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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. Jaenner 2010; 01:56
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Recht/Glosse:
> Verstaendnis ist nicht Billigung
Gruen und und rosarot und blaun sind sich einig. Und das bei einem 
Auslaenderthema! Kurier und Standard kommentieren es aehnlich wie die 
Parteien. Die ganze Nation ist empoert: Ein in der Tuerkei geborener 
Oesterreicher hatte etliche Male auf seine Frau eingestochen, weil 
diese sich hatte scheiden lassen wollen. Die Frau ueberlebte nur 
knapp. Der Taeter wurde -- noch nicht rechtskraeftig -- zu 6 Jahren 
Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung, da sie ein 
etwas hoeheres Strafmass verlangt. Der Grund fuer die allgemeine 
Aufregung dabei: Das Gericht haette (so die Formulierung im 
"Standard") das "Urteil wegen versuchtem Totschlag mit kultureller 
Herkunft des Taeters" begruendet.
Doch das ist wohl eine sehr verkuerzte Sicht der Dinge. Die 
Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Klagsschrift ausgefuehrt, dass im 
Zweifel davon auszugehen sei, "dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 
aufgrund der heftigen Diskussion um den Scheidungsvorsatz seiner 
Gattin in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemuetsbewegung war. 
Gerade Auslaender oder Personen mit Migrationshintergrund befinden 
sich haeufig in besonders schwierigen Lebenssituationen, die sich, 
auch beguenstigt durch die Art ihrer Herkunft, in einem Affekt 
entladen kann. Obwohl Affekte von Auslaendern in Sittenvorstellungen 
wurzeln koennen, die oesterreichischen Staatsbuergern mit laengerem 
Aufenthalt fremd sind, koennen sie noch allgemein begreiflich sein". 
Der Schoeffensenat hatte sich bei seinem Urteil dieser Ansicht 
weitgehend angeschlossen.
In den Aussendungen der Parteien und Kommentaren der Zeitungen lautete 
dann der Protest gegen diese Klagsschrift beispielsweise so: "Der Mann 
hat offensichtlich versucht, seine scheidungswillige Gattin zu toeten. 
Dass er dafuer mit sechs Jahren wegen versuchten Totschlags 
davonkommt, weil man ihm als Auslaender Sonderrechte zubilligt, ist 
unertraeglich" (FPOe).
Oder so: "Migranten-Herkunft als Milderungs- oder gar 
Entschuldigungsgrund bei Gewalt gegen Frauen seitens eines Gerichts 
anzufuehren, widerspricht dem Grundsatz, Menschen gleichen rechtlichen 
Schutz zu gewaehren. In Oesterreich lebende Menschen haben unabhaengig 
von ihrer Herkunft das Recht nach oesterreichischem Recht geschuetzt 
und bestraft zu werden" (Gruene).
Oder so: "Freilich praegen Herkunft, Erziehung und soziales Umfeld 
jeden Menschen, diese Einfluesse muessen bei der Beurteilung einer Tat 
beruecksichtigt werden. Aber das darf nicht so weit gehen, die 
Abstammung zum Freibrief zu machen" (Kurier).
6 Jahre Haft sind nun wirklich kein Freibrief. Warum also eine derart 
breite, sich nur marginal in der Wortwahl unterscheidende Textflut der 
Empoerung? Also, 6 Jahre waren es deswegen, weil die 
Staatsanwaltschaft die Tat nicht als versuchten Mord, sondern als 
versuchten Totschlag gewertet hatte. Bei Mord gilt ein Minimum von 10 
Jahren Haft. Durch die Formulierung der Staatsanwaltschaft entstand 
der Eindruck, das Verfahren waere nur deswegen wegen Totschlags 
verhandelt worden, weil der Taeter in der Tuerkei geboren ist.
Doch dieser Eindruck ist falsch. Denn es ging nicht darum, dass die 
Tat "allgemein begreiflich" sei, sondern der Affekt. Ein aehnlicher 
Affekt waere beispielsweise auch bei einem erzkatholischen Ehemann 
begreiflich, dem die Ehe fuer unaufloeslich gilt. Es geht um die 
subjektive Tatseite und da ist klar, dass die Erziehung eine Rolle 
spielt -- um die subjektive Tatseite beurteilen zu koennen, muss man 
das Subjekt auch verstehen wollen. Die Frage war, ob eine 
Affekthandlung denkbar ist oder ob es sich um eine im vollen 
Bewusstsein der Schuldhaftigkeit und unbedingt vorsaetzliche Tat 
gehandelt hat. Ist letzteres zumindest zweifelhaft, kann nicht wegen 
Mordes verhandelt werden. Es geht dabei aber eben um ein Verstaendnis 
des Affekts -- nicht um die Billigung dessen oder gar der Tat. Waere 
dem so, koennte man den Tatbestand des Totschlags aus dem 
Strafgesetzbuch streichen, denn er waere nicht mehr anwendbar, ist 
doch nach oesterreichischem Recht die Abgrenzung zum Mord lediglich in 
der subjektiven Tatseite vorhanden; der objektive Tatbestand ist der 
Gleiche.
Die Staatsanwaltschaft hatte also nur ganz korrekt das Gesetz 
ausgelegt. So dreht sich das dialektisch um: Haette sie die 
Einstellung der Empoerten gehabt, haette das geheissen, sie haette --  
nur weil der Beschuldigte gebuertiger Tuerke ist -- wegen Mordes 
klagen muessen. Bei einem gebuertigen Oesterreicher hingegen waere es 
trotzdem Totschlag gewesen, so angenommen werden kann, dieser habe im 
Affekt gehandelt.
Die Frage, ob der Gesellschaft oder auch nur einem Opfer geholfen ist, 
wenn man einen Gewalttaeter einsperrt, muss prinzipiell immer wieder 
neu gestellt werden. Strafdrohungen halten selten Menschen davon ab, 
derlei zu begehen, schon gar nicht, wenn es sich um Beziehungstaten im 
Affekt handelt. Akte der Verzweiflung oder der Wut wird man damit nie 
unterdruecken koennen. Aber dieses Rechtssystem existiert und in 
diesem Fall ist es voellig korrekt angewandt worden.
Wenn sich die FPOe ueber so ein Urteil aufregt, dann ist das 
verstaendlich, weil in deren Augen sind Menschen aus der Tuerkei 
anscheinend sowieso prinzipiell boese und gehoeren auch bei 
Falschparken wegen Mordes angeklagt. Nicht akzeptabel ist es aber, 
wenn SPOe, Gruene oder sich als buergerlich verstehende Kommentatoren 
derart vom Leder ziehen. Deren Schreibtischtaten muss man zwar schon 
mit einer gewissen Milde beurteilen, da sie moeglicherweise aus einer 
"allgemein begreiflichen, heftigen Gemuetsbewegung" gesetzt worden 
sind. Billigen muss man so ein Affektverhalten aber nicht.
*Bernhard Redl*
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