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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Dezember 2009; 20:36
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Senegal:

> Geldfische fuer Europa

Fast jeder zweite Fisch, der in der EU gegessen wird, wurde ausserhalb
der EU-Gewaesser gefangen -- zum Beispiel im Meer vor Senegal. Das hat
fuer die dortigen Fischer und ihre Familien verheerende Folgen.
*Von Michaela Ludwig, abgekupfert aus WoZ 50/09*

Das Mobiltelefon piept. Ibrahima Diop steht zwischen Waagen, Stapeln
von Kisten und Maennern, die gelangweilt Zahlen in ihre Taschenrechner
tippen. Der ueberdachte Platz ist der Fischmarkt von Kayar. Im
traditionellen Fischerdorf, dessen Haeuser sich an einer Sandpiste die
Bucht entlangziehen, leben rund 5000 Fischer mit ihren Familien. Der
grosse, etwas staemmige Diop blickt auf das Display: «Thiof. Zu jedem
Preis» lautet die Bestellung des Exporteurs, in dessen Auftrag Diop
hier ist. Irgendwo in Wien, Amsterdam oder Hamburg hat ein Restaurant
fuer uebermorgen Zackenbarsch bestellt.

Diop ist einer der ganz grossen Zwischenhaendler in Kayar. Jeden
Nachmittag faehrt er mit einem Transporter voller Eisstuecke auf der
Landstrasse von der Hauptstadt Dakar nach Kayar. Hier kauft er Thiof,
wie der Zackenbarsch in der lokalen Sprache heisst, sowie verschiedene
Tintenfischarten, Dorade, Barsche. Fischarten, die einige
EuropaeerInnen innerhalb der naechsten zwei Tage auf dem Tisch haben
werden. Weil das senegalesische Gesetz den Exportunternehmen
verbietet, den Fisch direkt von den Fischern zu erwerben, arbeiten sie
mit Zwischenhaendlern wie Diop, die den Fang von kleineren
HaendlerInnen kaufen.

Traumhafte Preise

Das Geschaeft lief auch schon besser. Diop erzaehlt von frueher, von
Investitionen und Gewinnen, die er damals gemacht hat. Wenn er
spricht, gestikuliert er wild. «Das Problem ist, dass das Angebot
immer kleiner wird», sagt er. «Die Kunden zahlen heute Preise, von
denen wir frueher nur traeumen konnten. Doch was nuetzt es, wenn ich
nicht mehr genug Fische bekomme?»

Im Jahr 2007 verkaufte der Senegal Fische und Meeresfruechte im Wert
von umgerechnet ueber 270 Millionen Franken in die EU. Das entspricht
sechzig Prozent des gesamten Exports des Landes. Der Meeresstreifen
vor der westafrikanischen Kueste galt jahrhundertelang als eines der
fischreichsten Reviere weltweit. Doch weil die EuropaeerInnen immer
mehr Fisch essen und gleichzeitig die Bestaende in ihren eigenen
Meeren schrumpfen, benoetigen sie neue Fanggruende. Deshalb schloss
die EU waehrend dreissig Jahren Fischereiabkommen mit Entwicklungs-
und Schwellenlaendern ab. Das erste Partnerland ueberhaupt war der
Senegal. Gegen Bezahlung einer Entschaedigung erlaubte das Abkommen
den europaeischen Trawlern, in senegalesischen Hoheitsgewaessem zu
fischen.

Die MeeresbiologInnen vom Forschungszentrum fuer Ozeanografie (CRODT)
in Thiaroye, einem Vorort von Dakar, warnten bereits Mitte der
neunziger Jahre vor einer Ueberfischung der senegalesischen Gewaesser
durch Fischer, die EU-Flotte und asiatisch-senegalesische Unternehmen.
Die gefangenen Mengen hatten schon damals das Mass des oekologisch
Vertretbaren um vierzig Prozent ueberschritten.

Das letzte Abkommen mit der EU lief 2006 aus und wurde nicht erneuert.
Ob dafuer die Zahlen der WissenschaftlerInnen zusammen mit den
Protesten der senegalesischen Kleinfischer ausschlaggebend waren oder
schlicht die Tatsache, dass die schrumpfenden Fischbestaende fuer die
EuropaeerInnen nicht mehr interessant genug waren, ist umstritten.
Fest steht jedoch, dass Bodenfische wie Seezunge, Barsch oder
Meerbrasse, aber auch Shrimps, Langusten, Oktopus und Tintenfische
heute stark bedroht sind. Doch auch nach dem Ende des
Fischereiabkommens ist die Nachfrage nach Fisch und Meeres-fruechten
aus Senegal ungebrochen.

Sardinen fuer die Einheimischen

Weil die Preise fuer Fisch und Meeresfruechte immer weiter steigen,
geht nicht nur der groesste Teil des Fangs direkt in den Export, es
wird auch immer mehr gefischt. Die Folgen sind nicht nur fuer die
Fischer und ihre Familien gravierend. Im ganzen Land ist Fisch neben
Reis das Hauptnahrungsmittel und zudem der wichtigste
Eiweisslieferant. Fuer die Versorgung der Bevoelkerung bleiben aber
inzwischen nur die weniger vermarktungsfaehigen Arten wie Sardinen und
Makrelen uebrig.

«Hier wie ueberall wird der Nahrungskette entlang hinunter gefischt»,
sagt der Meeresbiologe Birane Samb vom CRODT. «Zunaechst waren es die
Bodenfischarten und Raubfische, inzwischen sind auch die Bestaende der
Makrelen und Sardinen bedroht.» Immer weiter werden die Kuesten heute
von spanischen und asiatischen Industrie-schiffen leer gefischt, die
unter senegalesischer Flagge fahren -- wie auch von den rund 13 000
Pirogen, den einheimischen Kleinfischerbooten.

Im Fischerdorf Kayar wartet Diop unter dem Schatten spendenden
Wellblechdach des Fischmarktes. Am weissen Strand der kilometerlangen
Bucht landen die ersten Pirogen. Von allen Seiten schwaermen Maenner,
Frauen und Kinder herbei. Ihre leuchtend bunten Gewaender flattern in
der Meeresbrise. Diop wird unruhig. «Wir hatten waehrend zwei Wochen
Sturm, und es war zu gefaehrlich fuer die Fischer, hinauszufahren»,
sagt er. «Heute ist der erste Tag, an dem es wieder Fisch gibt.»

Fuer die Fischer von Kayar ist die starke Nachfrage nach Fisch und
Meeresfruechten Fluch und Segen zugleich. Immerhin stammen sechzig
Prozent des exportierten Fischs von ihren Netzen und Haken. So
koennten auch sie von den steigenden Preisen profitieren -- wenn das
Meer noch genug Fisch bereithielte.

Nur ein Tintenfisch

Fuer Mor Gaye war der Arbeitstag wenig ergiebig. Der junge Fischer
umklammert den Steuerknueppel des Aus-senbordmotors. Unter Vollgas
lenkt er die bunt bemalte Piroge durch die schaeumende Brandung an den
Strand. Ein Sprung ueber die Bordwand, und er und seine Kollegen
stehen bis zu den Hueften im Wasser. Dann schieben sie das Holzboot
die letzten Meter bis zum Ufer. Maenner und kleine Jungen packen an,
und wenige Augenblicke spaeter ruht das Fuenfmeterboot oben am Strand.
Die Fischer sind enttaeuscht. Seit sechs Uhr frueh sind sie auf dem
Wasser und haben gerade mal einen Tintenfisch gefangen. Ein
Zwischenhaendler greift das Tier am Kopf und hebt es empor. Koerper
und Greifarme baumeln schlaff und glibberig herunter. «3,8 Kilo»,
murmelt der Haendler und reicht Gaye ein Buendel Scheine. 7000
westafrikanische Francs, umgerechnet 10 Euro. Zu wenig angesichts der
Ausgaben fuer Diesel sowie der Ruecklagen fuer Boot und Material.

Waehrend die Maenner auf das Meer hinausfahren, sind die Frauen fuer
den Handel zustaendig, eine traditionelle und strikte Arbeitsteilung.
Doch auch Gayes Grossmutter Djeube Ka bringt heutzutage weniger Geld
nach Hause als frueher. Im wehenden gelben Kleid, einem voluminoesen
Tuch um den Kopf und mit einem Eimer in der Hand wandert sie zwischen
den Booten am Strand entlang und hockt sich dann zu ihren
Schwaegerinnen, Schwestern und Cousinen. Frueher haben sie hier auf
die Rueckkehr ihrer Maenner und Soehne gewartet und ihnen den Fang
direkt am Ufer abgekauft.

«Die Geschaefte laufen immer schlechter», bestaetigt Djeube Ka. «Seit
so viele Exporthaendler hier sind, koennen wir nicht mehr mithalten.»
In ihrer Geldboerse stecken gerade mal 25000 Francs, das sind 37 Euro.
Die ZwischenhaendlerInnen, die fuer Ibrahima Diop auf Einkaufstour
gehen, investieren dagegen bis zu einer Million Francs am Tag, rund
1500 Euro. Heute sind es die HaendlerInnen aus der Stadt, die Kas
Enkel den Tintenfisch abkaufen. Die Frauen jedenfalls werden bis zu
den Abendstunden nur einzelne Fische handeln koennen. «Ob ich mit
Gewinn nach Hause komme, weiss ich nicht. Es ist wie ein
Gluecksspiel», sagt Ka.

Die Einnahmen der Frauen aus dem Fischhandel werden zur Versorgung der
Grossfamilien gebraucht. «Es wird jedes Jahr schwieriger, genug Geld
fuer Lebensmittel, Schulmaterial, Kleider und Arztbesuche
zusammenzubekommen», sagt Djeube Ka. Zum Glueck sei zweien ihrer
Soehne die Reise nach Europa gelungen. «Ohne deren Geld wuessten wir
nicht, wovon wir leben sollen», sagt sie. «Die Fischerei allein reicht
nicht mehr.»

Anders sieht es fuer die Besitzer der grossen, zwanzig Meter langen
Pirogen aus, die weiter unten am Strand landen und Schwarmfische wie
Sardinen und Makrelen fangen. Viele gehoeren reichen Geschaeftsleuten
aus Dakar. Diese Boote dienten als eine Form der Geldanlage, sagt
Michael Vakily. Im Auftrag der deutschen Gesellschaft fuer technische
Zusammenarbeit beraet Vakily die westafrikanische Fischereikommission.
«Auch diese grossen Unternehmen werden zur Kleinfischerei gezaehlt.
Doch es gibt inzwischen so viele, und sie sind so ertragreich, dass
auch sie die Ressourcen bedrohen», sagt der Fischereiexperte. Und das
nicht nur im Senegal. Oft seien die Boote eine ganze Woche unterwegs.
«Dann geht die Reise schon mal in die Nachbarlaender des Senegals, wo
die Bestaende noch nicht so ueberfischt sind», sagt Vakily.

An Arbeitskraeften mangelt es nicht. Als Kapitaene werden ehemalige
Fischer angeheuert, die Besatzung stellen junge Maenner aus dem
Binnenland. Eine der riesigen Pirogen rollt in der Brandung, die
Mannschaft wuchtet Kiste um Kiste ueber die Bordwand. Traeger
schleppen die Fuenfzigkiloboxen in atemberaubendem Tempo den Strand
hinauf. Sie werden pro Box bezahlt. An guten Tagen koennen diese
Pirogen, die weit draussen paarweise mit einem hunderte Meter langen
Netz fischen, bis zu 25 Tonnen Hochseefisch an Land bringen. So viel
ist es heute nicht, dennoch ist der Fischberg am Strand enorm.

Pferdewagen jagen den Strand hinunter und wirbeln Sandwolken auf. Sie
sind beladen mit Motoren und Netzen, Benzinkanistern und Tauwerk. Ein
Gefaehrt transportiert Fischkisten zum Dorfrand, wo die einzelnen
Sardinen auf Trockentischen ausgebreitet werden. Noch sind die
Raeucheroefen leer. Auf diesem Platz regieren die Frauen. Die
Weiterverarbeitung liegt von jeher in ihren Haenden. Sie salzen,
trocknen und raeuchern nicht nur fuer den Export, sondern auch fuer
die Kundschaft im eigenen Land. Der so verarbeitete Fisch ist ueber
Monate haltbar und kann in jedes noch so abgelegene Dorf im Senegal
oder ins Nachbarland Mali oder nach Burkina Faso gebracht werden.

Heute nur fuenf Zackenbarsche

Doch mittlerweile ist auch dieser Geschaeftsbereich der Frauen
gefaehrdet. Sockna Matindao ist die Praesidentin des Verbandes der 230
Fischverarbeiterinnen von Kayar. Sie ist eine freundliche Frau mit
stolzem Blick. «Die Maenner konnten lange nicht zum Fischen
rausfahren, deshalb hat uns der Nachschub gefehlt», sagt sie. Ihre
Handelspartner seien bereits beunruhigt gewesen. Heute kann die
Produktion endlich wieder anlaufen. Doch wenn die Preise zu hoch
klettern, haben sie auf dem Fischmarkt immer haeufiger das Nachsehen
gegenueber den FabrikantInnen aus Dakar.

Fuer die meisten SenegalesInnen sind die wertvolleren Fische schon
lange nicht mehr erschwinglich. Die Fischbeilage im Nationalgericht
Thiboudienne besteht heute meist aus Sardinen und nicht wie frueher
aus Thiof. Es ist selten, dass dieser beliebte Fisch noch gefangen
wird -- deshalb nennt man ihn inzwischen auch den Geldfisch. «Wenn wir
schon mal einen Thiof fangen, dann verkaufen wir ihn», sagt der
Fischer Mor Gaye. Doch auch so wird der Zwischenhaendler Ibrahima Diop
an diesem Abend lediglich fuenf Zackenbarsche beim Exporteur in Dakar
abliefern -- die gut gekuehlt am naechsten Tag mit dem Flugzeug nach
Europa transportiert werden.
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