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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Februar 2010; 20:53
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Vor 10 Jahren:

> Warum ich nur mehr "Guten Tag" sage

Am 4.Februar vor zehn Jahren wurde die erste schwarz-blaue
Bundesregierung angelobt. Was die einen als "Wende" sahen, sahen
andere als unverzeihlichen Tabubruch. Unabhaengig von der jeweiligen
politischen Ausrichtung hat vermutlich jeder diesen Tag und die
unmittelbar folgenden Ereignisse als spannend erlebt. Ein
persoenlicher Rueckblick.

Es war die erste Regierungsbildung, die ich live im Fernsehen ansah.
Im Buero des ORF-Landesstudios NOe. Es war das Zimmer, das fuer
staendige Freie Mitarbeiter und Volontaere reserviert war. Das gab's
damals noch. Ich hatte die Aufgabe, aufzupassen, ob etwas besonderes
passieren wuerde. Abgesehen von der steiernen Miene von
Bundespraesident Thomas Klestil. Und den Demonstranten vor der
Hofburg.

Parallel suchte ich mir mal die verfuegbaren Nummern der neuen
Regierungsmitglieder aus dem Telefonbuch. Man weiss nie, wozu man
sowas braucht. Ausserdem wusste ich, dass ich fuer den fruehen
Nachmittag einen Radiobeitrag mit den Ressortzustaendigkeiten machen
wuerde muessen. Da war das auch eine gute Gedaechtnisuebung im
Vorfeld. Was ich mir damals dachte, hat damals niemand mitbekommen,
denke ich. Mit Ausnahme der wenigen Kolleginnen und Kollegen, mit
denen ich darueber sprach. Das Publikum hoerte bestimmt nichts. Das
zaehlt nicht zu den Aufgaben eines Journalisten.

Is eh wurscht

Gut kann ich nicht ausgeschaut haben an dem Tag. Ich war, wie man so
schoen sagt, "uebernachtig". Die Ankuendigung des Vorabends, morgen
werde die schwarz-blaue Regierung angelobt, raubte mir den Schlaf. "Is
eh wurscht". Mit diesen Worten waelzte ich mich im Bett hin und her
und versuchte mich zu beruhigen. Wohl wissend, dass es nicht "wurscht"
sein werde, dass die FPOe in der Regierung war und die OeVP den
Kanzler stellte. Die Vorstellung hatte etwas zutiefst Beunruhigendes.

Als 20-Jaehriger machte mir die Sache sicher mehr Angst als mir eine
vergleichbare Situation heute machen wuerde. Was wunder? Die Parolen
eines Joerg Haider waren nicht ohne. Die "ordentliche
Beschaeftigungspolitik im Dritten Reich" hatte ich im Ohr, ebenso die
Ehrung der Waffen-SS'ler von Krumpendorf. Dazu das
Auslaendervolksbegehren. Ich fuerchtete um meine vielen Freunde, die
verschiedene Schicksale und Plaene aus verschiedenen Erdteilen nach
Oesterreich gebracht hatten. Es erschien mir nicht ausgeschlossen,
dass diese Regierung alle "Auslaender" rauswerfen wuerde, denen sie
irgendetwas anhaengen konnte.

Brennende Strassenbahnen und eine politische Bilanz

Das war auch Thema eines Gespraechs am Abend, in irgendeinem Lokal in
Wien. Vielleicht war es das Sagya, ein sehr empfehlenswertes
afrikanisches Restaurant. Ich weiss nur, dass neben mir ein Bekannter
aus dem Senegal stand, und irgendwo in der Naehe war ein weiterer
Bekannter aus Indien. Wir waren alle aufgewuehlt von der
Berichterstattung, von Geruechten, die Demonstrationen seien eskaliert
und eine Wiener Strassenbahn stuende in Flammen. Dazwischen Meldungen
von Knueppelaktionen der Polizei, die die Runde machten. Und die
Ueberlegung, was mit den Leuten passieren wuerde, die nicht her
geboren waren. Die Ueberzeugung, bald wuerde es Massendeportationen
geben, war zumindest in diesen Kreisen durchaus verbreitet.

So weit kam es doch nicht. Etwas hysterisch waren wir schon. Was aber
diese "Wenderegierung" nicht zu einer Wohltat fuer diese Republik
macht. Sozialabbau, Kahlschlag bei oeffentlichen Infrastrukturen von
Bezirksgerichten, Postaemtern bis zu Gendarmerieposten. Da war alles
drin. Nebenbei die Verstaatlichte verscherbelt, oder was von ihr
uebrig war. Und offensichtlicher politischer Postenschacher wie beim
Hauptverband der Sozialversicherungstraeger. Das alles war
Schwarz-Blau I. Schwarz-Blau II machte dort munter weiter und
enteignete Millionen Arbeitnehmer mittels so genannter
Pensionssicherungsreform.

Der abgeschaffte Konsens

Diese Entwicklungen waren am ersten Tag der Angelobung nicht absehbar.
Oder vielleicht auch nur fuer mich nicht vorstellbar. Ich kannte
nichts anderes als die Grosse Koalition. An Fred Sinowatz konnte ich
mich nur rudimentaer erinnern, und dass damals eine - wenn auch ihrem
Wesen nach ganz andere - FPOe in der Regierung war, war nicht Teil der
aktiven Erinnerung. Ich wusste es aus Schulbuechern.

Nicht, dass mir die Grosse Koalition als die Verkoerperung meiner
Ideale erschienen waere. Ich haette damals eine Ampel-Koalition
bevorzugt. Nur ging sich die hint und vorn nicht aus. Allein schon
mangels LIF im Nationalrat. Aber es reichte, um mir die schwarze
Zusammenarbeit mit der blauen Truppe suspekt zu machen. Mehr als
suspekt, um genau zu sein.

Und bis zum 4. Februar 2000 galt - bei allen Breschen, die die FPOe
geschlagen hatte - so etwas wie ein Grundkonsens in punkto des
politischen Anstands in diesem Land. Zumindest bei den 73 Prozent der
Bevoelkerung, die die FPOe nicht gewaehlt hatten. Deutsche oder
franzoesische Standards erreichte der Konsens nicht, aber er war da.

Von heute aus betrachtet nehmen sich die bald anschliessenden
Haiderschen Exkurse (der franzoesische Staatspraesident Jacques Chirac
als Westentaschen-Napoleon, die Anspielungen auf die "Ostkueste" als
Gegensatz zum "goldenen Wiener Herz") beinahe wie unschuldige
Redewettbewerbe in einem Maedchenpensionat aus. "Wien darf nicht
Chicago werden" sorgte ein paar Jahre davor noch fuer helle Aufregung.
Was ist das im Vergleich zu "Daham statt Islam" oder "Abendland in
Christenhand"? Nur hat die Tatsache, dass diese gezielten Ausrutscher
Joerg Haiders keinerlei Konsequenzen hatten, den Boden fuer die
aktuelle Stimmung in diesem Land aufbereitet. Jeder darf alles sagen -
Hauptsache, es kommt von rechts.

Wir rechneten mit einem baldigen Ende

Dass so etwas passieren konnte, war schon damals allen klar, die sich
irgendwie mit Politik beschaeftigten, auch mir als 20-Jaehrigem. Den
Menschen, die auf den Donnerstagsdemonstrationen waren, sowieso.
Irgendwie sympathisierte ich mit ihnen, hielt aber ihre Versuche fuer
fruchtlos. Dennoch ging ich wie viele davon aus, dass es diese
Regierung bald zerreissen wuerde. Dass Wolfgang Schuessel bei aller
seiner amoralischen Paktiererei nach irgendeinem allzu argen
Haider-Sager die Koalition wuerde platzen lassen muessen. Allein schon
seiner Eitelkeit halber.

Dass Schuessel die Sanktionen der EU-14 ignorierte, darf nicht
darueber hinwegtaeuschen, dass fuer ihn eine gewisse Reputation
Oesterreichs wichtig war. Er erwartete zumindest, als
"Europapolitiker" hofiert zu werden. Ob Oesterreich als rassistisches
Land galt, schien ihn nur insofern zu interessieren, als es sich auf
seine Ambitionen auswirkte. Im Regelfall also nicht. Die Vorstellung
mag Wunschdenken gewesen sein. Vielleicht hielt sich Haider auch
gerade genug zurueck.

Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Regierungsbildung reagiert
haette, wenn ich juenger, aber schon politisch interessiert gewesen
waere. Vielleicht waere es mir als normaler Regierungswechsel
erschienen. Vielleicht waere ich auf die Strasse gegangen. Ich bin
froh darueber, dass ich es nicht erfahren musste. Die FPOe mit ihren
diversen Abspaltungen oder Doch-nicht-mehr-Abspaltungen ist fuer mich
bis heute keine "normale" Partei, mit der man leben kann. Hoechstens
Bestandteil der oesterreichischen Realverfassung.

Fuer Menschen, die fuenf oder zehn Jahre juenger sind, ist das anders.
Die haben diese Entwicklung nicht miterlebt. Sie koennen sich nur
erinnern, dass rechtslastige Gestalten in hoechste Staatsaemter
gekommen sind und fragen sich wahrscheinlich, was die Aufregung damals
sollte. Fuer viele sind verhoehnende, menschenverachtende Sprueche und
Diffamierungen einfach ein Bestandteil der Realitaet. Immer schon da
gewesen. Warum sich aufregen? Ist doch normal.

Das gleiche gilt fuer die Mentalitaet, die die FPOe verkoerpert. Deren
Angriffe richten sich immer gegen Menschen, die sich nicht wehren
koennen. Migrantinnen und Migranten, Menschen in finanziellen
Notlagen, Studierende und so weiter. Menschen ohne einflussreiche
Lobby in dem Land.

OeVP-Programm mit blauen Placebos

Schwarz-Blau brachte mich dazu, vieles zu hinterfragen. Natuerlich
erkannte ich irgendwann, dass hier in Wahrheit ein
OeVP-Regierungsprogramm durchgeboxt wurde, mit ein paar blauen
Placebos drin. Damals war meine Entruestung ueber die OeVP eher
moralischer Natur. Sie hatte den Cordon Sanitaire durchbrochen, den
konservative Parteien in ganz Europa errichtet hatten. Nur der Macht
wegen.

Was sie ist, zeigt sich mir wenig spaeter: Eine Mischung aus
beinharter Unternehmervertetrung und alpenlaendisch-miefiger
Fortschrittsfeindlichkeit in gesellschaftlichen Belangen, mit ein
wenig Dekoration aus salbungsvollen Worten ueber katholische
Soziallehre, Zuckerstreuseln auf einer Torte gleich. Damit man die
bitteren Pillen nicht schmeckt, die in der Mehlspeise stecken. Nicht,
dass mir die Clique vorher sympathisch gewesen waere. Aber groesser
wurde die Sympathie seitdem auch nicht.

Warum ich "Guten Tag" sage

Ich fluechtete mich damals in eine teilweise innere Emigration, die
einige Jahre anhielt. Ganz hinnehmen wollte ich das Geschehene nicht.
Kleine Zeichen des Widerstands im Alltag setzen. Zeigen, dass ich
nicht Teil dieser fremden- und intelligenzfeindlichen miefigen Allianz
bin. Den ersten Schritt tat ich an diesem 4. Februar. Ich beschloss,
mir diese Verkoerperung des katholischen Miefs abzugewoehnen, dieses
furchtbare "Gruessgott", das die rechte Reichshaelfte so sehr zum
oesterreichischen Gruss hochzustilisieren versucht. Der Gruss, der die
weltanschauliche Haltung zu einer Frage des Patriotismus macht - oder
zu einer des mangelnden Reflexionsvermoegens. Bis dahin hatte ich
mir - wie viele - wenig dabei gedacht. An diesem 4. Februar aenderte
sich das. Ich sage nur mehr "Guten Tag".
*Christoph Baumgarten (bearb.)*

Originaltext: http://www.politwatch.at/stories/guten-tag/





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