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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Juni 2010; 01:04
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Wien/Wahlen/Gruene/Glosse:
> Willkommen in der Wirklichkeit
Jetzt hat es also auch die Wiener Gruenen erwischt: Sie sind eine ganz 
normale autoritaere Partei geworden. Lange Zeit war die Wiener Partie 
ein wohltuendes Korrektiv im bourgeoisen Lodengruen der 
Bundespartei -- nicht zuletzt bei der Verhinderung von Schwarzgruen 
nach der Bundeswahl 2002.
Doch damit ist jetzt Schluss. Zum einen war ja schon in den letzten 
Jahren von Wiener Gruenspitzen immer wieder zu hoeren, dass man beim 
naechsten Mal da nicht mehr ganz so streng sein werde, zum anderen 
tauchen da jetzt Traeume von Rot-Gruen auf Wiener Ebene auf -- wohl 
die Folge der beruehmten "rotgruenen Projekte" der letzten Jahre. Da 
reden Leute, die ich bislang eigentlich fuer sehr vernuenftig und 
erfahren gehalten habe, von einer Koalition, die eigentlich wissen 
muessten, dass sie es dann sehr billig geben muessten, naemlich 
billiger als die OeVP, und die ist in Wien bekanntermassen und im 
Gegensatz zur Bundesebene aeusserst billig zu haben.
Rot-Gruen wuerde bedeuten, dass die Wiener Gruenen, die vor allem in 
Budget-Fragen immer wieder die seltsame Wirtschafts- und 
Subventionspolitik der Rathausmehrheit (Skylink, Cross-Border-Leasing, 
Plakatiermonopol) deutlich kritisiert haben, all den Mist, den die 
SPOe in Zukunft verzapfen wird, mittragen werden muessen. Vielleicht 
koennte damit das Amerlinghaus gerettet werden, was schon viel waere, 
aber ansonsten ginge die Freunderlwirtschaft und 
Privatisierungspolitik in Wien weiter ihren Gang, und die Gruenen 
muessten dazu nicht nur einfach die Pappen halten, sondern -- wie die 
oberoesterreichischen Gruenen -- die Schweinereien ihres grossen 
Koalitionspartners auch noch verteidigen.
Die Gruenen sind in der Krise -- nicht wirklich, aber sie glaubten 
halt irgendwie, dass ihre Baeume in den Himmel wachsen. Seit fast zwei 
Jahrzehnten traeumen sie davon, dass die Behauptungen der 
Meinungsforscher, die Partei haette ein Potential von 20% unter der 
Bundeswaehlerschaft, real in 20% der Stimmen umsetzbar waeren. 
Willkommen in der Wirklichkeit, liebe Gruene! Ihr seid jetzt auf einem 
Stimmen-Level, auf dem es zwar noch immer bergauf gehen kann mit 
Mandaten, aber auch schon bergab. Ihr seid nimmer jung und frech, 
sondern arriviert. Was ihr bei Buergerlichen gewinnen koennt, verliert 
ihr bei den Linken, von denen immer mehr lieber gar nicht oder die 
wahrscheinlich aussichtslose KPOe waehlen, als euren Opportunismus zu 
belohnen.
Aus der Opposition kann man mit aggressiven Kampagnen viel bewegen --  
die FPOe beweist das leider nur allzugut. Aber in der Opposition sitzt 
man halt auf harten Baenken und die Gruenen wollen jetzt endlich auch 
den Pluesch der Sitze von amtsfuehrenden Stadtraeten und 
Bezirksvorstehungen. Deswegen werden sie gierig. Erklaertes Ziel der 
Landesgruenenobfrau sind die Vorstehungen der Bezirke 4 bis 9 -- das 
"Wiener Kipferl" -- und der zweite Platz bei der Landtagswahl.
Diese Gier ist aber kein guter Ratgeber, denn sie fuehrt zu 
SPOe-Methoden. Da wird ein van der Bellen ex machina praesentiert, der 
es natuerlich nicht notwendig hatte, sich irgendeiner Diskussion oder 
gar Wahl bei der Landesversammlung zu stellen. Es reicht das Plazet 
der Wiener Chefin.
Da wird in der Josefstadt eine buergerliche Kabale, die offengelegt 
haette werden muessen und mittels reinigendem Gewitter beseitigt, 
durch Intervention der Landespartei fortgefuehrt -- die 
Wahlberechtigten kannten denjenigen, den sie da nach dem Willen der 
Landespartei zum Spitzenkandidaten machten, vor der Wahlsitzung oft 
genug nicht einmal beim Namen.
Und in Mariahilf gab es ueberhaupt einen echten Putsch von oben -- und 
das noch dazu unter Mithilfe auch hier von Leuten, denen ich das 
wirklich nicht zugetraut haette; Leute, die ich bis vor kurzem zu 
jenem Kern der alten Linken in der Partei gezaehlt hatte, die nicht 
korrumpierbar waeren. Werch ein Illtum!
Wobei das Fiese daran ist, dass die Aktionen in den Bezirken mit den 
Mitteln der Basisdemokratie passierten. Die "offene Partei" 
organisierte Neogruene und solche aus anderen Bezirken und bastelte 
sich so eine willfaehrige Mehrheit -- das Wort von der 
"Autobusdemokratie" ist da wohl angebracht. Die subsidiaere 
Selbstverantwortung der Bezirksgruppen, auf die diese lange Jahre so 
stolz waren, wurde damit voellig zerstoert. Auf lange Sicht ist gerade 
das die Katastrophe, weil so Ja-und-Amen-Parteimitglieder 
herangezuechtet werden -- was man da mit Menschen macht, die sich 
eigentlich fuer eine bessere Welt engagieren wollten, ist schlicht 
eine Schweinerei.
Jetzt stehen die Gruenen wieder als das da, als das sie so gar nicht 
gesehen werden wollen: Als zerstrittene Partei! Nur das es hier nicht 
mehr um einen produktiven Streit um inhaltliche Positionen geht, wo 
verschiedene Menschen auch verschiedene Waehlerschichten haetten 
ansprechen koennen, sondern einfach nur um Pfruende. Welch eine 
Fortschritt!
Die Wiener Gruenen werden nach dieser Vorstellung wohl die 
Josefstaedter Bezirksvorstehung verlieren -- denn die frueheren 
OeVP-Waehler, denen sie ihre relative Mehrheit verdankten, werden nach 
dieser Aktion wahrscheinlich wieder zu ihrer angestammten Partei 
zurueckgehen. In Mariahilf, wo die Chancen auf die Bezirksvorstehung 
vor dem Putsch einigermassen intakt waren, wird die Gruene Partei 
jetzt wohl abstinken und vielleicht sogar den 
Bezirksvorsteherstellvertreter verlieren. Und auch der 
van-der-Bellen-Effekt wird sich in Grenzen halten, denn die 
gewinnbaren buergerlichen Waehler werden kaum mehr sein als die damit 
endgueltig vertriebenen Linken.
Bravo, liebe Leute, vor lauter Effizienzdenken habt ihr eure eigenen 
Chancen vergeben.
*Bernhard Redl*
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