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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Juni 2010; 19:31
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Palaestina-Debatte:
> Which side are you on?
Circa einen Monat ist es her, dass -- am 8. Mai -- eine Demo zum 
Gedenken an 1945 durch Wiens Innenstadt zog, die nicht jedem so ganz 
geheuer war. Die Toleranz mehrerer DemonstrantInnen war wohl hart auf 
die Probe gestellt worden, als dort Leute USA-, Israel- und 
Sowjet-Flaggen schwenkten, als waere das Preisen von Nationalsymbolen 
selbstverstaendlich. Solidaritaet mit Israel, Dankbarkeit gegenueber 
den Allierten, damit setzt sich nicht jedeR Linke auseinander.
Free Gaza = Solidaritaet mit Hamas?
Das Thema ist uns meistens zu komplex, oder es ist sowieso klar, dass 
es um amerikanischen Imperialismus geht (sowjetischer Imperialismus --  
"wenn man den Aermsten der Erde Freiheit und Frieden erzwingt" -- wird 
selten erwaehnt, etwaige Expansionswuensche islamischer 
Fundamentalisten sind sowieso kaum Thema).
Vergangenen Montag dann eine Schreckensmeldung. Israelische Soldaten 
fangen ein Schiff der Free-Gaza Flotilla ab, und toeten neun 
AktivistInnen. Die Situation scheint klar. Israel blockiert 
Gazastreifen - hungert PalaestinenserInnen aus. Hilfsflotte soll 
Blockade durchbrechen. Israel will Blockade stoppen, entert Schiff. 
AktivistInnen wehren sich (oh Wunder) mit Stangen und Zwillen. Die 
israelischen Soldaten verteidigen sich mittels (Wortlaut der 
AntiImperialistischen Koordination:) Massaker.
Wer Berichten von israelisch/juedischer Seite glaubt, erfaehrt 
ausserdem: Das geenterte Schiff soll von der Hamas "gechartert" worden 
sein, welche die Gueter im Gaza-Streifen ziemlich willkuerlich 
verteilt.(1) Die Soldaten waeren mit Gummigeschossen gegen den Mob 
vorgegangen, und haetten aus Notwehr ihre Pistolen gezogen und 
abgefeuert. Buelent Yildrim, der Organisator der Gaza Flotilla, soll 
erklaert haben, dass das Brechen der Blockade vielmehr eine 
Jihad-Aktion war, als eine Humanitaere Operation (2).
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen
Dass beim Stuermen der Mavi Marmara etwas schiefgegangen ist, geht 
auch aus einem Video der IDF-Flotte hervor. Dort ist zu sehen, wie die 
sich abseilenden Soldaten von einer Menschenmenge foermlich vom Seil 
gepflueckt und anschliessend verpruegelt werden (3).
Ein Sonderkommando, das eine Situation unter Kontrolle bringt, sieht 
jedenfalls anders aus.
Gewissermassen haben beide Seiten recht. Niemand sollte erwarten, dass 
Israel - wenn es denn als Nationalstaat wahrgenommen werden will, was 
ihm schwer genug gemacht wird - das Brechen einer Seeblockade einfach 
so hinnimmt (die Blockade soll verhindern, dass Waffen in den 
Gaza-Streifen eingefuehrt werden). Und niemand sollte erwarten, dass 
ein Schiff, das eine Blockade durchbricht einfach mit 
"Paintball-Gewehren" eingenommen werden kann.
Und antisemitische Uebergriffe und einseitige Stellungnahmen gegen 
Israel sind durch diesen Vorfall keinesfalls zu rechtfertigen.
Graue Woelfe und Linkswende demonstrieren gegen das "Massaker im 
MItelmeer"
Am 1. Juni, dem darauffolgenden Tag, fand in Wien eine Demonstration 
statt mit ca. 600 TeilnehmerInnen. Im Rahmen dieser Demonstration 
wurde ein aelterer Mann verpruegelt, weil er zu juedisch aussah und, 
ein Haus, an dem die israelische Fahne hing wurde angegriffen (auch 
nach dem die Fahne eingeholt worden war). Natuerlich duerfen die 
grauen Woelfe - tuerkische Nationalisten - nicht fehlen.
Auf Facebook und Myspace gehen die antisemitischen Wogen hoch, auch 
ausserhalb von Demos zeigt sich Antisemitismus deutlicher, so zB in 
Wien. "Ein Rabbiner wird in unmittelbarer Umgebung einer juedischen 
Schule von einem Jugendlichen bedroht und beschimpft (unter anderem 
mit 'Scheiss Jude!'). Es entwickelt sich ein Wortgefecht, im Zuge 
dessen der Jugendliche eine Schere zueckt. Er steckt diese dann wieder 
weg, packt den Rabbiner jedoch am Kragen. Die sich daraus entwickelnde 
Rangelei endet damit dass der Jugendliche zu Sturz kommt und seine 
Jacke beschaedigt wird. Aus einem Lokal stuermen mehrere tuerkische 
Maenner herbei, die ihrerseits den Rabbiner beschimpfen und 
bedrohen"... (4)
12.000 Hooligans
All diese Vorfaelle waren bekannt, als am 4. Juni eine weitere 
Demonstration mit 12.000 Teilnehmenden am Ballhausplatz ihr Ende fand. 
Auch bei dieser Demonstration marschierten Graue Woelfe und Konsorten 
mit. Muessten sie gar nicht. Die nationalistische Orientierung dieser 
Demonstration ist auch so wahrnehmbar. Im Fahnenmeer (Tuerkei, 
Paelaestina, aber auch Oesterreich) sind viele Linkswende- und 
vereinzelt SLP-Schilder zu entdecken. Es macht den Eindruck, als waere 
jedeR dritte oder vierte hier mit einer Fahne oder "wenigstens" einem 
Israel-Hass-Schild aufgetaucht, der Ballhausplatz sieht aus, als 
wuerde heute ein Fussballmatch stattfinden. Etwas unruhig wird ein 
Teil der Menge, als gegen Ende der Abschlusskundgebung ein paar 
Jugendliche aggressiv in Richtung Michaelerplatz draengen, von der 
Polizei relativ unbeachtet.
Das Grueppchen waechst an, und schliesslich sind es etwa 50 bis 60 
Leute, die von Demo-Ordnern zurueckgehalten werden. Einem Beobachter 
zu Folge wollten mehrere Leute vom Ballhausplatz zum 
Stock-im-Eisen-Platz ziehen, wo sich eine pro-israelische Kundgebung 
(Free Gaza from Hamas) -- bzw. zu diesem Zeitpunkt lediglich der 
verbliebene Infotisch -- befand. Schlussendlich konnten sie von 
Demo-Ordnern und Polizei zumindest auf ein kleines Grueppchen 
reduziert werden. Von Zwischenfaellen am Stock-im-Eisen-Platz ist 
nichts bekannt.
Linker Antisemitismus ist kein Hirngespinnst so genannter 
"Anti-Deutscher"
Angesichts des antisemitischen Potenzials, dass viele der Gruppen 
aufweisen, die sich gegen das (auch von juedischer Seite als falsch 
und bedauernswert kritisierte) Vorgehen Israels gegen die Free-Gaza 
Flotilla aussprechen, sei die gesamte Linke hiermit aufgerufen, sich 
vielleicht doch noch einmal mit dem "Phaenomen" Antisemitismus, direkt 
wie sekundaer und strukturell, auseinanderzusetzen.
Welche Schluesse ihr zieht, sei euch ueberlassen. Aber bitte ueberlegt 
euch, auf wessen Seite ihr euch schlagen wollt.
-Postcore-
(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,698688,00.html
 (2) http://www.juedische.at
 (3) http://www.youtube.com/watch?v=gYjkLUcbJWo&feature=related
 (4) http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=31&Param_Red=13074
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