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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Juni 2010; 22:55
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Debatten/Demokratisches:

> Marxismus und Basisdemokratie

Bei der "Revolutionaer Sozialistischen Organisation" (RSO) wird
derzeit eine Debatte ueber Organisation und Demokratie gefuehrt. Da
diese Debatte schon lange nicht mehr in der akin praesent gewesen ist,
aber doch immer wieder neu zu fuehren ist, haben wir folgenden Artikel
von *Stefan Horvath* abgekupfert:
*

In Teilen der Linken ist Basisdemokratie ein unhinterfragtes Konzept.
Dabei sind die Vorstellungen darueber hoechst unterschiedlich. Dieser
Artikel stellt den Versuch dar, sich serioes mit einigen
"basisdemokratischen" Ansaetzen auseinanderzusetzen und ist damit
zugleich ein Beitrag zur Debatte ueber politische Organisierung
innerhalb der Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Um Theoretisches
zu veranschaulichen, greifen wir dabei auf Beispiele aus der
oesterreichischen "Uni brennt"-Bewegung vom Herbst 2009 zurueck, die
der Autor selbst miterlebt hat.

Definier mal... Basisdemokratie!

Eine allgemeine Theorie der Basisdemokratie existiert nicht. Innerhalb
der Linken und der Gesellschaft ueberhaupt werden darunter sehr
unterschiedliche politische Modelle verstanden und Definitionen
bleiben meistens vage.

In einer Videoreportage ueber die "Basisdemokratie" der BesetzerInnen
des Wiener Audimax antwortet eine Aktivistin auf die Frage, wer denn
(in einer Basisdemokratie, Anm. d. Red.) bestimmen wuerde, was
passiert, mit ziemlich widerspruechlichen Worten: "Niemand... oder alle,
also eigentlich alle. Jeder kann selbst bestimmen".

Basisdemokratie - eine politische Wunderwaffe?

Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der Unklarheit des Begriffs
"Basisdemokratie" ist dieser in Teilen der Linken laengst zum
gefluegelten Wort avanciert und scheinbar politisches Allheilmittel
geworden. Durch seine Unbestimmtheit wirkt der Begriff sicherlich auch
identitaetsstiftend, schliesslich ermoeglicht er es, Personen und
Stroemungen mit inhaltlich sehr unterschiedlichen Auffassungen
scheinbar in einen organisatorischen Zusammenschluss zu vereinigen.

Es erscheint uns also sinnvoller, uns nicht allgemein, sondern mit
einer ganz bestimmten Vorstellung von Basisdemokratie
auseinandersetzen und deren Tauglichkeit sowohl fuer politische
Organisationen als auch fuer politische Bewegungen zu pruefen. Es soll
vor allem um jene Konzeption von Basisdemokratie gehen, die einen
dezentralen, organisatorischen Zusammenschluss vorsieht, in welchem
1.) alle Entscheidungen von allen gleichberechtigt (und wenn moeglich
im Konsens) getroffen werden und 2.) einzelne Gruppen autonom und
eigenverantwortlich entscheiden koennen. (Dass sich diese beiden
Punkte in der Praxis tendenziell widersprechen wird uns spaeter noch
beschaeftigen).

Demokratie ohne Basis

Das erste Problem des oben beschriebenen
Basisdemokratie-Verstaendnisses sehen wir im Problem der
Repraesentanz. Die zuvor erwaehnten Basisgruppen etwa sind stolz auf
ihr "offenes Plenum". JedeR kann dort hinkommen und voll mitbestimmen,
unabhaengig davon, ob er oder sie schon einmal da war oder beim
naechsten Mal wiederkommen wird. Es gibt also kein wirkliches System
der Mitgliedschaft. Solch eine Praxis kann jedoch dazu fuehren, dass
einzelne Personen mitreden, das grosse Wort fuehren und dadurch
Stimmungen beeinflussen koennen, getroffene Entscheidungen dann aber
nicht mit umsetzen muessen. Oft fuehrt das auch dazu, dass gemeinsam
beschlossene politische Arbeit, vor allem wenn sie anstrengend ist, an
Wenigen haengen bleibt.

Abhilfe wuerde ein Mitgliedschaftssystem bieten. Dieses ist bei
politischen Organisationen natuerlich leichter umsetzbar, als in
organisatorischen Ausdruecken politischer Bewegungen, wie etwa dem
Plenum einer besetzten Uni. Doch auch hier muessen in- bzw.
exkludierende Mechanismen gefunden werden, die Personen, welche der
jeweiligen Bewegung nicht sympathisierend gegenueberstehen, die aktive
Teilnahme an den Diskussionen und vor allem den Entscheidungsfindungen
zu verunmoeglichen. Alles andere wuerde bedeuten, dass solche (vor
allem groessere) Bewegungen leicht von reaktionaeren Kraeften
unterwandert und sabotiert werden koennten.

Unrealistisch? Ganz und gar nicht! So geschehen zum Beispiel an der
Universitaet Linz, im Herbst 2009. Dort wurde nach jedem Plenum
abgestimmt, ob der besetzte Hoersaal weiter gehalten werden soll. Als
Burschenschafter ankuendigten, sich in grosser Zahl ins Plenum zu
begeben um gegen eine Weiterfuehrung zu stimmen, wurde im besetzen
Wiener Audimax doch ernsthaft dazu aufgerufen, nach Linz zu kommen, um
eine Mehrheit fuer die Besetzung zusammen zu bekommen, anstatt die
rechtsextremen Burschis einfach rauszuwerfen.

Wird zugelassen, dass jede und jeder automatisch und sofort
mitbestimmen darf, so wird ein weiteres Charakteristikum zahlreicher
basisdemokratischer Gruppen praktisch ein Ding der Unmoeglichkeit,
naemlich das Konsensprinzip. Das bedeutet, dass Beschluesse nur
einstimmig gefaellt werden koennen. Sobald jemand dagegen ist, muss
nach einer anderen Loesung gesucht werden.

An einem anderen Beispiel werden die Gefahren, die sich aus einem
solchen Konzept der Basisdemokratie ergeben besonders augenscheinlich:
Fuer Diskussionen pro und contra Streik in einem Grossbetrieb waere
ein Konsensmodus politischer Selbstmord. Einige QuerulantInnen, oder
nennen wir sie einfach StreikbrecherInnen, koennten dadurch im
Extremfall den Kampfeswillen von hunderten ArbeiterInnen
unterminieren. Einleuchtend ist wohl auch, dass hier eine
Kompromissloesung ("nur ein bisschen Streik") unmoeglich waere.

Im Prinzip aber ist ein Konsensprinzip an sich undemokratisch, denn es
ermoeglicht einer Minderheit, ihren Willen einer Mehrheit
aufzuzwingen. Natuerlich steht dahinter oft die Intention, dass ein
ruecksichtsloses Uebergehen der Minderheit verhindert werden soll.
Zweifelsohne ein wichtiger Problembereich, allerdings handelt es sich
hier doch eher um die Frage, welche Minderheitenrechte ein
organisatorischer Zusammenschluss in seinen Regeln verankert hat und
wie in Diskussionen mit Minderheitspositionen umgegangen wird. Ein
Konsensprinzip aber dient in vielen Faellen weniger einer
minorisierten, zurueckgedraengten Position, sondern eher egoistischen
SelbstdarstellerInnen (in der Regel Maenner), die sich nicht in ein
Kollektiv einfuegen wollen und sich dabei furchtbar frei und
emanzipiert fuehlen.

Basis ohne Demokratie

Ein noch dringenderes Problem eines solchen
Basisdemokratie-Verstaendnisses ist bei groesseren Gruppen aber die
mangelnde Effizienz. Und auch dieses Problem konnte waehrend der
Wiener Audimax-Besetzung sehr deutlich ausgemacht werden. Mit
Totschlag-"Argumenten" verhinderten einige wenige IdeologInnen eine
echte politische Diskussion um die Wahl eines repraesentativen
"Streikkomitees". Als Folge musste jede Kleinigkeit im Plenum
entschieden werden. Neben langwierigen Berichten der unzaehligen
Arbeitsgruppen oder Terminankuendigungen wurden etliche, auch kleine
organisatorische oder technische Fragen im Plenum behandelt. Fuer die
wichtigen politischen Debatten, blieb dann natuerlich kaum mehr Zeit
ueber.

Der Zwiespalt kaempfender politischer Bewegungen ist, dass es
einerseits aufgrund der Dynamik der Auseinandersetzung haeufig schnell
gehen muss, dass es aber andererseits einer aktiven Teilnahme
moeglichst vieler AktivistInnen bedarf. Dem kann nur dadurch begegnet
werden, dass grundsaetzliche politische Fragen von allen Beteiligten
geklaert werden, dass aber deren konkrete Umsetzung von einem
gewaehlten Zusammenschluss koordiniert wird. So muss etwa die
Entscheidung, ob in einem Betrieb gestreikt wird oder ob ein Streik
wieder abgebrochen wird unbedingt von der Belegschaft selbst getroffen
werden. Welchen Medien wann ein Interview gegeben wird und aehnliche
Fragen hingegen koennen aber nicht jedes Mal von Allen diskutiert und
beschlossen werden.

Um wirklich demokratisch zu sein, muss eine gewaehlte Vertretung
einige wichtige Kriterien erfuellen. In der revolutionaeren
ArbeiterInnenbewegung haben sich im Lauf der letzten 150 Jahre
folgende Punkte herauskristallisiert:

1. Das imperative Mandat: Damit ist gemeint, dass sich gewaehlte
VertreterInnen an die Beschluesse der Basis halten muessen und dieser
jederzeit rechenschaftspflichtig sind.

2. Transparenz: Das bedeutet natuerlich auch, dass die Diskussionen
und Entscheidungen der gewaehlten VertreterInnen fuer alle Mitglieder
der Basis transparent gemacht werden muessen. Wie dies im konkreten
Fall vonstatten geht, ist mehr eine technische Frage. Die, von machen
AnarchistInnen geaeusserte, Kritik, dass Informationen aus solchen
Treffen immer gefiltert nach Aussen gegeben werden aber unterstellt
gewaehlten VertreterInnen einen quasi natuerlichen Hang zum Verrat der
Basis.

3. Jederzeitige Abwaehlbarkeit: Handeln gewaehlte VertreterInnen nicht
nach den Beschluessen der Basis oder zeigen sie sich unfaehig, ihre
Aufgaben zu erfuellen, dann muessen sie jederzeit abgewaehlt und
ersetzt werden koennen. Unabhaengig davon ist eine regelmaessige
Rotation solcher Funktionen natuerlich auch grundsaetzlich
anzustreben.

Existiert keine gewaehlte Vertretung ergibt sich neben der mangelnden
Effizienz zwangslaeufig noch das Problem der Benachteiligung
bestimmter Schichten von AktivistInnen. Denn wenn alles und jedes im
Plenum beschlossen wird, verkommt die geforderte Basisdemokratie zur
"Anwesenheitsdemokratie", die jene privilegiert, die sich sehr viel
Zeit fuer politische Arbeit nehmen koennen. Fuer eine Uni-Bewegung
bedeutet das zwangslaeufig die Benachteiligung von StudentInnen, die
neben dem Studium arbeiten und / oder Kinderbetreuungs- oder
Pflegeaufgaben wahrnehmen muessen - wovon in unserer real
existierenden Gesellschaft ueberwiegend Frauen betroffen sind. Die
Arbeitsteilung der kapitalistischen Klassengesellschaft ist also
Ursache und Ergebnis dieses - zutiefst undemokratischen und
antiemanzipatorischen - Prozesses.

Da in groesseren Gruppen aber niemals alle anstehenden Aufgaben von
allen Beteiligten legitimiert und koordiniert werden koennen, bilden
sich in Ermangelung gewaehlter VertreterInnen in der Regel informelle
"FuehrerInnen" heraus. Ein prominentes Beispiel ist Joschka Fischer,
der auch ohne demokratische Legitimation fuer lange Zeit die damals
angeblich basisdemokratischen Gruenen gefuehrt hat.

Dabei ist die Herausbildung von informellen "FuehrerInnen" und
Hierarchien keineswegs immer den machtgierigen Absichten der
handelnden Personen geschuldet, sondern ein Ausdruck der
kapitalistischen Arbeitsteilung, speziell der Teilung in "Hand"- und
"KopfarbeiterInnen", der Frauenunterdrueckung und anderer
Unterdrueckungsformen. Es setzen sich dann einfach jene noch leichter
durch, die aufgrund der strukturell ungleichen Sozialisation in der
patriarchalen und rassistischen Klassengesellschaft ueber
ueberdurchschnittliche rhetorische, intellektuelle oder
organisatorische Kompetenzen verfuegen.

Irrwege als Auswege?

Als Loesung fuer die beschriebenen Probleme argumentieren
VerfechterInnen dieser speziellen Auffassung von Basisdemokratie
haeufig wie folgt:

1. Es brauche eine Dezentralisierung in kleine Gruppen, dann waere
auch ausgepraegte Basisdemokratie und Konsensprinzip moeglich.

2. Es sollen eben immer nur jene eine Aktion umsetzen, die diese
vollinhaltlich unterstuetzen.

Nun, aufgrund des beschriebenen Problems, dass niemals alle
anstehenden Aufgaben von allen Beteiligten einer Gruppe diskutiert und
beschlossen werden koennen, passiert Punkt 1 in der Realitaet sowieso
haeufig, auch ohne entsprechende Intention. Wenn aber nur jene eine
Entscheidung/Loesung/Aktion umsetzen, die inhaltlich voll dahinter
stehen, stellt sich berechtigterweise die Frage, wozu es dann
ueberhaupt einer Organisation bzw. "Gruppe" bedarf.

Raetedemokratie als Alternative

In der antikapitalistischen Linken hoert mensch oft das Argument, dass
die eigene Organisation bereits die Prinzipien einer freien
Gesellschaft verwirklichen sollte. Klingt gut, ist aber ein hoechst
idealistischer Ansatz, der ignoriert, dass wir einerseits keine freien
Individuen sind, sondern in der kapitalistischen Logik sozialisiert
wurden und andererseits der KapitalistInnenklasse und einem alles
andere als demokratischen Staatsapparat gegenueberstehen. Es kann
keine "freie Assoziation der Individuen" (Marx) geben, solange deren
materielle Grundlagen nicht gegeben sind. Und diese koennen nicht nur
durch den Aufbau einer vermeintlich befreiten Insel, sondern nur durch
eine Beseitigung des Kapitalismus geschaffen werden - wozu es eben
eine moeglichst schlagkraeftige und dennoch demokratisch
funktionierende revolutionaere Organisation bedarf. Bis dahin wird
beispielsweise eine permanente und umfassende Aktivitaet der Basis von
Massenbewegungen (und Massenorganisationen) aufgrund der materiellen
Zwaenge des Kapitalismus (Lohnarbeit, Reproduktionsaufgaben) eine
Wunschvorstellung bleiben.

Was allerdings stimmt ist, dass die Institutionen einer zukuenftigen
freien Gesellschaft nicht einfach aus dem Nichts entstehen koennen,
sondern direkt aus Formen erwachsen werden, die aus den Widerspruechen
des Kapitalismus und den Klassenkaempfen entstehen. Ein gutes Beispiel
dafuer sind ArbeiterInnenraete. Sie sind historisch immer wieder in
Situationen zugespitzter Klassenkaempfe als Ausdruck der
demokratischen Selbstorganisation der kaempfenden ArbeiterInnen
entstanden und boten sich dabei nicht nur als Struktur fuer die
Ueberwindung des Kapitalismus, sondern fuer die Verwaltung einer
nachkapitalistischen Gesellschaft an.
(stark gek.)

Volltext: http://www.sozialismus.net/content/view/1450


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