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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. November 2009; 19:35
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Kinder:

> Katastrophe Nachmittagsbetreuung?

Ein Interview mit einer Mitarbeiterin / einem Mitarbeiter des Vereins
"Wiener Kinder- und Jugendbetreuung"

InterviewerIn (I): Hallo, und danke fuer deine Bereitschaft dieses
Interview zu geben. Wir sind bereits im Vorfeld uebereingekommen, dass
du voellig anonym bleiben willst. Darum halten wir deinen Namen, dein
Geschlecht, dein Alter und die bisherige Dauer deines
Beschaeftigungsverhaeltnisses beim Verein "Wiener Kinder- und
Jugendbetreuung" geheim. Warum ist dir das so wichtig?

MitarbeiterIn (M): Ich habe Angst davor meine Arbeit zu verlieren.
Ausserdem habe ich Angst davor geklagt zu werden. Auch wenn ich nur
die Wahrheit ueber die Zustaende in der Wiener Nachmittagsbetreuung
sage.

I: Was hat dich dazu bewogen dieses Interview zu geben?

M: Die katastrophalen Zustaende in der Nachmittagsbetreuung, der
Eindruck, dass sich die politisch Verantwortlichen darum nicht
kuemmern und sich fuer die Kinder einfach nicht interessieren und die
traurige Realitaet, dass sich die Verantwortlichen im Verein scheinbar
eingebunkert haben. In einer Art Treue gegenueber einer Partei wird
geschwiegen oder schoengeredet.

I: Welche Partei meinst du?

M: Es ist bekannt, dass der Verein durch und durch sozialdemokratisch ist.

I: Du sprichst von katastrophalen Zustaenden. Was meinst du damit?

M: Wir haben chronischen Personalmangel, der es uns unmoeglich macht
eine zeitgemaesse paedagogische Arbeit zu leisten. Wir werden nicht
gut bezahlt. Die Einrichtung in den Schulen ist teilweise
vorsintflutlich. Es herrscht Platzmangel. Kritik ist unerwuenscht und
gefaehrdet den eigenen Arbeitsplatz. Supervision findet, wenn
ueberhaupt, dann unbezahlt in der Freizeit statt. Es besteht der
begruendete Verdacht, dass bewusst Falschinformationen gestreut
werden, damit KollegInnen Ansprueche nicht geltend machen. Der
Umgangston in der Zentrale ist hoeflich gesagt unprofessionell. Kurz
gesagt, es funktioniert so, dass man sich wundert, dass bisher nichts
Groeberes passiert ist.

I: Das sind sehr viele Vorwuerfe. Gehen wir sie der Reihe nach durch,
damit klarer wird, was du kritisierst?

M: Gut.

I: Personalmangel ist ein verbreitetes Phaenomen im Sozialbereich. Wie
schaut das bei euch genau aus?

M: EinE BetreuerIn betreut nicht selten, und das im Normalfall, bis zu
25 Kinder. Wie soll man da paedagogisch wertvoll arbeiten? Doch es
kommt auch vor, dass KollegInnen mehr als 25 Kinder und ebenso im
Normalfall betreuen! Kommen Krankenstaende hinzu, sollten eigentlich
SpringerInnen geschickt werden, die den Dienst der kranken KollegInnen
uebernehmen. Die kommen aber sehr, sehr oft nicht, weil es viel zu
wenige gibt! Das heisst dann, dass Gruppen aufgeteilt werden. Da kommt
es schon mal vor dass eine KollegIn alleine bis zu 60 Kinder betreut!

I: Hab ich dich richtig verstanden? Alleine 60 Kinder?

M: Ja das ist vorgekommen! Ich selber habe das nicht erlebt.
Betroffene KollegInnen haben mir davon berichtet!

I: Das ist doch sicher nicht legal!?

M: Ja schon, aber wenn von der Politik kein Geld fuer ordentliche
Betreuung zur Verfuegung gestellt wird, dann wird illegal eben
"legal"! Und wenn in der Regierung die eigene Partei sitzt, dann wird
sich niemand in der Geschaeftsfuehrung die Finger verbrennen wollen.
Schliesslich hat man vielleicht einen Kredit laufen, steht kurz vor
der Pension oder will sich nicht mehr veraendern, weil man sich´s
g´richt hat...

I: Welche Kinder betreut ihr eigentlich?

M: Vorschulkinder mit oder ohne SPF*-Bescheid und Volksschulkinder.

I: Also Kinder ab fuenf Jahren?

M: Ja, aber die meisten werden zwischen sechs und zehn sein.

I: Was ist ein SPF-Bescheid?

M: Kinder mit einem besonderen Bedarf an paedagogischer Foerderung
bekommen so einen Bescheid. Solche Kinder brauchen sonderpaedagogische
Foerderung. Die werden in Integrationsgruppen als so genannte I-Kinder
betreut. [Anm. akin: SPF = Sonderpaedagogik Fruehbereich]

I: Was bedeutet das in der Praxis?

M: Wenn es Kinder mit einem solchen Bescheid in einer Gruppe gibt,
dann wird mit zusaetzlichen KollegInnen betreut.

I: Die hat dann wahrscheinlich eine spezielle Zusatzausbildung, nehme
ich an?

M: Ach ja!? In welcher Stadt ist das so? Wir hier sind in Wien. Da
sind wir alle gleich (lacht)

I: Ok, verstehe... Wenn jemand der BetreuerInnen aus so einer Gruppe
krank wird, kriegt ihr da wenigstens SpringerInnen?

M: Das ist so wie bei den anderen Gruppen. Integration bedeutet hier
scheinbar: Fuer alle gilt dasselbe. Also wenn die anderen Kinder keine
SpringerInnen kriegen, bekommen die Integrationskinder auch keine. Das
ist auf eine perverse Art fair (lacht)

I: Du hast vorhin die Einrichtung der Schulen kritisiert. Warum? Habt
ihr zu wenig Platz?

M: Ja, das ist ein ganz grosses Problem! Manche Nachmittagsgruppen
haben nicht einmal einen Raum in dem sie sich aufhalten koennen! Ich
meine damit nicht, dass sie sich mit anderen Gruppen einen Raum teilen
muessen, sondern dass sie einfach gar keinen haben und im Schulgang
betreut werden! Andere haben es etwas besser und duerfen sich in den
Schulklassen aufhalten. Dass man in so einem Raum nicht viel tun kann,
erklaert sich von selbst. In Schulklassen stehen ja Tische und Sessel
und somit gibt´s wenig Platz. Der Verein redet zwar immer vom
Bewegungsdrang der Kinder, in der Realitaet scheint ihm das aber
voellig egal zu sein. Abgesehen davon sind in den Schulklassen die
Sachen der Kinder, die am Vormittag Unterricht haben. Man hat auch
deswegen nicht viel Spielraum und muss sehr aufpassen, dass nichts
verschmutzt wird oder verschwindet. Diejenigen, die heuer noch einen
eigenen Freizeitraum haben, koennen sich nicht immer darauf verlassen,
dass es den naechstes Jahr auch noch gibt. Wenn zu wenige
Klassenzimmer da sind, werden die Freizeitraeume dafuer herangezogen
werden.

I: Kommt es dadurch zu Konflikten zwischen BetreuerInnen und
LehrerInnen, wenn man sich einen Raum teilen muss?

M: Es macht es auf jeden Fall nicht leichter!

I: Habt ihr das schon einmal im Verein angesprochen?

M: Die KollegInnen haben Angst. Die gehen teilweise sogar als Kranker
arbeiten!! Generell herrscht ein Klima der Verunsicherung und des
Misstrauens. Irgendwie hab ich den Eindruck, dass unser Arbeitsplatz
eine demokratiefreie Zone ist. Die Wirtschaftskrise und der
Sozialabbau sind da auch nicht foerderlich.

I: Im "Kurier" wurde heuer im Sommer kritisch ueber euren Arbeitgeber
berichtet. Angeblich seien befristete Vertraege von einigen
MitarbeiterInnen nicht mehr verlaengert worden. Was weisst du
darueber?

M: Das ist ein sehr gutes Beispiel dafuer, wie menschenverachtend mit
KollegInnen umgegangen wird. Laut Betriebsrat gibt es schlicht und
einfach keine Begruendung dafuer! Natuerlich denken sich viele von uns
jetzt, dass sich diese KollegInnen am falschen Ort, zur falschen Zeit
kritisch geaeussert haben. Vielleicht hat es gar wer gewagt, sich zu
beschweren. Es wird damit auch klar, fuer was diese befristeten
Vertraege gut sind. Sie sollen die MitarbeiterInnen mundtot machen!
Soviel zum Demokratieverstaendnis unseres Arbeitgebers.

I: Bei allem was du erzaehlst draengt sich mir die Frage auf, warum du
immer noch diese Arbeit machst?

M: Wir betreuen die Kinder der nicht-Privilegierten. Die haben ein
Anrecht und natuerlich auch grossen Bedarf an Betreuung. Die Arbeit
selber ist wichtig und interessant. Ich mag Kinder und bin gerne mit
ihnen zusammen. Es ist ausserdem auch nicht leicht eine Arbeit zu
finden.

I: Was glaubst du, wie wird es weitergehen?

M: So wie es jetzt ist, darf es nicht weitergehen! Von den
Parlamentsparteien erwarte ich mir nichts. Wir muessen uns auf uns
selber verlassen und Widerstand gegen diesen kinderfeindlichen
Machtmissbrauch leisten. Darum freue ich mich ueber die "Initiative
Kindergartenaufstand" sehr! Ich hoffe, dass auch immer mehr Eltern
damit beginnen sich zu wehren und sich zu solidarisieren. Wir sollten
auch den Kontakt zu den StudentInnen, die die Uni besetzt halten,
suchen. Ausserdem sind naechstes Jahr Wahlen. Das sollten wir nutzen!
Auch ein Streik koennte notwendig werden.

I: Danke fuer das Interview und viel Glueck fuer eure Sache!
(Interview: Just a no name, Indymedia)
*

Quelle http://austria.indymedia.org/node/16065



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