**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. Maerz 2010; 22:31
**********************************************************
Debatten:
> Eine gesellschaftlich relevante Linkspartei in Oesterreich tut not!
*Karl Fischbacher* ueber die EU, das "griechische Problem", den OeGB, 
die theoretische Waehlbarkeit einer linken Partei und die Frage, ob 
ein Ansatz zur Schaffung einer solchen Partei nicht ueber 
BetriebsraetInnen moeglich waere.
Die Krise 2008/09 war ein tiefer Einschnitt in der rund 150-jaehrigen 
Geschichte des Kapitalismus. Im Gegensatz zum letzten grossen gap, der 
Implosion des buerokratischen Sozialismus 1989/91, gab 2008/09 dem 
Kapitalismus keine weitflaechige Ausbreitungsmoeglichkeit, sondern 
stellte ihn fuer hunderte Millionen Menschen sogar in Frage! 1989/91 
war die Idee des Sozialismus vernichtet, Jahrzehnte neuer 
kapitalistischer Prosperitaet rund um die ganze Welt schienen bevor zu 
stehen, ja das "Ende der Geschichte" wurde angekuendigt. Nur 20 Jahre 
spaeter, 2008/09, war nicht "bloss" der naechste (rund 7-8 jaehrige) 
Industriezyklus zu Ende. Er wurde durch ein gewaltiges Kredit- und 
Derivatenspekulations-Fiasko verschaerft. In dessen Endphase hatte 
sich das Chaos schliesslich auf den Nahrungsmittelmarkt ausgeweitet 
und mit den Mais-, Weizen- oder Bohnen-Aktienkursen auch die 
Hungertotenzahlen in die Hoehe getrieben.
Die herrschenden Cliquen dieser Welt waren erschrocken und bis in die 
Mittelschichten veraengstigt: sie befuerchteten, dass die 
kapitalistische Ordnung von Millionen und sogar Milliarden Menschen 
hinterfragt werden koennte. "Chicago-Boys" wandelten sich nun zu 
Keynesianern. Banken wurden "verstaatlicht" und mit hunderten 
staatlichen Milliarden vor dem Bankrott gerettet! Obama habe es mit 
den 700 Mrd. Dollar fuer die Banken besser gemacht, kritisierten jetzt 
die "Neo-Keynesianer" und PolitikerInnen die budgetaer restriktive EZB 
und EU.
Kontinentale Luegenkampagnen
In Europa mussten sie Millionen von KrisenverliererInnen "erklaeren", 
warum gerade den hauptsaechlichen Krisenverursachern, den Banken, 
erneut hunderte Milliarden Euro direkt bzw. als staatliche Haftungen 
ueberwiesen wurden. Sehr schnell hatten sich Regierungen und 
EU-Granden vom Krisenschock erholt. Gerade noch hatten sie Banken 
"verstaatlicht" und hyper-keynesianische Budgetpolitik betrieben, da 
war jetzt wieder das 3%-Neuverschuldungsdiktat der EU angesagt. Jetzt 
galt es Griechenlands "Schwindel" und die rund 12%ige Neuverschuldung 
des griechischen Staats zu verurteilen, die angeblich ganz Europa und 
den Euro endgueltig in die Depression stuerzen koennte. Sorge und 
Empoerung ueber das "griechische Problem" wurde im ganzen Kontinent 
beschworen! "Die oeffentliche Empoerung von EU-Beamten und 
Spitzenpolitikern ist dabei schwer nachzuvollziehen. Denn die Deals 
Griechenlands sind doch seit 2001 oeffentlich bekannt. Zudem ist 
Griechenland nicht das einzige Land, das Schuldenmanagement mit 
Derivaten betrieben hat. Italien hat dieselben Strukturen verwendet, 
um Milliarden Euro zu verschleiern" (Sustala, Der Standard, 
18.2.2010). Auch der franzoesische Spitzenoekonom Jean-Paul Fitoussi 
sieht daher "nicht ein, warum Griechenland ein Problem sein soll. 
Seine Haushaltsschuld ist nicht hoeher als die deutsche." (Der 
Standard, 13./14.2.2010). Oesterreichs Banken etwa halten in Osteuropa 
derzeit rund 120 Mrd. Euro Fremdwaehrungskredite, von denen das Gros 
"toxisch" sein koennte.
Der OeGB hat wieder eine Chance verpasst
Griechenland muss seine Milliardenanleihen mit 6,47% pro Jahr 
verzinsen, rund doppelt so hoch wie andere EU-Laender! Das ist das 
Diktat, das von den Ratingagenturen kommt, die Teil der globalen 
Wirtschaftsdiktatur sind, und die in Europa durch die EU und durch den 
"Europaeischen Runden Tisch der Industrie" (ERT) gebildet wird. Mit 
dem Vertrag von Maastricht meisselten EU und ERT 1992 die 3% 
Neuverschuldung in Stein. Reine Willkuer, von aussen betrachtet, aber 
logisch vom Standpunkt der Maechtigen, dass rigide Budgetpolitik vor 
allem den Sozialstaat einschraenkt und das grosse Geld weitgehend 
unangetastet laesst. Mit den blitzartigen 15 Mrd. Euro direkter 
Subvention fuer die Banken und 100 Mrd. staatliche Haftung 2008 haette 
es eigentlich dann wirklich in aller Munde sein muessen, dass genug 
Geld da ist. Die Parole "Eure Krise bezahlen wir nicht" haette vom 
OeGB zum Hauptargument und - zur Handlungsanleitung werden muessen! 
Anfangs war sie sogar auf OeGB-Demos auf Transparenten zu lesen 
gewesen. Heute ist Foglars OeGB voll gegen die 35-Stundenwoche - 
gerade heute, nachdem es der OeGB kampflos hingenommen hat, dass es 
400.000 Erwerbslose gibt! Und die Hauptparole "die Krise nicht 
bezahlen" wandelte sich 2010 zum "Fair teilen" ...
OeGB traegt sogar zur Manipulation bei wenn er unterstellt, dass mit 
Hedgefonds "fair" geteilt werden koennte!
Wenn ueberhaupt, werden die Banken in Oesterreich symbolische 500 Mio. 
Euro zu Budgetkonsolidierung beitragen, waehrend die SPOeVP-Regierung 
hofft, die "ausgabenseitigen" Budgetkuerzungen im Sozialetat, in 
Gesundheit und Bildung problemlos durchziehen zu koennen. Die neuen 
Massenbelastungen 2011/12 "verkauft" sie mit dem Oekoschmaeh 
Energiesteuern. Und mit dem budgettechnischen Trick, das konkrete 
Sozialabbau-Budget 2011/12 erst nach den Landtagswahlen in der 
Steiermark, im Burgenland und in Wien zu beschliessen, versucht sie, 
die innenpolitischen Auswirkungen gering zu halten.
Eine gesellschaftlich relevante Linke?
Wir braeuchten einen OeGB, der Unruhe in diese innenpolitischen 
Verhaeltnisse bringt! Zuerst gaelte es einmal, diesen Schwindel 
aufzuzeigen und eine breite Medienkampagne aufzuziehen, in der das 
"grosse Geld" in seinen vielfaeltigsten Formen von Bankengewinnen, 
Privatstiftungen, Grundbesitz, Luxus u.a.m. offen gelegt wird! 
Konsequent muesste diese Kampagne sein, damit sie (Selbst-)Bewusstsein 
in der lohnarbeitenden und verarmten Bevoelkerung dafuer schafft: Eure 
Krise bezahlen wir nicht! Sie muesste von Betriebsversammlungen ueber 
Warnstreiks bis zum Generalstreik zu gehen, parallel dazu sollte eine 
breit angelegte Werbekampagne ueber den nach wie vorhandenen Reichtum 
in Oesterreich informieren. Dazu war und ist der OeGB politisch und 
strukturell unfaehig!
In Umfragen, ja sogar in buergerlichen Zeitungen wurde in letzter Zeit 
festgestellt, dass in Oesterreich eine wirkliche Linke (links von SPOe 
und Gruenen) fehlt und von bis zu 10% der Waehler unterstuetzt werden 
koennte. "Mit einem klassisch linken Programm, das auf staatlich 
gelenkte Wirtschaft und auf staatliche Versorgung oder Umverteilung 
setzt, waere sicher ein Erfolg zu erwarten - allerdings reicht es 
nicht, dass man ein solches Programm hat, man braucht auch eine 
Person, die das vermittelt" (Studie Hoechtl/Beutelmeyer, 2009)*). 
Bisherige Versuche linker Einheit sind bekanntlich gescheitert: Einmal 
"Die Linke fuer ein solidarisches Europa" fuer die EU-Wahl 2004 mit 
Leo Gabriel und anderen Linksbewegten im Buendnis mit der KPOe, das 
mit einer Nullkomma-KPOe und stalinistischer Geschichte scheitern 
musste. Vor den Nationalratswahlen 2008 formierte sich ein 
Linksbuendnis ohne KPOe, das wiederum an der absoluten Wertschaetzung 
jeweils ihrer eigenen "revolutionaeren Programmatik" gescheitert ist.
Grundsaetzlich gehe ich davon aus, dass in Oesterreich eine 
gesellschaftlich relevante Linke mit AktivistInnen aus den sozialen, 
antipatriarchalischen und antirassistischen Initiativen, 
BetriebsaktivistInnen und BetriebsraetInnen und Teilen der radikalen 
Linken aufgebaut werden muss! AktivistInnen, die seit Jahren, 
Jahrzehnten im Alltagskampf und in offenen Kaempfen gegen Rassismus 
und Patriarchat, in Betriebskaempfen und Betriebsratslisten wertvolles 
Wissen und Erfahrungen gesammelt haben, sind meiner Meinung nach die 
Basis einer Linken, die ich "gesellschaftlich relevant" nenne.
Wir beginnen nicht bei Null
Es ist schwer, einzuschaetzen, ob der Kampf der StudentInnen gegen das 
neoliberale Bologna-System fuer freie Bildung 2009/10 Auswirkungen auf 
die LohnarbeiterInnenklasse hat. Ich meine dabei jene ArbeiterInnen- 
und BetriebsraetInnenschichten, die 2003 vom OeGB in zwei eintaegige 
Streiks gegen den Pensionsraub geschickt und furchtbar enttaeuscht 
wurden. "Schlecht ist es mir erst ergangen, als der Streik zu Ende 
war, weil ich den erwarteten Erfolg nicht gesehen habe. Diese 
Kleinkorrekturen waren fuer mich und auch fuer alle Kollegen nicht 
genug. ‚Warum hoeren wir jetzt schon auf? Da ist zu wenig erreicht', 
hoert man von vielen Kollegen und das war auch meine Meinung." 
(Hoeckner, Franz, BRV-Arbeiter, Fa VAM - Wels, 2004)7). Das Gros 
dieser BetriebsaktivistInnen und BetriebsraetInnen fuehrt ihren 
Alltagskampf bis heute weiter und kam und kommt durch Kurzarbeit und 
Massenerwerbslosigkeit von 400.000 ungeheuer unter Druck. Sie sind 
ueber ganz Oesterreich verstreut, haben aber in Oberoesterreich, in 
der Steiermark und in Wien ihre Zentren. In der OeGB-Zentrale finden 
sie nach wie vor kein Gehoer, vielleicht in regionalen 
OeGB-Strukturen. Jedenfalls sind sie nicht oesterreichweit 
organisiert! Das waere eine zentrale Aufgabe von antikapitalistischen 
Linken, erste Kontakte in Richtung einer Konferenz der linken 
BetriebsaktivistInnen herzustellen.
Strukturen
Linksradikale haetten ohne Zweifel eine wichtige Rolle in einer 
"Linkspartei der Bewegungen", vorausgesetzt, dass sie faehig sind, 
sich mit VertreterInnen der ArbeiterInnenklasse und sozialen 
Bewegungen gemeinsam zu organisieren.
Wenn wir hier optimistisch davon ausgehen, dass in den naechsten 
Jahren eine Plattform von BetriebsraetInnen wichtiger Betriebe und 
linke GewerkschafterInnen, vielleicht auch mit PolitikerInnen aus der 
SPOe, in Verein mit bekannten Aktivistinnen der sozialen Bewegungen zu 
einer neuen Linkskraft in Oesterreich antritt, glauben wir, dass das 
attraktiv genug ist. Das "linke Programm" wuerde sich in Zeiten wie 
diesen an Umverteilung von "oben" nach "unten" orientieren, fuer 
Gesundheit, Bildung, Pensionen usw., Arbeitszeitverkuerzung bei vollem 
Lohn, Politik gegen Rassismus und Patriarchat und oekologische 
Politik. Grundkonsens einer solchen Linkspartei muessten meiner 
Meinung nach zudem das Bekenntnis zur Basisdemokratie sein und die 
Ueberzeugung, dass Umverteilung, Arbeitszeitverkuerzung, Buergerschaft 
statt Staatsbuergerschaft und volle Gleichberechtigung fuer Frauen, 
Homosexuelle u.a. nur mit radikaler demokratischer und 
antikapitalistischer Politik erreicht werden koennen.
(gek.)
Volltext: http://www.labournetaustria.at/lili21.htm
K.F. ist Personalvertreter im Oeffentlichen Dienst und treibende Kraft 
hinter labournetaustria.at. Er wuenscht sich dringend eine Diskussion, 
die unter anderem auch auf seiner Website gefuehrt werden koennte. 
Kontakt: labournet{AT}labournetaustria.at
* Zusammenfassung auf der Linke-Website: 
http://www.linke.cc/geeklog/public_html/article.php?story=20100110123320639
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin