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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. November 2009; 18:50
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Recht/Prozesse:
> §278a oder §248?
Das Arsenal gegen die Tierrechtsszene wird erweitert
Da gibt es ein Video. Unter anderem war es bis vor Kurzem auch auf
YouTube zu sehen. Titel "So a Gschiss um den Hofer". Inhalt: Andreas
Hofer und seine Mander entsteigen -- aufgeweckt durch die "laut
polternden" 200-Jahr-Feiern in Tirol -- ihren Graebern. Was folgt ist
ein recht anarchisch anmutendes Panoptikum, in dem die Welt des
wiederauferstandenen Andreas Hofer gezeigt wird. Er selbst hat immer
seine Klomuschel mit, weil er immer soviel scheissen muss. Seine
Mander tragen gleich ihm Umhaengebaerte und als Leiberln
Einkaufssackerln der Supermarktkette Hofer. Handlung: Die Mander
hirschen durch den Wald, mit Transparenten und Maschinenpistolen
bewaffnet, und kehren schliesslich bei der Sandwirtin (die ebenfalls
einen Umhaengebart traegt) ein. Erst verspaetet trudelt Hofer selbst
ein, die Klomuschel unterm Arm. Als Hofer mit seinem Faekaliengeruch
wieder die Brotzeit zu verderben trachtet, versuchen die Mander den
Gestank durch Faecheln mit Kruzifixen und einem Osama-Bin-Laden-Bild
zu vertreiben. Am Schluss kommt die Polizei und will die Mander
verhaften, weil sie alle Baerte truegen, worauf diese sich auf
prominente Barttraeger wie etwa Jesus Christus und Reinhold Mesner
berufen. Es kommt zum Gerangel und die Mander werden verhaftet. Das
ganze Werk ist grossteils als Stummfilm mit Klavierbegleitung und
Textinserts ausgefuehrt, in schwarzweiss oder besser
dunkelbraun-hellbraun gehalten.
Jedoch: Auf den Transparenten stehen Tierrechts-Losungen und im Film
kommen immer wieder Anspielungen auf den gerade diesbezueglich so
beruechtigt gewordenen §278a vor. Und so rueckte wiedermal die
Staatsanwaltschaft aus. Doch das Werk und die Zusammenrottung zu
seiner Produktion wurde diesmal nicht als "kriminelle Vereinigung"
angesehen, sondern ein anderer, nicht weniger umstrittener Paragraph,
der 248er, "Herabwuerdigung des Staates und seiner Symbole" kommt zum
Einsatz. Warum dieses? Nun, in einer ganz kurzen Sequenz geht eine
Fahne, die der Tiroler Flagge zumindest recht aehnlich sieht, in
Flammen auf...
Das Ganze scheint absurd, schliesslich brennen in Filmen immer wieder
Fahnen, und doch kann Chris Moser, der Regisseur dieses Films,
irgendwie nicht darueber lachen, gehoerte er doch zu jenen Menschen
aus der Tierrechtsszene, die im Sommer 2008 drei Monate in U-Haft
gesessen waren. Und in dem unangenehme Erinnerungen wach werden
mussten. Dazu kommt, dass ihm die Benachrichtigung ueber das
neuerliche Ermittlungsverfahren nicht von der Post uebermittelt,
sondern von zwei Polizisten persoenlich ins Haus gebracht wurde -- von
zwei Polizisten, die noch dazu im Fruehling 2008 bei der Durchsuchung
seines Heims mit dabeigewesen waren.
> Kommentar
Ich bin kein Tierrechtler. Ich bin Fleischfresser. Und das Video ist
kuenstlerisch auch nicht unbedingt so mein Geschmack. Aber
kuenstlerische Auffassungsunterschiede oder abweichende Speisezettel
sind kein Grund fuer einen solchen Zirkus! Denn was die
Strafverfolgungsbehoerden da so treiben, geht auf keine Kuhhaut
mehr -- das grenzt an einen Willen zur Vernichtung der buergerlichen
Existenz.
Wobei: Staatsanwaelte koennen nur anwenden, was gesetztes Recht ist.
Und das ist genauso ein Skandal. Die §§278a und sein Bruederchen 278b
("Terroristische Vereinigung") sind nunmal so vage formuliert, dass
sie leicht missbraucht werden koennen. §248 hingegen ist nicht nur
schwammig formuliert, sondern widerspricht generell der Behauptung,
dies sei ein demokratische Rechtsstaat, in dem Meinungsfreiheit
herrsche. Und der §188 ("Herabwuerdigung religioeser Lehren") ist wohl
nicht anders zu sehen als ein Ueberbleibsel der Hl.Inquisition, das es
ins 21.Jahrhundert geschafft hat. Von dem beruechtigten "Widerstand
gegen die Staatsgewalt"-Paragraphen, dem man immer anwenden kann, wenn
einem bei Polizei und Staatsanwaltschaft gar nichts mehr einfaellt,
einmal ganz abgesehen -- schliesslich braucht man da nur mal jemand
unter fadenscheinigen Begruendungen festnehmen und behaupten, er
haette sich gewehrt. Der Grund fuer die Festnahme? Eigentlich egal,
weil illegale Festnahmen werden sowieso nicht geahndet, aber notfalls
kann man ja wiederum behaupten: "Widerstand gegen die Staatsgewalt".
So funktioniert das in Oesterreich.
Im konkreten Fall des Regisseurs wird es wohl bei der Anzeige bleiben.
Doch allein durch diesen Verfolgungsschritt wurden seine Familie und
er erneut in Angst versetzt. Denn oft genug findet ja die Strafe
bereits allein durch die Verfolgung statt: Angstmache, Scherereien und
oft genug auch die Zahlung des Grossteils der Anwaltskosten kann man
ja auch bei einem Freispruch einfach nur hinnehmen. Der Staat
entschuldigt sich nicht einmal dafuer.
Es gibt hierzulande -- und leider nicht nur hierzulande -- immer
wieder Staatsanwaelte, die sehr seltsame Verfolgungsschritte setzen.
Es gibt Polizisten, die hauen zuerst zu und nehmen einen dann fest.
Und es gibt Polizisten, die ersparen sich die Zurueckhaltung und
schiessen gleich. Es gibt Polizeiminister und -innen, die haben kein
Problem damit. Letztlich gibt es Justzminister resp. -innen und
Parlamentsmehrheiten, die dafuer sorgen, dass das alles eine legale
Grundlage hat.
Das alles geschieht im Namen des Staates, der wir doch angeblich alle
zusammen sind. Wenn hier also jemand den Staat herabwuerdigt, dann
sind das wohl seine eigenen Diener...
*Bernhard Redl*
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