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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Februar 2010; 21:17
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Tuerkei:

> Die unterschaetzten Brauer

Seit Wochen protestieren Beschaeftigte des Bier und Tabakkonzerns
Tekel gegen ihre Entlassung. Der Arbeitskampf wirf ein Schlaglicht auf
die schwachen Arbeits- und Gewerkschaftsrechte im Land.
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Seit Sonntag sind sie alle arbeitslos. Vor zwei Jahren hat der
tuerkische Staat seinen Tabak- und Bierkonzern Tekel privatisiert und
jetzt die nicht verkaufbaren Lager- und Produktionsstaetten
geschlossen. Rund 11000 Beschaeftigte wissen nicht, wie es fuer sie
weitergeht.

Die Protestaktionen der Tekel-Beschaeftigten machen in der Tuerkei
seit fast zwei Monaten Schlagzeilen. Einige Beschaeftigte ketteten
sich an die Bosporus-Bruecke an. Andere protestierten in Ankara vor
der Parteizentrale der Regierungspartei AKP. Dabei liessen sich die
Aktivistinnen auch nicht einschuechtern, als eine Hundertschaft
PolizistInnen ruede gegen sie vorging und 42 von ihnen festnahm.
Hunderte beteiligen sich zudem seit Wochen vor der
Gewerkschaftszentrale in Ankara an einem Sitzstreik. Tag und Nacht
harren sie trotz Eiseskaelte aus.

Ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht: Bei einem Referendum unter
den ArbeiterInnen vor zwei Wochen sprachen sich bei 9683 abgegebenen
Summen nur 55 Beschaeftigte dafuer aus, die Aktionen einzustellen.
Mitte Januar demonstrierten zwischen 30000 (nach Angaben der Polizei)
und 90000 Menschen (nach Angaben der Gewerkschaften) in Ankara fuer
die Rechte der Tekel -ArbeiterInnen. 600 Busse aus der ganzen Tuerkei
fuhren DemonstrantInnen nach Ankara.

Dir Tekel- Beschaeftigten haben mit ihren Protestaktionen inzwischen
viel Sympathie im ganze Land gewonnen. Rund ein Dutzend Parteien in
Ankara und selbst Politikerinnen aus Bruessel.eigen ploetzlich Herz
fuer die ArbeiterInnen am Bosporus. Ueabei sprach bislang kaum jemand
ueber Alternativen zur Privatisierung staatlicher Betriebe. Die
EU-Abgeordneten, die jetzt ihre .Solidaritaet bekunden, weisen nur
selten darauf hin, dass Ankara den Verkauf seiner Staatsbetriebe auch
auf Druck der EU vorantrieb.

Exemplarischer Fall

1982, nach dem letzten grossen Militaerputsch, waren in der Tuerkei
noch rund 50 Prozent der gesamten Industrieproduktion und des Handels
in der Hand des Staates. 2006 waren es nur noch 7,5 Prozent. Kurz
danach wurde auch das fruehere Monopolunternehmen Tekel bei einer
Auktion fuer fast zwei Milliarden US-Dollar an den britischen
Tabakkonzern BAT verkauft. Tekel war zuvor von den staatlichen
Managerinnen so katastrophal gefuehrt worden, dass der Betrieb lange
Zeit der groesste Steuerschuldner des Landes war.

Bei der aktuellen Auseinandersetzung geht. es um mehr als das
Schicksal von Staatsbeschaeftigtcn, die mit einer Privatisierung
konfrontiert sind. Zum ersten Mal seit langem wird auch ueber die
Rechte der Lohnabhaengigen und der Gewerkschaften gesprochen. Vor dem
letzten grossen Militaerputsch 1980 gab es in der Tuerkei eine starke
linke Gewerkschaftsbewegung. Doch die Generaele raeumten gruendlich
auf.

Betriebliche Mitbestimmungsrechte existieren heute ebenso wenig wie
schlagkraeftige und einheitlich auftretende Gewerkschaften. So
betassen sich sechs verschiedene Gewerkschaften mit den Forderungen
der Tekel-Beschaeftigten. Die einen streben eine bessere soziale
Ubcrgangsloesung fuer die Entlassenen an, die anderen fordern, dass
die Regierung die Tekel-ArbeiterIinnen in anderen staatlichen
Betrieben weiterbeschaeftigt.

Fehlende Gewerkschaftsrechte

Bereits das Recht, Gewerkschaften zu gruenden und sich in
Gewerkschaften zu -organisieren, ist so stark eingeschraenkt wie in
keinem anderen europaeischen Land. Von den knapp hundert verschiedenen
Gewerkschaften im Land darf gerade mal die Haelfte ueberhaupt
Gesamtarbeitsvertraege (GAVs) abschliessen. Eine Gewerkschaft muss
dazu mindestens 10 Prozent der Beschaeftigten einer Branche und 51
Prozent des betreffenden Betriebs in ihrer Organisation aufgenommen
haben. Aus diesem Grunde untersteht von den rund zwanzig Millionen
Lohnabhaengigen in der Tuerkei nicht einmal eine Million einem GAV.

Gewerkschaften duerfen nur im Rahmen von Vertragsverhandlungen
streiken. Warnstreiks, Generalstreiks oder Unterstuetzungsstreiks sind
gesetzlich verboten. Wer Gewerkschaftsmitglied werden will, muss sich
das sogar vom Notar beglaubigen lassen. Die Unternehmerinnen haben
dagegen zahllo-s» Moeglichkeiten, die Beschaeftigten an der
gewerkschaftlichen Arbeit zu hindern, Zwischen 2003 und 2008 wurden
nach Angaben der Gewerkschaft Disk 30 000 ihrer Mitglieder entlassen,
weil sie sich gewerkschaftlich betaetigt hatten. Vor nicht allzu
langer Zeit verurteilte auch der Europaeische Gerichtshof fuer
Menschenrechte die Tuerkei: Elf Lehrerinnen hatten an einer Kundgebung
fiir hoehere Gehaelter im oeffentlichen Dienst teilgenommen und waren
deshalb 2002 mit drei Monaten Haft, einer Geldstrafe und einem
zusaetzlichen Berufsverbot von drei Monaten bestraft worden.

Rede vom Generalstreik

Ein Angebot der Regierung, den Tekel-Beschaeftigten hoehere
Uberbrueckungsleistungen - zumindest fuer die naechsten elf Monate -
zu zahlen, wurde am Montag von den Arbeiterinnen und ihren
Gewerkschaften abgelehnt. Die Gewerkschaften reden jetzt davon, einen
eintaegigen Generalstreik auszurufen. Unabhaengig davon wollen die
Tekel-Beschaeftigten im Laufe dieser Woche mit einem Hungerstreik
beginnen.

Die Regierung hat die Protestbewegung bislang unterschaetzt.
Finanzminister Mehmet Simsek erklaerte noch vor wenigen Tagen
schnippisch: «Wir koennen doch nicht das Geld aller Steuerzahler an
eine Handvoll Arbeiter verteilen." Soll man nun nachgeben oder doch
weiterhin den «starken Staat» markieren? Regierungschef Tayyip Erdogan
will ab Ende des Monats mit allen «gebotenen Mitteln» gegen die
«illegalen Arbeiter-Proteste» vorgehen. Nachgeben koennte weitere
Privatisierungen infrage stellen. Ausserdem geraet er angesichts der
Wirtschaftskrise und einer realen Arbeitslosigkeit von gegen achtzehn
Prozent zunehmend unter Druck. Waren vor eineinhalb Jahren noch 55
Prozent der Waehlerinnen der Meinung, die Regierung arbeite
erfolgreich, so glauben das jetzt gerade noch 25 Prozent. Ueber die
Haelfte der Bevoelkerung hat zudem die Hoffnung verloren, dass es
besser wird. Im Gegenteil: Die meisten Tuerkinnen erwarten, dass es
ihnen im naechsten Jahr noch schlechter gehen wird als heute.
(Dieter Sauter, WoZ 5/2010)

> Protest in Wien

Fuer die Einhaltung der Rechte der Gewerkschaften und gegen die
Schliessung der Lagerstaetten, um ein Zeichen der Solidaritaet zu
setzen, rufen der Gewerkschaftliche Linksblock und der Verein ADA zu
einer Kundgebung am Freitag, 12. Februar um 10:30 Uhr vor dem
tuerkischen Konsulat, Hietzinger Hauptstrasse 29, 1130 Wien, auf.



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