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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. Jaenner 2010; 02:32
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Deutschland:
> Fuenf Jahre Hartz IV
Der Niedriglohnsektor breitet sich aus
Vor fuenf Jahren, am 1. Januar 2005, trat die Hartz-IV-Reform in
Kraft. Das vierte Gesetz zur Arbeitsmarktreform, die von der
Hartz-Kommission im Auftrage der rot-gruenen Bundesregierung unter
Kanzler Gerhard Schroeder entwickelt worden war, sah weitreichende
Aenderungen bei der Arbeitslosenversicherung vor, darunter die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Seit 2005 bekommen Arbeitslose nur noch ein Jahr lang Arbeitslosengeld
I (ALG I), das sich an der Hoehe des letzten Lohnes bemisst. Danach
erhalten sie Arbeitslosengeld II (ALG II). Dessen Hoehe ist - aehnlich
wie bislang die Sozialhilfe - unabhaengig vom bisherigen Einkommen und
betraegt derzeit 359 Euro monatlich. Selbst wer jahrzehntelang
gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hat, ist
nach einem Jahr Arbeitslosigkeit zum Leben in Armut verdammt.
Hinzu kommt, dass Vermoegensbestandteile bis auf einen geringen
Freibetrag angerechnet und einbezogen werden. Wer also etwas fuers
Alter beiseitegelegt hat, muss es aufbrauchen, bevor er
ALG-II-Leistungen bekommt. Ausserdem sind ALG II-Bezieher
verpflichtet, sich "aktiv um ihre Integration in den Arbeitsmarkt" zu
bemuehen. Die so genannten "Zumutbarkeitsregeln" wurden abgeschafft,
so dass sie extrem niedrig bezahlte Jobs, die ihrer Qualifikation
nicht entsprechen, und weit entfernte Arbeitsplaetze in Kauf nehmen
muessen. Weigern sie sich, droht ihnen die Kuerzung oder der Entzug
der Leistung.
Die Verantwortlichen hatten die Hartz-IV-Reform damit begruendet, dass
sie die Zahl der Arbeitslosen drastisch reduzieren werde. Das ist
nicht eingetroffen, wie statistische Untersuchungen beweisen.
Das Nuernberger Institut fuer Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
der Bundesagentur fuer Arbeit (BA), das die Reform regelmaessig
untersucht, zieht zwar nach fuenf Jahren eine "verhalten positive
Hartz-IV-Bilanz". In der "Tendenz" wuerden die angestrebten Ziele der
Arbeitsmarktreform erreicht. Doch auch IAB-Direktor Joachim Moeller
muss grosse Probleme etwa bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen
einraeumen. Nur verhaeltnismaessig wenige kehrten nach jahrelangem
ALG-II-Bezug in ein normales Berufsleben zurueck.
Vertreter von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbaenden haben die
Hartz-IV-Reform deshalb fuer "gescheitert" erkklaert. In einem
Interview mit der Thueringer Allgemeinen Zeitung sagte
Wohlfahrts-Verbandschef Ulrich Schneider: "Fuenf Jahre nach der
Hartz-IV-Reform ist es nicht gelungen, die Zahl der Betroffenen
merklich abzubauen." So sei die Anzahl der erwerbsfaehigen
ALG-II-Bezieher seit der Einfuehrung im Jahre 2005 konstant geblieben.
"Es ist auch nicht gelungen, Langzeitarbeitslose haeufiger in Arbeit
zu vermitteln."
Nach Auswertungen des Wohlfahrts-Verbandes lag die Anzahl der
erwerbsfaehigen Hartz IV-Bezieher und Bezieherinnen im April 2009 bei
ca. 4,93 Millionen. Im September 2005 hatte die Anzahl der
erwerbsfaehigen Arbeitslosen bei rund 5,15 Millionen Menschen gelegen.
Konstante Zahlen liegen dem Verband auch fuer Kinder vor, die auf
Hartz-IV-Leistungen (Sozialgeld) angewiesen sind. Im September 2005
waren 1,78 Millionen Kinder unter 14 Jahren von Hartz IV abhaengig, im
April 2009 und danach waren es rund 1,74 Millionen. Rund die Haelfte
der ALG-II-Bezieher erhaelt Sozialleistungen laenger als drei Jahre.
"Gescheitert" kann man die Hartz-IV-Reform allerdings nur nennen, wenn
man unterstellt, sie habe sich tatsaechlich gegen die Arbeitslosigkeit
gerichtet. In Wirklichkeit verfolgte sie - wie auch die uebrigen
Bestandteile der Agenda 2010 - ein anderes Ziel. Indem sie den Druck
auf die Arbeitslosen erhoehte, diente sie der rot-gruenen
Bundesregierung als Hebel, um das gesamte Tarifgefuege und die bis
dahin relativ hohen deutschen Loehne aufzubrechen und einen riesigen
Niedriglohnsektor zu schaffen. In dieser Hinsicht war Hartz IV hoechst
erfolgreich.
Weil Langzeitarbeitslose als Folge von Hartz IV gezwungen sind, jeden
Arbeitsplatz anzunehmen, sind die Loehne immer weiter gesunken.
Inzwischen befinden sich die Realloehne wieder auf dem Stand, den sie
vor 25 Jahren, Mitte der 1980er Jahre, hatten. Inzwischen sind
Niedrigloehne in Deutschland weit verbreitet, wie eine Anfang Juli
veroeffentlichte Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ)
der Universitaet Duisburg-Essen belegt. 6,5 Millionen Menschen - mehr
als jeder fuenfte Beschaeftigte - arbeiten in Westdeutschland fuer
Stundenloehne unter 9,62 Euro und in Ostdeutschland unter 7,18 Euro.
Das ist die von der OECD (Organisation fuer wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung) festgelegte und wissenschaftlich
anerkannte Niedriglohngrenze.
Die Einfuehrung von Hartz-IV und die Ausbreitung des
Niedriglohnbereichs haben auch direkte Auswirkungen auf Branchen, in
denen zuvor verhaeltnismaessig hohe Loehne gezahlt wurden. Die
Beschaeftigten des Autobauers Opel koennen davon ein Lied singen. Ihre
Loehne, die noch vor zehn Jahren rund 30 Prozent ueber dem allgemeinen
Tarif der Metall- und Elektroindustrie lagen, liegen inzwischen
darunter.
Die von den Gewerkschaften in vielen Tarifvertraegen vereinbarten
Oeffnungsklauseln ermoeglichen den Unternehmen ausserdem betriebliche
Abweichungen. Millionen Arbeiter erhalten weniger als im Lohntarif
vereinbart. Gleichzeitig sind immer weniger Unternehmen ueberhaupt
noch tarifgebunden. Sie muessen sich deshalb nicht an den minimalen
Vereinbarungen orientieren, die Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbaende getroffen haben. Das trifft inzwischen schon auf
mehr als jeden dritten Betrieb zu. Besonders stark ist die Tarifflucht
im Osten: Hier ist nur noch jedes vierte Unternehmen tarifgebunden. So
sanken die Realloehne auch in diesem Jahr, trotz Tariferhoehungen,
allein im Fruehjahrsquartal 2009 um 1,2 Prozent.
Die Zielrichtung der vierten Hartz-Reform war nie ein Geheimnis
gewesen. Schon im Sommer 2004 hatten Zehntausende ueber mehrere Monate
hinweg dagegen demonstriert. Die Gewerkschaften hatten sich damals
bewusst nicht an diesen Protesten beteiligt. Und die Gruenen sassen in
der Bundesregierung und staerkten Kanzler Schroeder den Ruecken, der
erklaerte, er werde sich nicht "der Strasse" beugen.
Auch heute unterstuetzen alle Bundestags-Parteien Hartz IV, wobei
einige versuchen, mit kosmetischen Kurskorrekturen von ihrer
Verantwortung abzulenken.
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte kurz vor Weihnachten, langjaehrig
Versicherten eine hoehere Unterstuetzung zu zahlen. Das wuerde nicht
nur die betroffenen Arbeitslosen, sondern auch die Unternehmen
beguenstigen. "Die murren schon lange darueber, dass sie ihre
betagteren Mitarbeiter nicht mehr so leicht freisetzen koennen wie
frueher", schreibt Spiegel online in einem Kommentar zum Jahresende.
Setze sich Gabriel durch, wuerde die "verfehlte
Fruehverrentungspolitik der achtziger und neunziger Jahre
wiederbelebt".
Die derzeitige schwarz-gelbe Bundesregierung will Langzeitarbeitslosen
etwas mehr von ihrem Vermoegen belassen. Doch diese Massnahme betrifft
gerade 11.000 Haushalte oder 0,2 Prozent der Betroffenen - sowie die
Versicherungsgesellschaften. Diese koennen nun ihre
Altersvorsorgeprodukte "endlich mit dem Siegel ,hartzsicher'
verkaufen". (Spiegel online).
Die Proteste gegen Hartz IV haben wesentlich zur Entstehung der
Linkspartei beigetragen. Oskar Lafontaine und andere altgediente SPD-
und PDS-Politiker erachteten es als Warnsignal, dass sich eine
Bewegung ausserhalb der Kontrolle der Gewerkschaften und der SPD
entwickelte. Sie setzten sich an die Spitze der Proteste, um sie ins
Leere laufen zu lassen. Inzwischen fordert die Linkspartei nicht
einmal mehr die Abschaffung der Hartz-Gesetze, sondern nur noch eine
Anhebung der Regelsaetze.
Wie es weitergehen koennte, zeigt der Vorschlag des so genannten
Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz. Er hat angeregt, das
Arbeitslosengeld II von 359 Euro auf gut 250 Euro im Monat zu kuerzen.
Er stuetzt sich dabei auf ein Modell zur Weiterentwicklung von Hartz
IV, das der Sachverstaendigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen
Entwicklung, dem Franz vorsteht, der Bundesregierung vorgelegt hat.
Das Kernstueck der Reform sei "eine Absenkung des Regelsatzes um 30
Prozent".
Franz hatte sich schon vor zwei Jahren in Spiegel online fuer
Stundenloehne unter drei Euro ausgesprochen. Das sei das beste Mittel,
um Jobs zu schaffen.
(Dietmar Henning, wsws.org / gek.)
Quelle:
http://www.bfs-zh.ch/Themen/International/Europa/Deutschland/Der%20Niedriglohnsektor%20breitet%20sich%20aus.htm
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