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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Juni 2010; 22:53
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Debatten/Antideutsche:

> Einfach zum Kopfschuetteln!

Vielleicht fuehrt das jetzt etwas zu weit, doch waehrend der letzten
Wochen habe ich mich etwas intensiver mit dem Thema Antideutsche und
Israel-Solidaritaet auseinandergesetzt, meistens ueber Wikipedia -
fuer "richtige" Bildung habe ich leider kaum Zeit. Zeitweilig schickte
ich dann meine Gedanken auf Reisen, auch ueber den
"So-kannst-du-nicht-denken"-Horizont hinweg, nur um zu sehen, was
dahinter liegt. Was ihr hier lesen koennt, ist mein Reisebericht ueber
einen Trip in Anti-Deutsche Sphaeren. Sogar dort bin ich noch einem
Akin Leser begegnet. Als Wegpunkte dienen die jeweiligen
Wikipediaartikel (jeweils unter "Anfuehrungszeichen"). Ich moechte
euch meine Schlussfolgerungen und meine Gedankenexkursion nicht
vorenthalten.

Am 8. Mai traf mich fast der Schlag.

Ich hatte beschlossen, endlich auf die 8. Mai Demo zu gehen (wegen der
Kranzniederlegung, wegen dem Umgang Oesterreichs[ = meiner
Arbeitskollegen] mit der Vergangenheit, und dem sich unter ihnen immer
wieder zeigenden Antisemitismus). Was muss ich da sehen? USA-FLAGGEN!
Schluckend nahm ich die deren Anwesenheit und das Abspielen der Hymnen
hin, und reihte mich ein (in den antideutschen Block, gemeinsam mit
meinem israel-solidarischen Bruder und seiner israel-solidarischen
Freundin).

Ich hatte mich mit dem Thema einfach schon lange nicht mehr
auseinandergesetzt, und zog in Betracht, dass ich irgendetwas noch
nicht kapiert hab. Nach der Demo reflektierte ich noch einmal - Die
Fronten sind doch klar, oder?

Die Israelische Regierung haelt alle Palaestinenser fuer Terroristen,
und macht deswegen alles dicht oder platt, was nicht juedisch ist.
Staat unterdrueckt Volk. Palaestinenser, Basken, Iren/Gaelen, Kurden.
Katalanien, Tibet, Kosovo - Die Nationen dieser Welt schaffen es
einfach nicht, einem bisserl Volk ein bisserl Land zu geben.

Bisher war mir - einem volksscheuem Vertreter des Antinationalismus -
das einfach egal. Ich fand's hoechstens unfair, weil ich die Autonomie
fuer Voelker, Staemme, Sippen, Banden, Familien, Individuen als
unangreifbar erachte. Wichtig war mir nur immer die Wahrung der Rechte
des jeweils kleineren Zusammenschlusses. Menschenrecht vor
Voelkerrecht. Keinem Menschen darf die Zugehoerigkeit zu einer Gruppe
aufgezwungen werden. Jedoch:

Auf zu neuen Ufern!

Der Wikipedia-Artikel "Antisemitismus bis 1945" sollte mir beim
Ablegen meiner einseitigen Position helfen. Die Idee Israels als
notwendiger Schutzraum fuer alle Opfer des Antisemitismus? Ist
Antisemitismus denn so schlimm? -Ich las, und befand: Ja, es ist sogar
noch schlimmer.

Die Idee, einen juedischen Staat zum Schutz aller verfolgten JuedInnen
zu gruenden scheint daher nicht allzu abwegig (siehe "Zionismus").
Aber wohin damit? Sind ja ueberall irgendwelche Voelker. Im Zuge der
Pariser Friedenskonferenz 1919 wurde das Faisal-Weizmann-Abkommen
geschlossen, in dem die arabische Delegation einem juedischem Staat im
Raum Palaestinas zustimmte (Aufhaenger war unter anderem die
gemeinsame - semitische - Herkunft - der JuedInnen und AraberInnen).

Der syrische Emir Faisal (als arabischer Delegationsleiter) koppelte
das Abkommen allerdings an die Unanbhaengigkeit Arabiens. Als
Frankreich und Grossbritannien dann jedoch beschlossen, die arabische
Region unter sich aufzuteilen und unter Vormundschaft zu stellen, war
dieses Abkommen natuerlich gestorben (siehe "Nahostkonflikt").

Es war dieses Abkommen, das den Nationalismus seitens Palaestinas
schuerte, der in der britischen Mandatszeit zu Pogromen fuehrte. 1947,
beim Rueckzug Grossbritanniens waren die Fronten zwischen Israel und
Palaestina dann so verhaertet, dass mit dem ersten Tag ohne Besatzung
ein Buergerkrieg zwischen Arabern und Juden ausbrach.

Ist also doch der Imperialismus schuld?

Der Ausloeser fuer den Konflikt ist also tatsaechlich im Kolonialismus
(Imperialismus, wie auch immer) der alten Europaeischen Laender zu
Suchen, die eine geschwisterliche Loesung verhindert hatten.

Israel als imperialistischen Handlanger der USA zu bezeichnen ist eine
verkuerzte Interpretation der juengsten Geschichte, die - so finde
ich - keine Ruecksicht auf die immer wieder auftretenden Brueche
zwischen Israel und den USA nimmt. Eine harsche Kritik an solchen
Unterstellungen scheint mir zumindest berechtigt, der Vorwurf des
Antisemitismus ist zumindest in Reichweite.

Dass im Nahostkonflikt auch im Verlauf der vergangenen "sechs
Jahrzehnte" kein Frieden gefunden werden kann, liegt meiner Meinung
nach nicht daran, dass Israel als Staerkerer zu wenig nachgeben wollen
wuerde (wie Bernhard das in der letzten Akin eroertert hatte). Seitens
der PLO gibt es erst seit 1993 ein Anerkennen des Existenzrechts
Israels, waehrend von Israel die zwei-Staaten-Loesung nie in Frage
gestellt wurde. 2000 bot "Ehud Barak Jassir Arafat etwa neunzig
Prozent des Westjordanlandes, den ganzen Gazastreifen und Ostjerusalem
als Hauptstadt eines neuen palaestinensischen Staates an. Zusaetzlich
sollte ein neuer internationaler Fonds eingerichtet werden, um die
Palaestinenser fuer das Land zu entschaedigen. Doch Arafat bestand
darauf, dass allen Fluechtlingen gestattet werden sollte, auf das Land
zurueckzukehren, das ihnen vor 1967 gehoert hatte". (Wikipedia Artikel
"Nahostkonflikt")

Eine solche Reparation uebersteigt Israels Kapazitaeten (Israel soll
ja ein juedisch dominierter Staat bleiben). Im Uebrigen funktioniert
das auch in Europa nicht (weder was die -ent-Arisierung berifft, noch
im Bezug auf vertriebene/gefluechtete Sudetendeutsche).

Ich frage mich auch, ob Israel tatsaechlich "staerker" ist als
Palaestina, Iran, und der Rest der muslimischen Welt. Israel ist der
EINZIGE juedisch dominierte Staat. Im Vergleich dazu gibt es eine
Vielzahl von Staaten mit muslimischer so wie christlicher Ausrichtung.
Insofern hat Israel die Unterstuetzung einer Grossmacht bitter noetig,
und ist vielleicht sogar auf schlechte Kompromisse angewiesen.

Soweit also meine Reise durch die Geschichte, und die Schluesse die
ich daraus gezogen/gelesen habe.

Israel-Solidaritaet ob des vorherrschenden Antizionismus? Ja.

Mit der Fahne in der Hand, hinter jeder israelischen Regierung
stehend? Nein! Auf keinen Fall.

Allerdings hat sich gezeigt, dass jedeR etwas anderes unter "Israel"
versteht. Fuer die einen ist es die Idee, die zaehlt, fuer die anderen
die Regierung.

Zwei Schritte zur Seite:
Eine Exkursion nach Anti-Deutschland

Stellen wir einmal kurz das Bild der kapitalistisch-imperialistischen
Vereinigten Staaten von Amerika in Frage. Verruecken wir die
Perspektive etwas. Fragen wir uns nicht "Warum sind die USA 1941 in
den Krieg eingetreten", sondern "Was haben sie dann getan?".

Fuer Roma, Sinti, JuedInnen, AntifaschistInnen,... ist relevant:

Innerhalb von 4 Jahren haben die USA und die anderen Alliierten- stark
verkuerzt - die Wehrmacht zur Kapitulation gebracht und dadurch Hitler
dazu sich zu erschiessen,. Danke Leute.

Dass Hitler nicht der einzige deutsche Boesewicht war, koennte den
Aliierten auch klar gewesen sein, denn sie entschieden sich,
Deutschland und Oesterreich kurzerhand zu besetzen, um dort im
weiteren Verlauf ihre (USAs und UdSSRs) jeweils praeferierten Modelle
zu forcieren. Der in Europa erfolgreich um sich greifende Faschismus
hat ihnen ja weniger gut gefallen .

Es gab - vereinfacht gesagt - jedenfalls nach 1955 zwei
Besatzungsformen. Den Kommunismus und den Kapitalismus. Im Osten
hatten alle Arbeit und waren versorgt, waehrend im Westen alle
Wohlstand und die Aussicht auf noch mehr Wohlstand (Luxus) hatten,
sich aberselbst versorgen mussten. Den Grund dafuer, dass sich die
zweite Form - der Kapitalismus - besser haelt, orte ich persoenlich
darin, dass in einer Menschheitsgeschichte die von Krieg/Wettbewerb
gepraegt ist, in der Sieger alles und Verlierer weniger bekommen,
natuerlich das Gesellschaftsmodell bestehen wird, indem so etwas wie
Konkurrenz noch Bestand hat (und seis nur der Nostalgie wegen). Ich
will euch jetzt ja nicht vom Patriarchat anfangen (und damit noch die
nichtendenwollende Raumnahme - den Imperialismus - erklaeren koennen),
aber in einer matriarchalen Welt haette der Kommunismus vielleicht
mehr Chancen gehabt.

Die Amerikaner haben uns (die AntifaschistInnen, JuedInnen, Roma,
Sinti,...) also vom Faschismus befreit. Die breite Masse jedoch , die
sie nicht befreien konnten - weil sie den National(sozial)ismus,
dessen Erfinder ja nicht Hitler war, in sich trug - haben sie erst
erschossen, spaeter geknebelt. Mit Verboten, aber vor allem mit
Krediten, Staubsaugern, Kuehlschraenken, Autos. Kurz: mit dem
Wirtschaftswunder.

Wenn es das "deutsche Volk" (die Idee eines deutschen Volkes) war, das
die Vernichtung der Juden begonen hatte, dann ist "das deutsche Volk"
mit Automobil und McDonald's Sackerl unterm Arm noch recht gut davon
gekommen.

Immerhin hat Hitler dieses Volk aufgerufen, und es hat "JAAAAA"
geschrien. Nicht "NEEEEEIN".

Der Schoss ist fruchtbar noch. "Wir sind ein Volk" schrien sie, als
sie 1990 endlich wieder alle beisammen waren. Und gingen 1992 in
Rostock gleich wieder auf Roma los. Sogar der Gedanke an eine
Eingliederung der verlorenen Gebiete Ostpreussen, Pommern,
Sudetenland, Elsass-Lothringen,... keimte auf.

Der Schoss ist fruchtbar noch, das merken wir auch, wenn wir Zeitungen
wie "Die Fakten" oder den "Wiener Beobachter" lesen; wenn wir uns
Vereine wie die oesterreichische Landsmannschaft oder saemtliche
Burschenschaften ansehen; wenn wir unseren KollegInnen in der Arbeit
zuhoeren,...

So ein kleiner Hitler, davon scheint - sechs Jahrzehnte spaeter - noch
immer der eine oder die andere zu traeumen. Aber wir haben unseren
Frieden. Ich sitze vor einem Netbook, keinem Netzbuch, und tippe einen
Artikel fuer eine linksradikale Zeitung, anstatt Steine im KZ zu
klopfen.

Soweit ich die Perspektive auch gedreht haben mag, laesst sich eins
nicht wegleugnen:

Ohne die Allierten waere das nicht moeglich gewesen. Kapitalismus hin,
Imperialismus her.

Wer haette Hitler erschossen, wenn er den Krieg gewonnen haette? Und
wer waere ihm gefolgt? Haider, Moelzer, Strache? Waere Rosenkranz ein
feministischer Fortschritt gewesen?

Haetten wir unsere faschistische Geschichte besser ueberwunden als
Ungarn... ...oder Italien?

Ich stelle mir Proellusconi als ewigen Bundeskanzler vor, dem ein
ganzer Fernsehsender zu gehoeren scheint uuuuaeaeaeaeaehaehaeh (Gott
sei Dank bin ich mittlerweile Wiener). Ich schuettle mich, und gebe
Thomas Herzel die Hand, dann gehen wir shoppen.

Nie wieder Ostmark! Nie wieder Deutschland!

Nachsatz: Ich gehe allerdings nicht soweit, mich beim Kapitalismus zu
bedanken, oder ihn als die beste aller Loesungen, bis wir den
Kommunismus haben zu rechtfertigen. Als Anarchist muss ich das
uebrigens auch gar nicht, so wie mir die ganze Antideutsch/Antiimp
Debatte eigentlich sonst wo vorbeigehen koennte, die vor allem ein
Streit um den Weg zum Kommunismus zu sein scheint. Die Geschichte raet
mir, niemandem zu trauen, der mir mit Hammer und Sichel winkt, und
vorgibt, mir gleichzeitig die Hand geben zu wollen (als Resultat habe
ich die Wahl zwischen Riss- oder Quetschwunden) - doch soviel nur in
eigener Sache. In einer gemeinsamen Linken wird einem immer das
Beziehen einer Position abverlangt. Hier habt ihr meine.
*postcore*



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