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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. September 2010; 21:28
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Polizei/Recht:
> Wo gehts hier zum Salzamt?
Eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof soll erwirken, dass
Polizeiuebergriffe wieder beschwerdefaehig werden sollen.
Nachfolgender Text der Autonomen Rechtshilfe Linz ist fuer juristisch
nicht Vorgeschaedigte leider nur schwer verstaendlich. Allerdings geht
es an Hand eines konkreten Beispiels (den Geschehnissen auf der
1.Mai-Demo 2009 in Linz) um einen handfestes Problem: Mit der
Strafprozessreform 2007 wurde es dank Kompetenzverschleierung fast
unmoeglich, eine rechtswirksame Beschwerde gegen Polizeimassnahmen
einzubringen -- ein Missstand, der geltendem Verfassungsrecht
insbesondere der EMRK widerspricht und weitreichende Konsequenzen fuer
die Kontrolle von Polizeibehoerden hat. Daher erschien uns der
Nachdruck sinnvoll.
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Zwei der Betroffenen der polizeilichen Ueberreaktion am 1. Mai 2009 in
Linz hatten beim UVS Massnahmenbeschwerden eingebracht, da sie sich in
ihren subjektiven Rechten verletzt fuehlten. Dabei ging es um die
brutale Behandlung der Festgenommenen. Kritisiert wurden darin unter
anderem Art und Umstand der Festnahme, die Verletzung durch verbotenen
Waffeneinsatz und die Fesselung waehrend der Anhaltung. Nicht das
erste Mal erklaerte sich der eigens dafuer eingerichtete Unabhaengige
Verwaltungssenat (UVS) bei einer solche Beschwerde fuer nicht
zustaendig und wies, mit dem Verweis auf die seit Anfang 2008 geltende
neue Strafprozessordnung, die Beschwerde ab.
Bescheidbeschwerde
Die beiden Betroffenen richteten daraufhin eine Bescheidbeschwerde an
den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich
gewaehrleisteter Rechte und Anwendung einer rechtswidrigen Norm.
Letzteres soll heissen, dass die herangezogene bzw. geltende
Rechtslage die Betroffenen in ihrem Recht die Amtshandlung pruefen zu
lassen, rechtswidrig einschraenkt. Die konkreten Beschwerdepunkte wie
Einkesselung, die Verhaftung an sich, Stockschlaege, an den Haaren
ziehen, am Boden schleifen etc. lassen wir nun einmal beiseite, jetzt
geht es um die prinzipielle Frage, ob solche Beschwerden beim UVS
ueberhaupt berechtigt sind.
In der Beschwerde an den VfGH wird davon ausgegangen, dass das Recht
auf ein Verfahren verletzt wurde, da der UVS in gesetzwidriger Weise
seine Zustaendigkeit ablehnt und zu unrecht eine Sachentscheidung
verweigert. Der Rechtsinterpretation des UVS wird entgegengestellt,
dass die gesamte Amtshandlung ohne einen staatsanwaltschaftlichen
Auftrag erfolgt ist und die Polizei im Rahmen ihrer
sicherheitspolizeilichen Kompetenz taetig wurde. Dieses Verstaendnis
wird auch durch die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen bestaerkt,
durch die alle Beschuldigten vom Vorwurf des Widerstands gegen die
Staatsgewalt freigesprochen wurden. Wenn nun die Betroffenen
unschuldig sind, gibt es kein strafrechtliches Delikt, wodurch die
Anwendung der StPO bei der Amtshandlung auch im Nachhinein durch das
Gericht delegitimiert wurde. Daher ist die gesamte Amtshandlung der
Verwaltungsbehoerde zuzuordnen und eine Massnahmenbeschwerde
gerechtfertigt.
Schlussendlich wird in dem Schreiben angeregt, ein
Gesetzespruefungsverfahren einzuleiten und im § 106 Abs 1 StPO die
Wortfolge "oder Kriminalpolizei" als verfassungswidrig aufzuheben(*).
Damit wuerde wieder Klarheit und Rechtssicherheit gegeben sein. Doch
jetzt erst einmal der Reihe nach.
StPO-Novelle
Die umfangreiche StPO-Novelle 2007 legte fest, dass im
Ermittlungsverfahren jeder Person, die behaupte, dadurch in einem
subjektiven Recht verletzt worden zu sein oder, dass eine Ermittlungs-
oder Zwangsmassnahme seitens der Staatsanwaltschaft oder der
Kriminalpolizei unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnet
oder durchgefuehrt worden sei, die Moeglichkeit eines Einspruches an
das zustaendige Gericht zustehe. Ein derartiger Einspruch sei gemaess
§ 106 Abs. 3 StPO bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Die
bisherigen Bestimmungen zu Beschwerden im Verwaltungsrecht scheinen
damit ausser Kraft gesetzt, damit jedoch auch ein rechtsstaatliches
Prinzip aufgehoben, dass durch die Europaeische
Menschenrechtskonvention verlangt wird. Die Betroffenen wurden der
Moeglichkeit beraubt beim Unabhaengigen Verwaltungssenat eine
Massnahmenbeschwerde einzureichen. Der UVS kann heute, so scheint es,
nur mehr seine funktionelle Unzustaendigkeit festzustellen.
Motiv der Aenderung war wohl ein einheitlicher strafprozessualer
Rechtsschutz. Selbst das BMI hatte 2007 in einer Stellungnahme zum
Gesetzesentwurf dargelegt, dass der neue StPO Paragraph im Widerspruch
zu geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen steht und somit die
Einheitlichkeit weiterhin nicht gegeben sein wird.
Zustaendigkeitsabgrenzung
Die in Rede stehenden Regelungen sind insoweit vorentscheidend, als
sie das Verhalten der Kriminalpolizei betreffen, welches nicht der
Staatsanwaltschaft zuzurechnen ist. Also fuer die Arbeit der Polizei
im Auftrag der StA ist immer das Gericht als Beschwerdestelle
zustaendig. Falls die Polizei aus eigenen Antrieb agiert, besteht nun
eine zweischneidige Zustaendigkeit. Nach der alten Rechtslage war die
Zustaendigkeit der Unabhaengigen Verwaltungssenate einerseits und der
Gerichte andererseits bei der Ueberpruefung von polizeilichen
Massnahmen derart abgegrenzt, dass ohne richterlichen Befehl erfolgte
Akte bei den unabhaengigen Verwaltungssenaten in den Laendern
bekaempft werden konnten. Die durch einen richterlichen Befehl
gedeckten Polizeiakte unterlagen hingegen der Ueberpruefung durch die
Gerichte. Nach ueberwiegender Auffassung ist nun, da die
kriminalpolizeilichen Aufgaben auch in der neuen StPO erwaehnt sind,
die Zustaendigkeit der unabhaengigen Verwaltungssenate dahingehend
eingeschraenkt worden, dass nunmehr gegen Akte der Staatsanwaltschaft
oder der Kriminalpolizei auf der Grundlage der Strafprozessordnung der
Einspruch gemaess § 106 StPO an das Gericht und nicht mehr die
Massnahmenbeschwerde an den unabhaengigen Verwaltungssenat erhoben
werden kann.
Unklarheit bei der Amtshandlung
Die Polizei uebt eine Doppelfunktion aus. Einerseits als
Sicherheitspolizei (zum Schutz von Recht und Ordnung) und andererseits
als Kriminalpolizei (Nachforschung aufgrund von strafbaren
Handlungen). Eine Amtshandlung (z.B. Identitaetsfeststellung) kann in
der sicherheitspolizeilichen oder in der kriminalpolizeilichen Aufgabe
der Exekutive begruendet sein - oder in beiden. Mit fuer ein
gerichtliches Strafverfahren erforderlicher Sicherheit ist individuell
fuer die Betroffenen nicht festzustellen, auf Grund welcher
Gesetzesbestimmung z.b. eine Festnahme ausgesprochen wird. Es ist fuer
die Betroffenen nicht ersichtlich ob die Polizei als
Sicherheitsbehoerde nach dem SPG (Sicherheitspolizeigesetz) oder als
Ermittlungsbehoerde nach der StPO handelt. Ganz kompliziert wird es
bei "doppelfunktionalen" Ermittlungen. Auf welche Rechtsgrundlage sich
einschreitende Organe stuetzen, ist fuer Betroffene in der Regel nicht
erkennbar. Diese Problematik besteht sowohl fuer die
Rechtsunterworfenen (wir) als auch fuer die Organe des oeffentlichen
Sicherheitsdienstes. Die sind auch selten JuristInnen.
Nun muessen Betroffene eine funktionelle Zuordnung der Amtshandlung
vornehmen, um den nunmehr zulaessigen Rechtsbehelf (wo reiche ich die
Beschwerde ein) eruieren zu koennen. Es ist daher in Frage zu stellen
ob dies dem Grundsatz der ausreichenden Klarheit, Bestimmtheit und
Kompetenzabgrenzung entspricht. Der Gesetzgeber muss jedoch die
Behoerdenzustaendigkeit nach objektiven Kriterien, exakt, klar und
eindeutig festlegen.
Antrag des UVS Wien beim Verfassungsgerichtshof
Dieser Antrag brachte die ganze Sache ins Laufen und ist durch eine
Beschwerde begruendet, in der ein Lehrer aus Wien Opfer einer
Verwechslung mit einer des Suchtmittelhandels verdaechtigen Person
wurde. Der UVS Wien geht davon aus, dass die Strafprozessreform die
Zustaendigkeit der unabhaengigen Verwaltungssenate, ueber Beschwerden
gegen kriminalpolizeiliche Massnahmen, verdraengt. Bedenken gegen die
Verfassungsmaessigkeit besteht darin, dass unbeteiligte Personen so
gut wie nicht ergruenden koennen, wie eine Amtshandlung zu
interpretieren ist, da diese im Verfahren der eigentlich Betroffenen
der Amtshandlung keine Parteienstellung geniessen und somit keinen
Zugang zu den Akten haben, durch die ergruendbar waere, auf welcher
Grundlage die Amtshandlung vollzogen wurde. Diese Situation scheint
dem antragstellenden UVS nicht im Einklang mit der oesterreichischen
Bundesverfassung, aber auch dem Rechtsstaatsprinzip, zu stehen. Der
Antrag beinhaltet weiter die Feststellung, dass die Auslegung dieser
Gesetzesstellen nicht unzweifelhaft moeglich ist. Wie wir es auch
drehen und wenden, der Status quo widerspricht dem Recht auf eine
wirksame Beschwerde.
Kritik des Verwaltungsgerichtshofs
Nachdem eine (andere) Massnahmenbeschwerde beim UVS OOe wegen
Festnahme und behaupteter Misshandlung zurueckgewiesen wurde stellte
der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls einen Antrag an den
Verfassungsgerichtshof den § 107 Abs. 1 ersten und zweiten Satz und im
§ 106 Abs. 1 StPO im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei" der
Strafprozessordnung als verfassungswidrig aufzuheben. In diesem Antrag
wird auch klargelegt, dass gemaess der EMRK (Europaeischen
Menschenrechtskonvention) jeder und jedem das Recht auf eine wirksame
Beschwerde bei einer nationalen Instanz gegen eine behauptete
Verletzung von Rechten und Freiheiten zusteht. Dies scheint durch die
neue Unklarheit nicht gegeben zu sein. In einem weiteren Antrag an den
VfGH erlaeutert der VwGH, dass sich daraus auch verfassungsrechtliche
Bedenken im Lichte des Rechts auf den gesetzlichen Richter ergeben
koennen. Der VwGH merkte darueber hinaus an, dass nun eine schwierige
Auslegungsfrage betreffend die Reichweite der StPO vorliegt. Weiters
wird angesprochen, dass ein Handeln eines Verwaltungsorgans ohne
gerichtlichen Auftrag zwar der Verwaltung zuzurechnen ist, nun jedoch
keine Moeglichkeit der Beschwerde beim Verwaltungssenat mehr besteht.
Die neue Regelung widerspricht dem Grundsatz der Trennung von Justiz
und Verwaltung.
Die Beschwerden, Antraege und Umformulierungsvorschlaege an den
Verfassungsgerichtshof werden stetig mehr und zumindest auf der Ebene
der Justiz scheint ein Diskurs ueber die StPO losgetreten worden zu
sein. Auf der Ebene des Politischen werden wir nicht das
Eingestaendnis eines Fehlers zu erwarten haben. Zumindest die Polizei
scheint mit der jetzigen Regelung sehr gluecklich zu sein, um sich
einer wirksamen Kontrolle entziehen zu koennen und wird sich die neue
Freiheit nicht nehmen lassen wollen. Es wird wohl der
Verfassungsgerichtshof die Formulierung als verfassungswidrig
erklaeren muessen um hier eine Veraenderung herbei zu fuehren, das
jedoch kann dauern...
(bearb.)
Quelle: http://at.indymedia.org/node/18935
*) Strafprozessordnung § 106, Abs.1 lautet: "Einspruch an das
Gericht
steht im Ermittlungsverfahren jeder Person zu, die behauptet, durch
Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht
verletzt zu sein, weil 1. ihr die Ausuebung eines Rechtes nach diesem
Gesetz verweigert oder 2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmassnahme unter
Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder
durchgefuehrt wurde. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt
nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des
Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von
diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.
§ 107. Abs.1 lautet: "Nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens ist
ein Einspruch nicht mehr zulaessig. Zuvor erhobene Einsprueche gemaess
§ 106 Abs. 1 Z 1 sind als gegenstandslos zu betrachten. Im Falle, dass
Anklage eingebracht wurde, hat ueber den Einspruch jenes Gericht zu
entscheiden, das im Ermittlungsverfahren zustaendig gewesen waere.
Unzulaessige Einsprueche und solche, denen die Staatsanwaltschaft
entsprochen hat, sind zurueckzuweisen. Im Uebrigen hat das Gericht in
der Sache zu entscheiden."
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