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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 1. Juni 2010; 23:37
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 Debatten/Wahlen/Burgenland:
  
  > Politik der Kurzsichtigkeit
  
  Dass der burgenlaendische Landeshauptmann oeffentlich gehofft hatte, 
  die absolute Mehrheit zu verteidigen, war nun wirklich nicht 
  vermessen, sondern halt der uebliche Zweckoptimismus. Angesichts der 
  Umstaende ist das jetzige Ergebnis der SPOe dennoch durchaus 
  respektabel, immerhin hat sie nach letztem Auszaehlungsstand nicht 
  einmal vier Prozentpunkte verloren. Und das in der Relation zu einem 
  eigentlich nicht mehr fuer moeglich gehaltenen Hoch von 2005.
  
  Bei den derzeitigen Landtagswahlen wird gerne auf ein kleines Detail 
  vergessen: Die jeweils vorhergehenden Wahlen fanden immer unter dem 
  Eindruck von mehreren Jahren der schwarzbunten Regierung statt. 
  Interessant ist aber der Vergleich mit zwei und manchmal -- wie im 
  Falle des Burgenlandes, aber auch bei den kommenden Wiener Wahlen -- 
  sogar drei vorhergehenden Urnengaengen. Die letzten Wahlen fanden im 
  Burgenland 2005, 2000 und 1996 statt. 2005 waren bereits mehr als 5 
  Jahre Schuessel ins Land gezogen und die FPOe war sich unklar, welche 
  ihrer beiden Fraktionen sie jetzt eigentlich ist. Dass sie sich dann 
  jetzt im Vergleich zu 2005 von 5,75 auf 9% aufschwingen konnte, war da 
  wirklich nicht ueberraschend. Allerdings hatte sie 2000, als 
  Bundesschwarzblau fuer FPOe-Waehler noch nicht gar so enttaeuschend 
  gewesen sein konnte, 12,6% und vor Schuessel-Passer-Grasser (1996) gar 
  14,6%. Selbst wenn man das Ergebnis der F-Abspaltung "Liste 
  Burgenland" unserioeserweise einfach zu dem jetzigen Ergebnis 
  hinzuaddiert, hat die FPOe gegenueber ihrer Vorbundesregierungszeit 
  verloren. Hingegen hatte die SPOe 2000 und 1996 nur jeweils 17 Mandate 
  erringen koennen -- demgegenueber also 2010 trotz katastrophaler 
  Bundesregierungsperformance ein Mandat hinzugewonnen.
  
  Ein anderer Vergleich: Die Wiener SPOe hat dank der 
  Schuessel-Regierung 2001 ihre absolute Mehrheit (an Mandaten) 
  zurueckgeholt und 2005 noch weiter ausgebaut. Aber 1996 hatte sie 
  diese Mehrheit verloren und war auf 39,2% und damit 43 von 100 
  Mandaten abgerutscht. Wuerde Michael Haeupl im Herbst wie jetzt Niessl 
  die Haelfte der Mandate des Landtags erreichen, wuerde er wohl 
  jubilieren.
  
  Es waere zu erwarten gewesen, dass die SPOe im Burgenland zumindest 
  auf den Stand von 1996 abrutscht, wenn nicht noch tiefer. Immerhin 
  hatten die Sozialdemokraten nur in 4 von insgesamt 15 
  Legislaturperioden seit 1945 im oestlichsten Bundesland die absolute 
  Mehrheit.
  
  Eigentlich ist es schlimm, dass nach diesem mit Vorurteilen gespickten 
  Wahlkampf der SPOe sagen zu muessen, aber Niessl hat angesichts der 
  Bundesverhaeltnisse alles herausgeholt, was drinnen war. Moralisch 
  betrachtet haette sich die burgenlaendische SP eine Schlappe verdient, 
  aber nuechtern betrachtet war es doch leider ein Wahlerfolg.
  
  Warum lesen wir dann allerorten, dass diese Wahl eine Ohrfeige 
  fuer die SPOe gewesen sein soll? Nun, da ist zum einen der 
  schmerzliche Verlust der Absoluten, der das Regieren schwerer machen 
  wird und Freude derzeit nicht so richtig bei den Rosaroten aufkommen 
  laesst. Zum anderen haben aber wohl die meisten Kommentatoren ihre 
  vernichtenden Formulierungen schon vor dem Wahlabend im Kopf gehabt 
  und wollten faulerweise lieber nicht umdenken. Denn die SPOe hat jetzt 
  einfach ein Verliererimage und da muss alles, was passiert, irgendwie 
  auch passend interpretiert werden.
  
  Ja, es ist ein Trauerspiel mit der Sozialdemokratie, aber ein 
  moralisches. Wuerde sich dieser moralische Verfall 1:1 in 
  Wahlergebnisse umsetzen, muesste die SPOe darum bange sein, ob sie 
  sich ueberhaupt in so manchem Landtag halten kann. Aber moralische 
  oder gar ideologische Fragen interessieren weder Zeitungsredaktionen 
  noch Parteisekretariate. Ein "politischer Erfolg" wird daran gemessen, 
  ob man Waehlerstimmen lukrieren konnte -- egal wie ekelhaft dieser 
  "Erfolg" errungen wurde und wieviel man deswegen an Grundsaetzen 
  aufgeben musste.
  
  Politische Aufrichtigkeit ist offensichtlich keine Erfolgskategorie. 
  Deswegen wird auch jetzt ueber und bei den Gruenen gejammert, die 
  (nach derzeitigem Stand) mit knapper Not nun gerade mal so eben im 
  Landtag bleiben werden. In moralischen Fragen ist den Gruenen aber 
  eher zu gratulieren: Zwar haben sie es wieder nicht geschafft, ein 
  glaubwuerdiges soziales Profil zu gewinnen, aber sie waren wenigstens 
  die Einzigen, die in diesem ekeligen Wahlkampf gegen die Hetzparolen 
  gehalten haben.
  
  Unser Blick richtet sich in der Beurteilung von Erfolg oder Misserfolg 
  meist auf die Aenderungen des Stimmverhaltens zwischen zwei Wahlen 
  oder bisweilen sogar nur auf die Aenderungen zwischen zwei Umfragen. 
  Ja, natuerlich hat der Souveraen mit seinem Wahlverhalten in einem 
  buergerlich-demokratischen System immer Recht. Doch dass die 
  politische Beurteilung der Parteien, aber auch der Oeffentlichkeit, 
  sich immer wieder reduziert auf kurzfristige Punktegewinne, ist 
  vielleicht auch einer der Gruende fuer die Verrottetheit des 
  Politischen, die zurecht immer wieder beklagt wird.
  *Bernhard Redl*
  
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