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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. April 2010; 23:19
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EU/Polizei:

Proaktiv und erkenntnisgestuetzt

Das europaeische Forschungsprogramm INDECT duerfte Orwells
Befuerchtungen endgueltig Realitaet werden lassen wollen.
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INDECT ist eine Abkuerzung. Die braucht es auch, heisst doch das von
der EU finanzierte Forschungsprojekt mit vollem Namen: "Intelligent
information system supporting observation, searching and detection for
security of citizens in urban environment" (Intelligentes
Informationssystem, das Ueberwachung, Suche und Entdeckung fuer die
Sicherheit von Buergern in einer staedtischen Umgebung unterstuetzt).
Dahinter steckt das Forschungsziel, alle bestehenden
Ueberwachungstechnologien zu einem universellen
Ueberwachungsinstrument einer "erkenntnisgestuetzten" und "proaktiven"
Polizeiarbeit zu buendeln. Besonders interessiert an diesem Projekt
sind britische und polnische Polizeibehoerden.

Hintergrund ist die Ineffizienz bisheriger Ueberwachungsmassnahmen.
Beispiel London: Dort gibt es mittlerweile mehr als eine Million
offizieller Ueberwachungskameras und die britische Regierung hat
dafuer angeblich umgerechnet etwa 560 Mio. Euro ausgegeben. Nur:
Ausreichend Polizisten, die all diese Bildschirme ernsthaft
ueberwachen koennten, gibt es nicht. Computer sollen soweit gebracht
werden, dass sie die Bilder analysieren und das Auge des Gesetzes im
richtigen Moment auf den richtigen Monitor lenken koennen. Und dabei
eben "proaktiv" wirken, also der Polizei das fruehzeitige Einschreiten
erlauben -- am besten noch bevor eine Straftat -- oder was sich ein
Polizist so darunter vorstellt -- passiert. Das Erkennen von
"Gefahrensituationen" ist also gefragt. Doch was ist eine
Gefahrensituation? Im Rahmen des Projekts wurden polnische Polizisten
befragt und die meinten vor allem, dass das System auf "herumlungern"
und "sich umsehen" reagieren sollte. Aber auch Phaenomene wie
"Flashmobs" und spontane Demonstrationen werden thematisiert. So
identifizierten zwei Drittel der befragten Polizisten es als
Alarmzeichen, wenn sich Menschen aus allen Richtungen an einen
bestimmten Punkt bewegen oder auch umgekehrt. Ebenso viele finden es
verdaechtig, wenn jemand eine Dose in Haenden haelt, zumal es sich ja
um einen Sprayer handeln koenne. Als einer der Gruende fuer die
Schaffung des "Indect"-Projekts muessen natuerlich auch wieder einmal
die Hooligans herhalten, da die Fussball-Europameisterschaft 2012 in
Polen (und der Ukraine) stattfinden wird -- was wiederum das
Erfordernis biometrischer Erkennung von Personen herbeiruft. Ein
weiteres Forschungsziel ist die praktikable Nutzung von fliegenden
Kameras, also "Drohnen" zur Ueberwachung der Staedte -- die ebenfalls
bei Demonstrationen oder gar Aufstaenden sehr hilfreich fuer die
Polizei sein koennten.

Neben der Optimierung der optischen Ueberwachung ist ein wichtiger
Teil von INDECT natuerlich auch die automatisierte Kontrolle des
Internets: Egal, ob es um das Auffinden illegaler
Downloadmoeglichkeiten oder deviantem Verhalten geht oder um das
Erkennen von persoenlichen Beziehungen -- was bislang muehselige
Kleinarbeit von Menschen war, soll der Computer nun analysieren. In
Kombination mit der Vorratsdatenspeicherung und der erwaehnten
biometrischen Bild-Erkennung sollen damit umfassende
Persoenlichkeitsprofile aller, die der Obrigkeit verdaechtig
erscheinen, auf Knopfdruck europaweit abrufbar sein.

Nordirische Polizei-Ethik plus Industrie-Interesse

Aber um das alles nicht all zu sehr nach "1984" aussehen zu lassen,
gibt es auf Verlangen der EU-Kommission auch einen Ethik-Rat der die
Forschungen ueberwacht -- Vorsitzender ist der Assistant Chief
Constable Drew Harris vom Police Service Northern Ireland. Ueberhaupt
sitzen in diesem Rat hauptsaechlich Polizisten und andere
Behoerdenvertreter. Demnaechst soll ein Philosophie-Professor mit
aufgenommen werden. An Datenschuetzern und Menschenrechtsexperten hat
man hingegen kein besonderes Interesse.

Interessant dabei ist aber, dass die treibende Kraft dahinter anfangs
weniger die Polizeibehoerden, sondern vor allem Forschungsinstitute
und Industriebetriebe waren. Am Indect-Projekt arbeiten mehrere
Universitaeten sowie privatwirtschaftliche Unternehmen aus
verschiedenen EU-Laendern mit. In Deutschland sind das beispielsweise
die Bergische Universitaet Wuppertal und die Firma Innotec Data GmbH,
in Oesterreich die Fachhochschule Technikum Wien und die
burgenlaendische Firma X-Art ProDivision.

Die Europaeische Union finanziert das Projekt mit 14,86 Mio. Euro; es
laeuft seit Jahresbeginn 2009 und soll fuenf Jahre dauern. Von der
EU-Kommission war in diesem Zusammenhang zu hoeren, dass dies einfach
nur ein eingereichtes Forschungsprojekt sei, dass man fuer interessant
befunden habe, damit aber keineswegs eine bestimmte Entwicklung in der
EU forcieren wolle.

Aufgrund dieser im Forschungsbereich "versteckten" Politik dauerte es
auch gut ein Jahr, bis kritische Stimmen auf das Projekt aufmerksam
wurden. Selbst der Europaeische Datenschutzbeauftragte erfuhr erst
Monate nach Genehmigung der Gelder von INDECT.
(futurezone et al./akin)

Quellen u.a. samt weiterfuehrender Links:
http://futurezone.orf.at/stories/1631510
http://futurezone.orf.at/stories/1638815
http://futurezone.orf.at/stories/1643551
http://futurezone.orf.at/tipps/stories/1643587
http://de.wikipedia.org/wiki/INDECT


Zum Thema siehe auch: Das Letzte im heutigen akin-pd



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