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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Mai 2010; 18:13
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El Salvador/Geschichte:
> Daltons Tod
1975 wurde der linke Oppositionelle Roque Dalton ermordet.
Wahrscheinlich von den eigenen Genossen. Bis heute ist dieser Teil der
Geschichte El Salvadors nicht aufgearbeitet.
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Vor 35 Jahren wurde der bedeutendste Dichter El Salvadors, Roque
Dalton, ermordet, am 10.Mai 1975, wenige Tage vor seinem vierzigsten
Geburtstag. In einigen seiner wunderbaren Gedichte spricht der
unermuedliche Klassenkaempfer, Propagandist des bewaffneten Kampfes
und Guerrillero Roque Dalton zu uns von der andren Seite des Todes
aus. Vielleicht hatte er vorausgesehen, dass man ihn eines Tages fuer
seine politischen Ueberzeugungen umbringen wuerde. Aber vermutlich
hatte er sich vorgestellt, dass es einer der Nationalgardisten,
Polizisten oder CIA-Agenten, die ihn waehrend seiner vielen
Gefangenschaften verhoert hatten, sein werde, der auf ihn schiesst.
Er glaubte sich wohl nicht in einer Moerderhoehle in der klandestinen
Unterkunft seiner Guerillaorganisation ERP (Ejército Revolucionario
del Pueblo) im Stadtviertel Santa Anita von San Salvador. Und doch
waren es seine eigenen Genossen, die ihn ermordeten.
Warum? Es gibt verschiedene Gruende, Theorien, Erklaerungen dafuer.
(Ziemlich sicher: aus Neid und Eifersucht juengerer ERP-Politiker, die
weniger intelligent, charmant, poetisch, weltgewandt und gebildet
waren als Roque, sicher wegen militaristischer und stalinistischer
Verbloedung seiner Moerder...)
Wer brachte ihn um? Es heisst, dass die ERP-Fuehrer Joaquín
Villalobos, Alejandro Rivas Mira, Jorge Meléndez und Vladimir Rogel
den Beschluss fassten, Dalton zu ermorden. Nur Eduardo Sancho stimmte
dagegen. Wer schoss? Nicht eindeutig geklaert. Wo ist die Leiche Roque
Daltons und Armando Arteagas, seines Kampfgefaehrten, der mit ihm
zusammen ermordet wurde? Das weiss angeblich niemand.
Bis heute gab es keine Untersuchung der Ereignisse. In den Zeiten des
Buergerkriegs war es nicht moeglich. Nach dem Friedensabkommen 1992
scheute die linke Guerillaorganisation FMLN (zu der die ERP sich mit 4
anderen Organisationen 1980 zusammengeschlossen hatte) sich vor einer
Aufklaerung ihrer Kriegsverbrechen, da der Staat der Rechten die
seinen, viel, viel zahlreicheren ja auch nicht aufzuklaeren gewillt
war. Seit letztem Jahr regiert -- zum ersten Mal in der Geschichte des
Landes -- eine angeblich linke Regierung. (Auch wenn viele Stimmen zu
hoeren sind, Mauricio Funes sei nur ein weiterer autokratischer
Praesident, der mit den Stimmen der Linken an die Macht kam, um es nun
wie eh und je den Rechten zu richten...)
Doch auch von der Regierung von Mauricio Funes ist bis jetzt kein
Zeichen einer Bereitschaft gekommen, sich um Aufklaerung der
Kriegsverbrechen zu kuemmern. Im Fall Roque Dalton eher das Gegenteil.
Mauricio Funes persoenlich lud Jorge Meléndez, der verdaechtig ist,
fuer die Ermordung Daltons mitverantwortlich zu sein, ein, als
Direktor fuer Zivilschutz Verantwortung in seiner Administration zu
uebernehmen.
Eine Tatsache, die die Familie Roque Daltons, seine Witwe Aída und
seine Soehne, den Journalisten Juan José Dalton und den Filmemacher
Jorge Dalton, dermassen empoerte, dass sie in einer Pressekonferenz
die Entlassung von Jorge Meléndez forderten.
Jorge Meléndez kommentiert die Vorwuerfe, er sei an der Ermordung
Daltons beteiligt gewesen, zynisch: "Ich kann mich an keine Ermordung
Roque Daltons erinnern, ich erinnere mich an politische Vorgaenge, die
mit dem Tod einiger Leute endeten, darunter Roque Dalton." Zynischer
Euphemismus, der nur vom Praesidenten uebertroffen wird: "Ich habe
keinen Grund, Meléndez zu entlassen." Ausserdem weigert sich Funes
auch, der Aufforderung der Soehne Daltons, die Regierung moege den
Namen Roque Dalton und seine Texte nicht mehr verwenden, solange
Melendez im Amt sei, Folge zu leisten.
"So oft ich Fragmente des Dichters Roque Dalton in meinen Reden
zitieren moechte, werde ich das tun, weil er ein Kulturgut meines
Landes ist. Roque Dalton gehoert nicht mehr seiner Witwe und nicht
seinen Soehnen, sondern dem salvadorenischen Volk."
Nicht der erste Praesident El Salvadors, der sich mit dem Volk
verwechselte. So wird Funes also den Pressesaal in seinem
Praesidentenpalast "Roque-Dalton-Saal" nennen, worueber der Dichter
auf der andren Seite des Todes todsicher sich lustig macht.
*Tina Leisch*
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