Pruefung schon deshalb
aufzuheben ist, weil fuer Massnahmen, die in die Rechtes eines oder
mehrerer Eigentuemer eingreifen, in unserem Wohnungseigentumsvertrag
ein Einstimmigkeitserfordernis besteht.

"Auftraegen, die in die Rechte eines oder mehrerer Miteigentuemer
eingreifen, oder eine Aenderung der zuletzt gehandhabten Uebung
bewirken, hat der Verwalter nur nachzukommen, wenn ein einstimmiger
Beschluss der Miteigentuemer oder die rechtskraeftige Entscheidung
einer Behoerde darueber vorliegt."
(Wohnungseigentumsvertrag, Punkt IV, Absatz 5)

"Im Uebrigen ist festzuhalten, dass erst das 3.
Wohnrechtsaenderungsgesetz vom bis dahin normierten
Einstimmigkeitserfordernis in Angelegenheiten der einstweiligen
Verwaltung abgegangen ist (vgl. § 14 Abs 3 WEG idF vor dem 3. WAeG).
Die vorliegende Vertragsbestimmung stellt damit einen Rechtszustand
her, der der frueheren Rechtslage weitgehend entspricht."
(Urteilsbegruendung des BG Favoriten)

Die Anwalts- und Gerichtskosten gehen zu Lasten der Antragsgegner,
werden aber von der Hausverwaltung uebernommen. Wohl um zu zeigen,
dass ich mich mit einem finanziell uebermaechtigen Gegner anlege.

Ueberwachung um jeden Preis

Bei der naechsten Hausversammlung behauptet die Hausverwaltung, dass
der Richter gesagt haette, unsere Anlage waere mit dieser Bestimmung
unverwaltbar und laesst darueber Abstimmen, diese aus dem
Wohnungseigentumsvertrag zu streichen. Wahr ist, dass die Grundrechte
und Privatsphaere der Eigentuemer durch diese Bestimmung im
Wohnungseigentumsvertrag geschuetzt werden, was der Richter in der
Urteilsbegruendung auch klar ausgefuehrt hat.

Da offensichtlich ist, dass ein Zustand der Unverwaltbarkeit von den
Vertragsparteien nicht gewollt sein kann, ist die Bestimmung einer
teleologichen Reduktion zu unterziehen. Das heisst, ihr ist eine
sinnvolle, vom Parteiwillen getragene Bedeutung beizumessen, die mit
ihrem Wortlaut in Einklang zu bringen ist. Der Antragsteller stuetzt
sein Begehren auf seine Persoenlichkeitsrechte, demnach auf den Kern
der jedem Menschen zustehenden, hoechstpersoenlichen Rechte. Naehme
man diese Rechte aus der Anwendung der Vertragsbestimmung aus, hiesse
das, ihr gar keinen Anwendungsbereich zu lassen, was mit dem
Parteiwillen nicht in Einklang zu bringen waere.

Wenn die Hausverwaltung der Meinung ist, die in der Europaeischen
Menschenrechtskonvention, dem Staatsgrundgesetz, dem Datenschutzgesetz
und dem Allgemeinen Buergerlichen Gesetzbuch verankerten Grundrechte
wuerden einer ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft im Wege stehen,
dann stellt sie sich damit selbst ein Armutszeugnis aus.

"Der Eigentuemer einer Liegenschaft hat ein Recht, dass die auf seiner
Liegenschaft ein- und ausgehenden Personen (Familienangehoerige,
Mieter, Gaeste, Angestellte) nicht systematisch beobachtet werden."
(OGH Urteil 8 Ob 108/05y)

"Musste sich der Klaeger immer kontrolliert fuehlen, wenn er sein Haus
betritt oder verlaesst oder sich in seinem Garten aufhaelt, so
bewirkten die Massnahmen, selbst wenn das Geraet nur eine Attrappe
einer Videokamera gewesen sein sollte, eine schwerwiegende
Beeintraechtigung der Privatsphaere (Geheimsphaere) des Klaegers."
(OGH Urteil 6 Ob 6/06k)

Ich versuche die Miteigentuemer mit einem Aushang zu warnen, dass in
unserem Haus die Zustimmung von 9.75% der Wohnungseigentuemer und dem
Ladenlokal fuer einen Mehrheitsbeschluss ausreichend ist und es das
naechste Mal vielleicht um einen Beschluss geht, mit dem sie selbst
nicht einverstanden sind. Zudem informiere ich, dass die
Videoueberwachung wahrscheinlich auch ohne diese Bestimmung im
Wohnungseigentumsvertrag nicht zulaessig ist. Leider wird dieser
Aushang mehrfach entfernt.

Wiederholungstaeter

Mit dem Protokoll zur Hausversammlung teilt die Hausverwaltung mit,
dass in den Eingangsbereichen Kamera-Attrappen installiert werden.
Wieder ohne die Eigentuemer abstimmen zu lassen und ohne mir die
Moeglichkeit zu geben, mich in einen ordentlichen Verfahren gegen
einen solchen Beschluss zu wehren. Obwohl ich die Hausverwaltung am 8.
Juni noch auffordere, die Installation auch von Kameraattrappen ohne
ordentlichen Beschluss der Eigentuemer zu unterlassen, laesst diese
zehn Tage spaeter augenscheinlich genau dieselben echten Kameras
wieder montieren.

Auf meine Frage nach einem Beleg oder sonstigen Beweis, dass es sich
um Attrappen handelt, werde ich zur Sprechstunde am 21. Juni
eingeladen. Zunaechst behauptet die Hausverwaltung, dass die Kameras
nicht verkabelt waeren. Ich frage um Erlaubnis, die Abdeckung eines
Kabelkanal zu oeffnen und finde darin die volle Verkabelung (Strom +
Koaxial). In dem fuer das Aufzeichnungsgeraet vorgesehenen Blechkasten
befindet sich zwar kein Aufzeichnungsgeraet, aber alle Anschluesse
dafuer.

Spaeter erhalte ich noch eine Kopie der Rechnung: "Bereitgestelltes
Material (Videokameras-Attrappen) montiert". Es duerfte selbst einem
Laien in wenigen Minuten moeglich sein, das vermutlich ebenfalls
aufbewahrte Aufzeichnungsgeraet anzuschliessen und aus den "Attrappen"
wieder scharfe Kameras zu machen.

Next Step: Verfassungsaenderung?

Wie die Hausverwaltung am 21. Juni mitteilt, haben 72% der Eigentuemer
der Aenderung des Wohnungseigentumsvertrages zugestimmt. Bleibt zu
hoffen, dass die Hausverwaltung nicht einfach davon ausgeht, dass der
gerichtlich aufgehobene Beschluss damit wieder in Kraft waere und die
"Attrappen" scharf macht.

Denn auch nach Wegfall dieser Bestimmung im Eigentumsvertrag ist die
Ueberwachung der Hauseingaenge und damit des Zugangs zur Wohnung ein
massiver Eingriff in die vom Gesetz besonders geschuetzen
Persoenlichkeits- und Grundrechte. Eingriffe in diese Rechte sind nur
zulaessig, wenn sie fuer die Erreichung eines legitimen Zweck
geeignet, erforderlich und angemessen sind. Zahlreiche
wissenschaftliche Studien ([1], [2]) belegen, dass Videoueberwachung
kein geeignetes Mittel zur praeventiven Bekaempfung von Straftaten
ist. Ein schwerer Grundrechtseingriff durch Videoueberwachung ist also
keinesfalls zu rechtfertigen.

Gesundes Volksempfinden

Es ist fuer mich erschreckend, mit welchen Argumenten und Methoden die
Ueberwachungs-Fanatiker unsere Rechtsordnung in diesem Haus auf den
Kopf stellen.

Erst werden rechtswidrig einfach Kameras installiert und die
Eigentuemer und Bewohner vor vollendete Tatsachen gestellt. Vermutlich
in der Hoffnung, dass sich niemand so sehr gestoert fuehlt, dass er
deswegen den Aufwand und das Risiko in Kauf nimmt, sich gegen die
rechtswidrige Ueberwachung zu wehren.

Nachdem ich mich trotzdem wehre, wird mir vorgeworfen, ich haette
gewollt, dass das Haus abbrennt, waere gegen die Sicherheit der
Bewohner, haette etwas zu verbergen und wuerde querulieren. Auch mit
persoenlichen Angriffen wird nicht gespart: ich waere nicht ganz
richtig im Kopf, soll meine Aengste (vor den Kameras) von einem
Psychiater behandeln lassen, eine Miteigentuemerin meint sogar sie
haette Angst vor mir.

Obwohl die Hausverwaltung mit der Installation der Kameras gegen
Gesetze und Vertraege verstossen und die Persoenlichkeitsrechte der
Bewohner verletzt hat, werde ich von einigen Miteigentuemern geradezu
wie ein Verbrecher behandelt, weil ich mich gegen die rechtswidrige
Ueberwachung gewehrt habe. ###

*

Quelle: http://www.hostmaster.org/video/index.html

Anmerkung: Am 10. September wurde Thomas Zehetbauers Kampf gegen die
Videoueberwachung zum Thema einer Sendung von "Konkret: das
Servicemagazin" im ORF-Fernsehen. Das geschah aber in einer Form, die
der Autor als hoechst einseitig ansieht. Das ist nur zu verstaendlich,
heisst es doch im Teaser der Sendung: "Vor kurzem wurden in 'Konkret'
die neuesten Sicherheitssysteme vorgestellt. Diese schrecken
Einbrecher definitiv ab. Doch was tun, wenn sich 2/3 der Bewohner
einer Anlage in Wien fuer die Anschaffung von zwei Videokameras
aussprechen, jedoch ein einziger Mitbewohner diese verhindert."
Zehetbauer, der namentlich nicht genannt wird und in der Sendung nicht
einmal zu Wort kommt, wird darin als unsozialer Stoerenfried
dargestellt. Auch deswegen erfolgt hier der Abdruck seiner Sicht der
Dinge.
Link zur ORF-Sendung:
http://tvthek.orf.at/programs/1336-Konkret/episodes/1603995-Konkret--
Das-Servicemagazin/1606395-Streit-um-Videoueberwachung



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin