**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Juni 2010; 22:44
**********************************************************
Debatten/Fussball/Nationalismus:
> Seelendebatte
Serbien:Deutschland 1:0. Darf ich mich jetzt freuen? Nein, natuerlich
nicht. Nationalfussball darf einen Internationalisten ja gar nicht
interessieren. Und wenn man sich dann die jubelnden Serben mit ihren
Nationalflaggen und ihrem auch als Tschetnik-Gruss bekannten erhobenen
drei Fingern (ja, die "drei Bier") auf der dichtbevoelkerten
Ottakringerstrasse ansieht,... puh, das darf man doch nicht
sympathisch finden.
"Aber muss man das alles so ernst nehmen?" fragt Seele Nummer 1 in
meiner Brust. "Irgendwie schon" -- sagt Seele 2. Darauf Seele 1: "Was
will man sich bei einem Sieg einer Fussballnationalmannschaft anderes
erwarten als nationalistische Symbole?" "Eben deswegen, wegen diesem
Nationalismus darf man sich nicht freuen", kontert Seele 2.
Tja, aber da hoert man dann, dass die Deutschen nicht nur verloren
haben, sondern auch noch ihr Stuermerstar ausgeschlossen wurde und sie
als Kroenung sogar einen Elfer versemmelten. Und wer ist schuld? Der
Schiedsrichter natuerlich -- 3 Stunden nach Abpfiff hatte die
Facebookseite "Ich hasse Alberto Undiano (Schiedsrichter Deutschland -
Serbien)" 16.000 Mitglieder.
Das ist doch lustig! Seele 2 tobt: "Bin ich jetzt ein 'Deutschenhasser'?
Oder gar ein 'Antideutscher'? Das waere doch schon wieder sehr
nationalistisch." Seele 1: "Nein, hier gehts um David gegen Goliath
und ich hab ja auch zu Nordkorea gehalten, als deren Mannschaft knapp
davor war, den Ausgleich gegen Brasilien zu schiessen. Und bei der
Niederlage Kameruns gegen Daenemark hab ich ebenfalls mitgelitten. Und
ich freu mich auch, dass Frankreich, England, Italien und Spanien so
ins Schwimmen kommen. Ich liebe Goetterdaemmerungen." Da mischt sich
Seele 3 ein: "Ist Fussball nicht oede und Zeitverschwendung? Noch dazu
vorm Fernseher? Hab ich nicht gesagt, ich geb mir das nimmer?"
Da platzt Seele 1 der Kragen: "Gusch! Wer keine Ahnung hat, soll nicht
reden!" Seele 3 ist beleidigt und zieht sich schmollend zurueck. "Und
ausserdem", so Seele 1, "ist das doch alles auch ein wunderbares
Ventil, wo sich nationalistische Emotion austoben kann, ohne Schaden
anzurichten". Seele 2: "Na, das geht aber schon sehr an der Realitaet
vorbei!" Seele 1 fuehlt sich daraufhin ertappt.
Ach, in Zeiten, wo es so wenig gibt, worueber man sich freuen kann,
muss man da immer so korrekt sein? Egal, Faktum ist: Ich freue mich.
Auch wenn ich wahrscheinlich nicht darf.
-br-
*
> Serbien musste diesmal nicht sterbien
Die buergerlichen Medien belaestigen uns taeglich mit der Fussball-WM,
ich habe sie erst ab dem Zeitpunkt registriert, als Deutschland gegen
Serbien gespielt, und dann verloren hat. Aus diesem Grunde belaestige
ich jetzt die Leserinnen und Leser der akin auch mit dieser Thematik.
Ich habe mich Hoelle gefreut zu erfahren, dass die deutsche Mannschaft
gegen Serbien verlieren musste. Nicht ganz so, wie ich mich gefreut
hatte, vom Tode des Joerg Haiders zu hoeren, aber doch habe ich die
Nachricht sehr genossen. Rein semantisch koennte frau jetzt zu ihrer
Rechenschaft sagen, ein Rumaene kennt eine Rumaenin, ein Englaender
eine Englaenderin, ein Algerier eine Algerierin, aber ein Deutscher
kennt keine weibliche Form von Deutscher, also ist die Niederlage eine
goennenswerte. So einfach ist es nicht. Wenn ich politisch dafuer
plaediere, Grenzen nicht akzeptieren zu wollen, dafuer eintrete, dass
jeder Mensch, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind unabhaengig von seiner
bzw. ihrer Nationalitaet gleich viel wert ist, unabhaengig von der
Nationalitaet den selben Respekt und dieselbe Anerkennung verdient,
kann ich mich nicht haemisch freuen, dass ein paar Maenner, die eine
Nationalflagge hinter sich hertragen, ein Flaggenmatch verlieren. Ich
freue mich aber.
Ich kenne auch viele nette Deutsche. Etwa die Leute aus der
Connection.eV., die hervorragende Deserteursabeit leisten, oder die
DFG-VK, die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen: verdachtshalber klingt das aehnlich wie: wer
unsere Deutschen sind, bestimmen wir. Fussball ist empirisch belegbar
dann ein Symbol fuer Nationalismus, wenn Staaten gegeneinander
antreten, mit Nationalhymnen, Fahnen und allem an Symbolen, die dazu
dienen, so etwas wie einen Nationalstolz zu generieren, ein
Ersatzschlachtfeld, welches durchaus dazu angetan ist, ein
tatsaechliches vorzubereiten. Kleine Kinder, die heute in
Kinderfussballteams trainieren, koennen binnen kuerzester Zeit die
Flaggen der Nationen erkennen und benennen. Menschen empfinden sich
ploetzlich einer Nation zugehoerig, vor der ihnen ansonsten graut, vor
der sie einst geflohen sind, nicht alle Serben und Serbinnen sind mit
den nationalistischen Gruessen und Fahnen einverstanden, die sie
anlaesslich ihres Fussballsieges vergegenwaertigen mussten, ein
Gefuehl der Freude bleibt trotzdem. Ein Gefuehl der Freude bleibt auch
bei mir Oesterreicherin, generoes ueber den serbischen Nationalismus
hinwegblickend. Mit Antinationalismus hat dieses Gefuehl der Freude
nichts zu tun. Grenzen auf, ja!!! Grenzen weg, ja!!! Aber die
Deutschen? Es kommt manchen FreundInnen schon das Kotzen, wenn sie die
penetrante Sprache eines Norddeutschen vernehmen, der danach fragt, ob
es denn bei uns in Salzburg nicht ein Beisl gaebe, wo man/frau das
"Einheimische" erleben koennte. Ich mag sie nicht, diese "Deutschen",
ich freu mich, dass sie gerade gegen Serbien verloren haben, und: es
widerspricht meiner zutiefst pazifistischen Grundhaltung, Menschen
aller Nationalitaeten und Generationen als gleichwertig gegenueber zu
treten.
Das ist ein ganz persoenliches Vorurteil, das ich somit
aufrechterhalte, ob ich das moechte, weiss ich nicht.
*rosalia krenn, arge wdv*
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin