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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Februar 2010; 13:00
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Soziales
> Armut in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Am 27. Jaenner 2010 luden AK-Salzburg und OeGB zur Tagung "In der 
Mitte der Gesellschaft - Zur sozialen Lage und Armutsgefaehrdung von 
niedrigverdienenden Beschaeftigten im Bundesland Salzburg", In diesem 
Rahmen praesentierte Birgit Buchinger (Grundlagenforschung, solution) 
ihre gleichnamige Studie.
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Walter Androschin eroeffnete die Tagung im Namen von AK und OeGB mit 
dem Hinweis, dass die Motivation, sich mit dem Thema 
auseinanderzusetzen, darauf fusst, dass die EU das Jahr 2010 als Jahr 
des Kampfes gegen Armut und soziale Ausgrenzung definiert hat; in 
Oesterreich seien etwa 12%, das sind etwa 1 Million Menschen, 
armutsgefaehrdet, davon gelten etwa 400.000 Menschen als manifest arm, 
und dies im achtreichsten Land der Erde. Besonders betroffen sind 
Alleinerziehende, MigrantInnen, Familien mit mehr als zwei Kindern, 
Menschen mit Behinderung. Fuer AK/OeGB geht es darum, von 
Verteilungsgerechtigkeit zu sprechen und diese einzufordern.
Birgit Buchinger praesentierte einige Eckdaten: ein Verdienst von 
weniger als 1.500 Euro brutto monatlich gilt als die bedrohliche 
Grenze zur Armutsgefaehrdung, davon sind im Bundesland Salzburg 52% 
der Beschaeftigten (117.186 Personen) betroffen, zwei Drittel davon 
sind Frauen. 21% der Beschaeftigten verdienen weniger als 1.000 Euro 
brutto, zwei Drittel davon sind Frauen. Tourismus, persoenliche und 
unternehmensbezogene Dienstleistungen (Reinigung usw.) sowie der 
Handel sind die klassischen Niedriglohnbranchen, geringfuegig und 
atypisch Beschaeftigte stellen einen hohen Anteil. Der Unterschied 
zwischen maennlicher Niedriglohnarbeit und weiblicher 
Niedriglohnarbeit liegt darin, dass Maenner fuer eine bestimmte 
Zeitdauer betroffen sind, waehrend sich der Niedriglohn bei Frauen 
durchgehend manifestiert und Normalitaet erlangt. Das Armutsrisiko 
erhoeht sich bei geringem Ausbildungsgrad, bei Ein-Eltern-Haushalten, 
Herkunft mit Migrationshintergrund, wenn kein Wohnungseigentum 
besteht, also bei Haupt- oder Untermiete, bei Arbeitslosigkeit, 
Mehrfachbeschaeftigungen oder Abhaengigkeit von Sozialleistungen. 
Birgit Buchinger fasste zusammen, dass bei Einkommen an der Grenze zur 
Armutsgefaehrdung nichts passieren darf, etwa Krankheit, Trennung, 
Arbeitslosigkeit, solche Faktoren fuehren in die Armut.
Elisabeth Mayer (ORF) skizzierte die Medienbranche und betonte, dass 
im Journalismus von jeher prekaere Arbeitsverhaeltnisse geherrscht 
hatten. JournalistInnen waren immer schon mit Werkvertraegen und als 
freie MitarbeiterInnen mit geringer Absicherung konfrontiert, der 
Unterschied zur heutigen Situation ist jener, dass die JournalistInnen 
frueher von Medienunternehmen als Angestellte uebernommen worden sind, 
dies ist immer weniger der Fall. Sie beschrieb die Begegnung mit einer 
jungen Kollegin auf einer Pressekonferenz, die geschildert hatte, dass 
sie zwischen zwei Angeboten waehlen konnte, entweder ein Praktikum zum 
Null-Tarif zu absolvieren oder um 100 Euro im Monat zu arbeiten - sie 
entschied sich fuer den 100 Euro Job. Elisabeth Mayer erlaeuterte, 
dass die Medien selbst ein Teil des Problems sind und eine 
Vorreiterrolle im Auf- und Ausbau des Niedriglohnsektors spielen.
Daniela Diethoer (Frau und Arbeit) arbeitet beratend mit Frauen, die 
sich in schwierigen Situationen an "Frau und Arbeit" wenden. Sie 
betonte, dass Frauen Beratung suchen, wenn sie vor dem Problem der 
Arbeitslosigkeit stehen, mehr Geld verdienen muessen, sich in Trennung 
befinden; das beherrschende Thema ist Angst. Die Frauen sind oft 
frustriert, demotiviert, an erster Stelle steht Sicherheit. Das 
bedeutet, dass Frauen auch in schlechten Beziehungen ausharren, 
uebermaessig lang in schlechten und miserablen Jobs ausharren, 
unglaubliches Durchhaltevermoegen entwickeln, um sich und primaer ihre 
Kinder abzusichern, sich nie an die erste Stelle setzen, oftmals schon 
vergessen haben, sich ueberhaupt etwas zu wuenschen - die Folge ist 
ein Anstieg der Burn-Out-Erkrankungen. Mehrfache Benachteiligungen 
erfahren Frauen, wenn sie Alleinerziehende, bereits aelter oder 
Migrantinnen sind.
Thomas Berger (VIDA Salzburg) raeumte ein, dass die Machtverhaeltnisse 
zur Zeit eindeutig zu Gunsten der Unternehmer ausgerichtet sind, die 
VIDA vertritt zahlreiche Beschaeftigte im Niedriglohnsektor, der 
kollektivvertragliche Mindestlohn im Tourismus liegt etwa bei 1.200 
Euro brutto, ein Viertel der Beschaeftigten in dieser Branche ist von 
Armutsgefaehrdung betroffen.
Guenther Haider (Paedagoge, Bundesinstitut fuer Bildungsforschung) 
ortet das Bildungssystem als Teil des Problems, das Armut schafft. Er 
formulierte, dass das Bildungssystem die Chancen nicht gleich 
verteilt, obschon es ausgleichend zu wirken haette. Er skizzierte 
folgenden grausamen Kreislauf, in welchen die Kinder in diesem 
Bildungssystem geraten, welches auf Selektion aufgebaut ist: Kinder 
aus "bildungsfernen" Schichten erhalten die schlechteren Noten, auch 
bei gleicher oder besserer Leistung in den unteren Schulstufen, sie 
schaffen den Aufstieg in eine hoehere Schule nicht; sollten sie diesen 
dennoch schaffen, erhalten sie wieder die schlechteren Noten, auch bei 
gleicher Leistung im Vergleich mit Kindern, die als 
foerderungswuerdiger erachtet werden. Schaffen sie es trotz aller 
Benachteiligung, ein Studium zu beginnen, brechen sie es zu einem viel 
hoeherem Prozentsatz ab; schaffen sie es ein Studium abzuschliessen, 
sind ihre beruflichen Chancen dennoch geringer. Spaetere 
Armutsgefaehrdung und Armut wird vorproduziert, Chancengleichheit 
bereits in fruehem Kindesalter verunmoeglicht. In Oesterreich steht 
jedes zehnte bis zwoelfte Kind nach Beendigung seiner Schulpflicht auf 
der Strasse, ohne weitere Perspektive, ohne Lehre. Saemtliche 
ReferentInnen waren sich darin einig, dass die Gesamtschule ein Weg zu 
mehr Gerechtigkeit sein koennte. Es verwundert wohl nicht, dass ein 
Bildungssystem, welches schichtspezifische Benachteiligungen 
auszugleichen in der Lage waere, gerade von der OeVP vehement 
abgelehnt wird.
Liane Pluntz (Frauenreferat AK-Salzburg) betonte, dass 
Geschlechtergerechtigkeit die Basis dafuer ist, Armutsgefaehrdung zu 
bekaempfen. Obwohl die Rollenaufteilung der Geschlechter (Mann 
ernaehrt die Familie, Frau ist zu Hause) bruechig geworden ist, werde 
die Frau noch immer in der Rolle der Zuverdienerin gesehen, die in der 
Armutsfalle sitzt, sobald es zur Trennung kommt oder der Mann 
arbeitslos wird. Wir Frauen muessen uns von diesem Rollenbild endlich 
verabschieden; anstelle der falschen, inzwischen auch oekonomisch 
nicht mehr haltbaren These der sozialen Sicherheit ueber den Partner 
muss Geschlechtergleichheit treten, um Armutsgefaehrdung und Armut zu 
verhindern.
Erheiternd auf das Publikum dieser Tagung wirkten die Aeusserungen 
eines Vertreters der Wirtschaftskammer Salzburg, Kommerzienrat Konrad 
Steindl, der sich allerdings erst nachmittags aufs Podium bequemte, 
nachdem die ernuechternden Daten bereits laengst auf dem Tisch lagen. 
Er behauptete, dass die Umverteilung in Oesterreich viel besser sei 
als in anderen Laendern und hier die Einkommen sehr gut waeren. Den 
Hinweis der Moderatorin, dass sich die Tagung schon einen halben Tag 
lang mit Fakten beschaeftigt hatten, die den grossen Umfang der 
Niedriglohnbranchen und die Gefahren fuer die Entwicklung manifester 
Armut in Oesterreich aufzeigten, kommentierte er damit, dass in 
Detailfragen natuerlich immer Verbesserungen moeglich seien; 
Vermoegensbesteuerung lehne er aber ab. Bei aller Situationskomik - 
denkt man/frau daran, dass die Grundhaltung, die dieser Teilnehmer zum 
Ausdruck brachte, die herrschende Gesellschaftsordnung widerspiegelt, 
die Machtverhaeltnisse und die wachsende Ungerechtigkeit der 
Verteilung der Mittel von unten nach obe, dann bleibt einem das Lachen 
im Halse stecken.
Erika Scharer, Landesraetin fuer Soziales und Gesundheit, kann sich 
wiederum gut vorstellen, Transferleistungen der oeffentlichen Hand zu 
ueberpruefen. Sie kann sich etwa vorstellen, dass Transferleistungen, 
die ein Kind betreffen, nicht direkt beim Kind ankommen, sondern fuer 
weitere Betreuungsangebote genutzt werden, welche wiederum den Frauen 
zugute kommen koennten. Was das bedeuten soll, hat sie nicht 
ausgefuehrt. Eine konkrete Idee, wie sie als verantwortliche 
Politikerin gedenkt, Armut und Armutsgefaehrdung wirksam und dauerhaft 
zu bekaempfen, blieb sie ebenfalls schuldig.
Zu erwaehnen bleibt noch, dass der gesamte Sozialbereich auf dieser 
Tagung eher ausgeklammert blieb. Im Sozial- und Gesundheitswesen 
werden Gehaelter ausbezahlt, die vielfach an der Grenze der 
Armutsgefaehrdung liegen. Wenn mensch sich etwa die Gehaltstabellen 
des BAGS-Kollektivvertrags oder aber die Debatte um die 
24-Stunden-Pflege ansieht, dann kann von anstaendiger Entlohnung keine 
Rede mehr sein.
Dass AK/OeGB erst auf die EU und ihr Statement zur Armutsbekaempfung 
verweisen muessen, um sich mit dem Thema zu beschaeftigen, sei einmal 
beiseitegelassen. Positiv ist, dass dieser Studie eindrucksvoll 
belegt, was wir schon immer wussten: es sind zu zwei Drittel Frauen 
von Armutsgefaehrdung und Armut betroffen. Und: die Veranstaltung hat 
sich auf die Frauen bezogen, wobei sie nicht mehr Frauenarmut als 
Spezialthema behandelt hat, sondern Armut als selbstverstaendlich sich 
auf Frauen beziehend. Es sind primaer Frauen zu Wort gekommen, das 
Thema insgesamt wurde in den Vordergrund gerueckt. Auffallend war auch 
das explizite Augenmerk auf MigrantInnen und Menschen in atypischen 
Beschaeftigungsverhaeltnissen. Das sind alles Themen, die AK/OeGB vor 
einigen Jahren noch nicht einmal interessiert haben. Zum Vergleich: 
die Salzburger Armutskonferenz, die mit breitem Fachwissen 
ausgestattet wird, schafft es immer wieder, Frauen als Randthema zu 
behandeln, und handelt dieses Thema in einer laecherlichen 
Vorkonferenz ohne Medienbeteiligung zu unattraktiven Zeiten im 
Hinterkaemmerle ab. Demgegenueber scheint es angebracht, diese Tagung 
als das bessere Beispiel zu praesentieren.
*rosalia krenn*
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